Die deutsche Fußballnationalspielerin Tabea Kemme © imago/Revierfoto

Tabea Kemme über Homophobie im Fußball: Liebe verleiht Flügel

Stand: 17.12.2020 12:25 Uhr

Tabea Kemme zog einst von Stade in die Welt, um ihr Glück im Fußball zu finden. Es begegnete ihr auch in der Liebe - mit einer Frau. Homophobie kennt sie aus eigenem Erleben nicht, erzählt sie im NDR 2-Bundesligashow-Podcast.

von Ines Bellinger, Moritz Cassalette und Martin Roschitz

Tabea Kemme wirkte etwas verloren in der ARD-Sendung "Sportschau Thema", in der die Frage diskutiert wurde: Wie homophob ist der Fußball? Fast ungläubig schaute die 29-Jährige drein, als Thomas Hitzlsperger über seinen langen Anlauf zum Coming-out im Jahr 2014 berichtete - und seine Bedenken über mögliche hässliche Reaktionen im Profifußball. Kemme, die ihre Beziehung zu einer Frau vor drei Jahren eher beiläufig in einem Interview öffentlich machte, war zwar auch Fußballerin, aber in einer völlig anderen Welt. Im Frauenfußball herrscht keine Geheimniskrämerei um die sexuelle Orientierung der Spielerinnen, der Umgang mit Homosexualität ist entspannter.

Kemme: "Zu den Werten gestanden, die ich lebe"

"Das war normal", erzählt die im niedersächsischen Stade geborene ehemalige Nationalspielerin im NDR 2-Bundesligashow-Podcast über das Interview der "Bild"-Zeitung damals. "Ich habe einfach zu den Werten gestanden, die ich lebe." Sie war mit einem Handballer liiert gewesen. Als der Reporter sie gefragt habe, ob sie Single sei, habe sie mit "Nein" geantwortet. Nächste Frage: Hast du einen Freund? Wieder hieß die Antwort: "Nein". Damit war es raus. Na und?

Ihre Mitspielerinnen bei Turbine Potsdam wussten es längst. "Ich war kaum um die Ecke in der Kabine, da kam die Kapitänin (Jennifer Zietz) auf mich zu, die schon gesehen hatte, dass ich Herzchen in den Augen hatte", sagt Kemme. Und in der Nationalmannschaft sorgte Nadine Angerer - inzwischen mit einer Frau verheiratet - für klare Verhältnisse: "Man kommt schüchtern als kleines Mädchen zur Nationalmannschaft, will nicht groß auffallen. Und dann kommt eine Nadine Angerer und fragt: 'Na, wie sieht's denn bei dir eigentlich aus?'"

Auf Hitzlsperger folgte kein weiteres Outing

Für Männer im Fußball ist ein Bekenntnis zur Homosexualität offenbar ein sehr viel größeres Problem. Nach Hitzlsperger hat sich kein weiterer Profifußballer in Deutschland geoutet, schon gar kein aktiver - obwohl Hitzlsperger, inzwischen Vorstandsvorsitzender beim VfB Stuttgart, viel Respekt für seinen Schritt gezollt wurde. Kemme sieht die Ursache dafür auch in tief verwurzelten gesellschaftlichen Klischees: "Bei Frauen wird das offenbar als ästhetischer angesehen. Wenn zwei Männer zusammen über die Straße gehen und sich küssen, ist die Reaktion eher: 'Ohh!' Das ist Schubladendenken. Der Mann steht für den Beschützer, er ist der Zeuger der Kinder und, oh Gott, jetzt liebt der einen Mann."

"Emotionen sind ja auch das, was dich trägt, Liebe verleiht dir Flügel." Tabea Kemme

Sie könne sich nicht vorstellen, ein Doppelleben zu führen. Das beeinträchtige ihrer Meinung nach auch die Leistungsfähigkeit. "Das hat damit zu tun, dafür lege ich meine Hände ins Feuer", sagt sie. Es gehöre zu einem "gesunden Mindset", mit sich im Reinen zu sein. "Emotionen sind ja auch das, was dich trägt, Liebe verleiht dir Flügel."

Von Stade in die Welt

Kemme war als 14-Jährige von der heimischen SG Freiburg-Oederquart auf das Sportinternat nach Potsdam gekommen. Bei Turbine entwickelte sie sich zu einer Leistungsträgerin, gewann 2010 die Champions League und krönte ihre Karriere 2016 mit dem Olympiasieg in Rio de Janeiro. Nach ihrem Wechsel zu Arsenal London 2018 kam sie sportlich nicht mehr auf die Beine. Ein Knorpelschaden im Knie zwang sie, ihre Karriere im Januar dieses Jahres zu beenden. "Ich habe meinen Frieden gemacht mit der Entscheidung, die ich gegenüber meinem Körper auch verpflichtend eingehen musste." Es sei eine Kunst gewesen, die schlechten Tage zu managen. Sie sei in puncto Fußball kein glücklicher Mensch mehr gewesen.

Polizeikommissarin zweigt gern vom Weg ab

Privat genießt sie ihr Leben in vollen Zügen. Ihre Zukunft sieht die Polizeikommissarin in ihrem Beruf und im Fußball. "Ich habe gern zwei Inspirationsquellen in meinem Leben." Deutlicher geprägt hat die Naturliebhaberin, die die Prämie für den Olympiasieg in einen VW-Bulli namens "Gin Toni" investiert hat, der Sport. "Ich bin dankbar, dass ich von Menschen lernen durfte, die für Werte einstehen, die moralisch und ethisch vertretbar sind, die nicht der Gesellschaftsnorm und dem asphaltierten Weg einfach folgen", sagt sie. Sie zweige gern links und rechts ab. "Ich mache auch entsprechend viele Fehler, aber ich bitte auch darum, Fehler machen zu dürfen. Daraus lernt man ja auch am besten."

Dieses Thema im Programm:

NDR 2 Bundesligashow | 17.12.2020 | 05:00 Uhr

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