HSV-Präsident Marcell Jansen spielt für die dritte Mannschaft des Vereins in der Oberliga. © Witters

Unternehmer und HSV-Präsident Jansen: Ohne Fußball geht es nicht

Stand: 02.05.2022 07:34 Uhr

Marcell Jansen war Nationalspieler und Stammspieler des Hamburger SV. Mit 29 Jahren machte er Schluss und wurde Unternehmer. Heute kickt er in der Oberliga und ist Vereins-Boss. Aus Liebe zum Fußball - und zum HSV.

von Andreas Bellinger

Der Zahn der Zeit nagt auch an ihm, es zwickt hier und da und das Trikot spannt altersgemäß. Aber der Spaß am Fußball macht alles wett, meint Marcell Jansen. Statt in Bundesliga-Stadien aufzulaufen, tingelt der Deutsche Meister, Pokalsieger und 45-fache Nationalspieler mit der Dritten des Hamburger SV zwar nur noch über die Dörfer - aber wo gibt es das schon, dass der Club-Präsident noch selbst in der Oberliga auf Torejagd geht?

"Ohne Schmerztabletten und Knöcheltapes geht gar nichts mehr", räumt der Boss des eingetragenen Vereins und Aufsichtsrat der HSV Fußball AG ein, um sogleich jegliche Wehleidigkeit beiseitezuschieben: "Wenn man an den meisten Tagen weiß, wo das Tor steht, kann man die Jungs immer noch ein bisschen unterstützen."

Oberligaspieler Jansen: Mal nicht der Chef sein

In seinen besten Tagen als Profi bei Borussia Mönchengladbach, dem FC Bayern München und schließlich dem HSV (242 Bundesligaspiele) war es eher Jansens Aufgabe, Tore zu verhindern, was ihm auch international meist bestens gelungen ist.

Heute bevorzugt es der 36-Jährige etwas ruhiger im Sturm, nicht ganz so laufintensiv, die langen Wege eher meidend. Zweitbester Torschütze seines Teams ist der Linksfuß, unlängst gelang ihm im Hamburger Stadtteil Lohbrügge sogar ein Hattrick gegen den dortigen VfL.

Jansen: "Herr Völler darf das"

Auch jetzt, auf den Dörfern, lebe er seinen Sport genauso wie als Bundesligaprofi. Schließlich bekomme er auch jetzt noch "ein sehr, sehr hochdotiertes Gehalt - nämlich gar keins", wie er lachend erzählt. "Ich habe ja nicht dem Fußball den Rücken gekehrt, um Gottes Willen. Ich habe für mich beruflich eine andere Entscheidung getroffen. Das ist ein Riesenunterschied", so Jansen.

"Tatsächlich habe ich das Fußball-Geschäft nie geliebt." Ex-Profi Marcell Jansen

Da kann Rudi Völler lästern, solange er will. Der Weltmeister hatte einst sein Unverständnis darüber geäußert, dass Jansen ohne Not oder gravierende Verletzungen schon mit 29 Jahren seine Profilaufbahn beendet hat. "Wer so etwas macht, hat den Fußball nie geliebt", tönte der frühere Bundestrainer. Was der Kritisierte souverän kontert: "Herr Völler darf das. Ich mache ihm keinen Vorwurf, er ist ein geiler Typ und ganz wichtig für die Bundesliga."

Experte für medizinische Einlegesohlen

Im vermeintlich besten Fußballeralter hat Jansen seine Stiefel an den Nagel gehängt und 2015 nach dem ausgelaufenen Vertrag beim HSV zum Unternehmer umgeschult. Dabei hätte er für ein Millionengehalt in der Bundesliga oder im Ausland weiterspielen können. Stattdessen entschied er sich für einen Start(-up) am Schreibtisch. In bester Lage mitten in der Hamburger Innenstadt stieg er als Teilhaber eines Sanitätshauses ein und wurde Experte für medizinische Einlegesohlen.

Rascher Einstieg in der HSV-Chefetage

"Ich scheitere lieber", beschrieb er seine Intention einst im "Tagesspiegel", "als dass ich so ein müder Laden bin, der in 50 Sachen investiert, in der Hoffnung, dass zwei durch die Decke gehen und du deinen Profit machst." Sport, Lifestyle, Gesundheit und Digitales sind seine Themen: "Ich mache nur Dinge, mit denen ich mich zu hundert Prozent identifizieren kann."

Trainer, Manager oder TV-Experte wie Rekord-Nationalspieler Lothar Matthäus und andere seiner früheren Kollegen wollte Jansen jedenfalls nie werden. Stattdessen ließ er sich nicht lange bitten und stieg beim in der Zweiten Liga darbenden HSV als Funktionär gleich ganz oben in der Chefetage ein.

Hassliebe zum Fußball-Geschäft

Bereut hat er den frühen Schlussstrich unter seine Profi-Laufbahn nicht. Jansen wollte sein Hobby wiederhaben, das er verloren habe, als es mit 18 Jahren zu seinem Beruf wurde: "Das war doch eigentlich der Grund, warum wir alle Fußball spielen, auf dem Bolzplatz oder den Amateur-Sportplätzen dieser Leidenschaft nachgegangen sind."

In gewisser Weise hatten Völlers derbe Worte nämlich ein Quäntchen Wahrheit in sich. "Tatsächlich habe ich das Fußball-Geschäft nie geliebt", so Jansen. Akzeptiert habe er es wohl, schließlich habe ihm das Business ja auch vieles ermöglicht.

Elternhaus als Vorbild

Die kritische Distanz, die er sich all die Jahre bewahrt hat, mag ihren Ursprung in der Erziehung seiner Eltern haben. Abzuheben, den Boden unter den Füßen zu verlieren? Wie hätte der gebürtige Mönchengladbacher noch in den Spiegel schauen können, wenn "meine Mama morgens um fünf aus dem Haus ist und mein Papa schon um halb fünf zum Weg auf die Arbeit?"

"Nur weil ich gut Fußball spielen kann, soll ich auf einmal etwas Besseres sein? Nein, das kenne ich aus meinem Elternhaus nicht." Marcell Jansen

Er habe einfach riesiges Glück gehabt mit den Menschen in seinem Umfeld, die ihn in jeglicher Weise (auch finanziell) beraten und manchmal auch "einen auf den Deckel gegeben haben. Ich wusste immer, ich habe meine Freunde, meine Familie und ich werde im Leben immer klarkommen."

"Der HSV fühlt sich null wie Arbeit an"

Beim HSV ("einem der größten Sportvereine der Welt") Verantwortung zu übernehmen, hatte er schon lange im Hinterkopf. Und er scheute sich nicht, ohne Funktionärs-Erfahrung und in vergleichsweise jungem Alter Präsident des eingetragenen Vereins zu werden. Seit 2022 ist er wieder Aufsichtsratschef mit einigem Einfluss auf die Profiabteilung.

"Es ist irgendwo Fulltime, aber es fühlt sich null wie Arbeit an", sagt er. Im HSV stecke nach wie vor viel Potenzial. "Das wollen wir jetzt anzapfen. Dann werden wir irgendwann auch wieder ein bisschen erfolgreicher sein." So wie er selbst mit dem Oberliga-Team, in dem er als Mitspieler akzeptiert wird - und nicht der Präsident ist.

"Solange es irgendwie geht, auch mit Schmerzen, werde ich es machen", sagt der Torjäger. "Weil das mein Herz tatsächlich erfüllt." Marcell Jansen scheint seinen Weg abseits und doch mit dem Fußball gefunden zu haben.

Dieses Thema im Programm:

Sportclub | 01.05.2022 | 23:30 Uhr

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