Bibiana Steinhaus-Webb © picture alliance/dpa | Ole Spata

Steinhaus-Webb über Diversität im Fußball: "Noch Luft nach oben"

Stand: 01.06.2022 08:40 Uhr

Bibiana Steinhaus-Webb pfeift auf den deutschen Fußball. Die erste Schiedsrichterin in der Männer-Bundesliga arbeitet inzwischen als Topmanagerin für die englische Women's Super League. Auch hierzulande wünscht sie sich mehr Vielfalt in Führungspositionen. Teil drei einer Sportserie bei NDR.de zum Diversity-Tag.

von Andreas Bellinger

Wenn die beste Schiedsrichterin ihrer Zeit Knall auf Fall aufhört, müssen die Gründe wohl gravierend sein. Bibiana Steinhaus-Webb war international eine Ausnahmeerscheinung, ein etablierter Bestandteil des deutschen Profifußballs und nach dem Rücktritt von Fritz Keller eine Zeit lang sogar als Präsidentin des mächtigen Deutschen Fußball-Bundes (DFB) im Gespräch.

Und doch kehrte die inzwischen 43 Jahre alte Niedersächsin ihrer sportlichen Heimat den Rücken und wechselte nach England, um in der Women's Super League das Schiedsrichter-Wesen zu professionalisieren. Der deutsche Fußball verlor eine der besten Referees und zudem eine starke Stimme für die Sache der Frauen in der Männer-Domäne.

Ittrich: Der deutsche Fußball hat etwas verpasst

"Um es deutlich zu sagen: Da hat der deutsche Fußball etwas verpasst." Warum er ihren selbst gewählten Rückzug dennoch richtig findet, will Bundesliga-Schiedsrichter Patrick Ittrich ("Ich habe schon verstanden, warum und wieso sie aufgehört hat") aber offensichtlich nicht verraten. Ein Nachkarten vermied Steinhaus-Webb, die wie ihr Hamburger Kollege im Hauptberuf Polizistin ist, beziehungsweise war, jedenfalls auch im NDR Sportclub.

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Mitbegründerin der Initiative "Fußball kann mehr"

Die viermalige Weltschiedsrichterin gehört zu den Mitbegründerinnen der Frauen-Initiative "Fußball kann mehr", die mehr Mitsprache, Gleichberechtigung und Teilhabe im deutschen Fußball fordert. "Wir haben eine Diskussion angestoßen über Diversität im Sport", sagt sie über das Erreichte. Zwar generierten die Frauen um Steinhaus-Webb, Katja Kraus und Almuth Schult viel Aufmerksamkeit. Da, wo es drauf ankommt, fanden ihre Forderungen insgesamt aber wenig Anklang. Zudem gipfelte eine Auseinandersetzung zwischen Steinhaus-Webb und dem damaligen Interimspräsidenten Rainer Koch in einem Verfahren vor der Ethikkommission des Verbandes, was ihr den Abschied vermutlich zusätzlich erleichtert hat.

"Pionierin mit großer Klasse"

2017 war Steinhaus-Webb nach einer Dekade in der Zweiten Liga in die Elite der Bundesliga-Schiedsrichter aufgestiegen. Geradlinig, entschlossen, kompetent und kommunikativ hatte sich die Sympathieträgerin ihren Platz unter den besten Referees des Landes erobert. "Eine Pionierin mit großer Klasse", urteilt Ittrich.

Privilegien? Nein danke. "Auf die eigene Leistung kommt es an. Die Besten gehören auf den Platz. Unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe und Religion", so Steinhaus-Webb. Das Finale der Frauen-WM 2011 pfiff sie, das olympische Frauen-Endspiel 2012 und das Champions-League-Finale 2017, um nur ein paar Höhepunkte ihrer Karriere aufzuzählen. Ittrich: "Unfassbar, was sie für Titel gesammelt hat."

"Was ich mir für unseren Fußball wünsche: dass auch unsere Führungskräfte die Diversität abbilden, die wir in den Stadien und in den Vereinen wiederfinden." Bibiana Steinhaus-Webb

Dabei musste sie sich in der Männerwelt des Fußballs einiges gefallen lassen - blieb aber meist locker und souverän, lächelte Dreistigkeiten einfach weg. Bei der frechen Umarmung von Trainer Pep Guardiola zum Beispiel und Sprüchen wie: "Wenn Männer spielen, haben Frauen auf dem Platz nichts zu suchen." Oder Kindereien wie von Bayern-Profi Franck Ribéry, der ihr einmal die Schnürsenkel ihrer Schuhe verknotete.

Streben nach Strukturwandel im Fußball

Eine harte Schule, die sie gewappnet hat für das Streben nach einem Strukturwandel im deutschen Fußball hin zu mehr Vielfalt, Gleichberechtigung und einem Frauenanteil von 30 Prozent in der Führung des DFB. "Was ich mir für unseren Fußball wünsche: dass auch unsere Führungskräfte die Diversität abbilden, die wir in den Stadien und in den Vereinen wiederfinden", so Steinhaus-Webb.

Die Initiative "Fußball kann mehr" hat einen Stein ins Rollen gebracht, immerhin führt seit diesem Jahr eine Frau die Geschäfte der Deutschen Fußball Liga (DFL). Und seit März besetzen Frauen vier Posten im DFB-Präsidium - von insgesamt 14. "Im DFB ist das Bild schon sehr viel diverser geworden", sagt Steinhaus-Webb, "aber es ist immer noch Luft nach oben."

Herausforderung Women's Super League

Mag sein, dass sie die unerfüllten Forderungen und langsamen Fortschritte zermürbt haben, sie womöglich auch in ihrem Ehrgeiz als Schiedsrichterin ausgebremst wurde. Fakt jedenfalls ist, dass sie nicht lange überlegt hat, als das Angebot von der englischen Women's Super League kam, als Direktorin das Schiedsrichter-Wesen zu reformieren. Dass ihr Ehemann, der frühere Weltschiedsrichter Howard Webb Brite ist, war sicherlich kein Hinderungsgrund. Der Draht nach Deutschland bleibt auch beruflich erhalten. Mit Lutz Michael Fröhlich, dem Schiedsrichterchef im DFB, tauscht sich Steinhaus-Webb regelmäßig über ihre Arbeit aus.

"EM in England wird Fußball noch mal pushen"

Die Women's Super League, in der ausnahmslos Teams mit finanzstarken Männer-Clubs im Hintergrund vertreten sind, hat in puncto Sichtbarkeit bereits ein ganz anderes Level erreicht als die Frauen-Bundesliga. Ein Fernsehvertrag mit der BBC und Sky Sport garantiert die Live-Übertragung der Hälfte aller Spiele in der englischen Topliga - häufig zur besten Sendezeit.

Während beim deutschen Pokalfinale zwischen dem VfL Wolfsburg und Turbine Potsdam 17.500 Zuschauer im Kölner Stadion waren, sahen auf der Insel 49.000 Zuschauer das FA-Cup-Finale der Frauen zwischen Chelsea und Manchester City. Über zwei Millionen haben es im Fernsehen verfolgt.

Zudem will das "Mutterland des Fußballs" mit der Frauen-Europameisterschaft im Juli neue Maßstäbe setzen. Von 400.000 verfügbaren Tickets sind laut UEFA bereits 55 Prozent verkauft. Das Finale wird im Wembley-Stadion angepfiffen. Das hautnah miterleben zu dürfen, empfindet Steinhaus-Webb als Privileg. "Das ganze Land ist verrückt nach der EM", sagt sie. "Das wird den Fußball, gerade in Europa, noch mal nach vorne pushen."

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