HSV im Formtief: Keine Mentalitäts-, sondern eine Qualitätsfrage
Der HSV droht auch in seiner vierten Zweitliga-Saison den Aufstieg zu verpassen. Das glückliche 1:1 bei Fortuna Düsseldorf war bereits das vierte sieglose Spiel in Folge. Und die Leistung der Hamburger gab Rätsel auf.
Böse Zungen konnten am Sonnabendnachmittag behaupten, dass Robert Glatzel nicht sonderlich beliebt ist bei seinen Mitspielern. Denn Gratulanten gab es beinahe keine, nachdem der Torjäger kurz vor Ultimo per Kopf den Ausgleich erzielt hatte. Statt den 28-Jährigen für seine Bude zu knuddeln, begaben sich die Schützlinge von Coach Tim Walter schnellen Schrittes in die eigene Hälfte. Wohl selten zuvor wurde ein Last-Minute-Tor, das einen Punktgewinn sicherte, so emotionslos von einer HSV-Mannschaft gefeiert.
Nun gründete das natürlich nicht auf dem Standing von Glatzel im Team, sondern der Hamburger Gier, dem späten 1:1 noch den Siegtreffer folgen zu lassen. "Wir wollten noch einmal alles nach vorne schmeißen", erklärte der Stürmer. Für einen weiteren "Lucky Punch" reichte die Zeit aber nicht mehr.
Rückstand auf direkte Aufstiegsplätze angewachsen
Und so ließen die in der Vorwoche von Corona ausgebremsten Schützlinge von Coach Tim Walter im Aufstiegskampf erneut Federn. Der Rückstand auf Tabellenführer FC St. Pauli und dessen punktgleichen Verfolger Werder Bremen beträgt bereits neun Zähler. Darmstadt 98, das Relegationsplatz drei belegt, hat sechs Punkte Vorsprung. Das Sehnsuchtsziel Bundesliga liegt für den HSV derzeit in weiter Ferne, auch wenn er noch die Nachholpartie gegen Erzgebirge Aue in der Hinterhand hat.
Schonlau beklagt fehlende Intensität
Warum die vor wenigen Wochen noch so selbstbewusst und auch fußballerisch überzeugend aufgetretenen Hamburger in Düsseldorf eine derart fahrige, phasenweise fast schon blutleere Vorstellung zeigten, war rätselhaft. An den Corona-Infektionen einiger Spieler, die auch zur Absage der Partie gegen Aue in der Vorwoche geführt hatten, habe es nicht gelegen, sagte Walter: "Der Tank war voll." Und die Flasche doch irgendwie leer, um es mit den Worten der italienischen Trainer-Legende Giovanni Trapattoni zu sagen.
"Wir haben einfach nicht auf den Platz gekriegt, was uns auszeichnet. Uns hat komplett die Intensität gefehlt", beklagte HSV-Kapitän Sebastian Schonlau. Mitstreiter Glatzel ergänzte: "Wir haben viel zu langsam gespielt."
Walter lobt Mentalität seines Teams
Einsicht ist bekanntlich der erste Schritt zur Besserung. Dass die Hanseaten nach ihrer energielosen und fußballerisch uninspirierten Leistung in Düsseldorf so selbstkritisch waren, spricht für den Charakter des Teams. In puncto Mentalität war dem HSV im bisherigen Saisonverlauf anders als in den Vorjahren ohnehin noch nichts vorzuwerfen. "Sie hören nie auf und glauben immer bis zur letzten Sekunde daran, dass sie etwas mitnehmen können", lobte Walter seine "Equipe". Der späte Ausgleichstreffer sei eine "absolute Willensleistung" gewesen, erklärte der 46-Jährige.
Kein Blatt Papier scheint zwischen ihn und sein Team zu passen. Es ist vielleicht die größte Leistung des Trainers, eine verschworene Gemeinschaft geformt zu haben. Eine solche gab es in den Vorjahren nicht immer im Volkspark. Dafür hatte der HSV in seinen ersten drei Zweitliga-Spielzeiten vielleicht bessere Individualisten in seinen Reihen als aktuell.
Kittel und Co. derzeit außer Form
Die momentane Formdelle gründet primär auf einer Schaffenspause der Kreativabteilung. Zweitliga-Topscorer Sonny Kittel war in Düsseldorf wie bereits zuvor bei der 1:2-Niederlage beim 1. FC Nürnberg kein Faktor. Winterzugang Giorgi Chakvetadze wirkte gar wie ein Fremdkörper im Hamburger Spiel. Und Youngster Faride Alidou, der vor dem Jahreswechsel und seinem dann verkündeten Sommer-Abschied noch ein Unterschiedsspieler war, ist inzwischen nur noch Ersatz. Auf Mikkel Kaufmann verzichtete Walter trotz spärlicher Mittelstürmer-Alternativen freiwillig. Der Däne wurde aus disziplinarischen Gründen zur U21 beordert.
Somit saß gegen die Fortuna in Manuel Wintzheimer noch genau ein gelernter Mittelstürmer auf der Bank. Dass der 23-Jährige erst in der 86. Minute eingewechselt wurde, zeugt von keiner sonderlich großen Wertschätzung seines Trainers für ihn. Es könnte den HSV in der Endabrechnung teuer zu stehen kommen, in der Winterpause mit Ausnahme von Chakvetadze keine weiteren Verpflichtungen getätigt zu haben.
Glatzel: "Wir geben auf keinen Fall auf!
Noch ist der Aufstiegstraum nicht geplatzt, auch wenn die Tendenz gegen Hamburgs Bundesliga-Rückkehr spricht. "Wir geben auf keinen Fall auf. Wir müssen bis zum Ende kämpfen. Ich glaube, dass wir es noch schaffen können, wenn wir eine Leistungssteigerung hinbekommen", sagte Glatzel. Die nächste Gelegenheit, den Turnaround zu schaffen, bietet sich am 2. April gegen den SC Paderborn. Das Hinrunden-Duell gewann der HSV mit 2:1.
Dass der Siegtreffer durch den inzwischen wieder in die englische Heimat zurückgekehrten Tommy Doyle in der vierten Minute der Nachspielzeit fiel, zeugte bereits damals von der großen Moral der Hamburger. Die ist - siehe Düsseldorf - bis heute vorhanden. Die große Frage aber bleibt, ob nicht nur die Mentalität, sondern auch die Qualität ausreicht, um am Ende aufzusteigen.
