Edina Müller: "In Kriegszeiten darf kein Russe Medaillen gewinnen"
Die zweimalige Paralympics-Siegerin Edina Müller hat den Ausschluss der russischen und belarussischen Mannschaften in Peking als alternativlos und richtig bezeichnet. Dem Internationalen Paralympischen Kommitee (IPC) macht sie trotzdem Vorwürfe - und fordert eine Anpassung der olympischen Charta.
"Dass das IPC es verpasst hat, angesichts des russischen Angriffskrieges in der Ukraine sofort ein Zeichen zu setzen, ist schon bitter", sagte die Hamburgerin dem NDR. Der paralympische Verband hatte sich zunächst auf die olympische Charta berufen, Politik und Sport seien voneinander zu trennen. Erst als verschiedene Verbände mit Boykott der Winter-Paralympics drohten und es zu ersten Zusammenstößen im Athletendorf gekommen war, knickte das IPC ein und schloss Russland und seinen belarussischen Unterstützer im Ukraine-Krieg doch aus.
Auch wenn die 38-Jährige das Ergebnis ausdrücklich befürwortet, hat sie für das Vorgehen des IPC kein Verständnis: "Es ist offensichtlich, dass der Ausschluss nicht aus den richtigen Gründen erfolgt ist. Dabei ist doch ganz klar, dass wir unsere Werte verteidigen müssen - besonders in Krisenzeiten. Der olympische Frieden ist gebrochen worden. Sich dann dahinter zu verstecken, dass die Paralympics unpolitisch seien, ist nicht in Ordnung."
Entscheidung "trifft viele Falsche, aber auch viele Richtige"
Müller, die selbst Gold im Rollstuhlbasketball und Para-Kanu gewonnen hat, weiß, wie bitter dieser Ausschluss für die Sportlerinnen und Sportler sein muss. "Es trifft natürlich viele Falsche. Für sie tut es mir wirklich sehr leid", betont sie. "Aber es trifft auch viele Richtige, die Feuer und Flamme für den russischen Krieg sind. Was ich an sich schon schockierend genug finde."
"Alle Russinnen und Russen, ob sie für oder gegen den Krieg sind, stehen bei einer solchen Veranstaltung nicht für sich. Sie repräsentieren Russland." Edina Müller
Überhaupt sei aktuell das Wichtigste, "dass niemand bei den Paralympics zeigt, wie 'groß und toll' Russland ist. Alle, ob sie für oder gegen den Krieg sind, stehen bei einer solchen Veranstaltung nicht für sich. Sie repräsentieren Russland. Und in Kriegszeiten darf kein Russe Medaillen gewinnen."
Während der Sommerspiele die Taliban, jetzt Russland
Stimmen, die fordern, dass während dieses Krieges keine sportlichen Wettkämpfe stattfinden sollten, widerspricht Müller energisch: Der Sport müsse "seine Rolle als Vorreiter und Vorbild für so viele Menschen weitergehen". Zumal nicht nur der Sport eine ungeahnte, fast weltweite Einigkeit gegen Russland zeige. "Das habe ich so noch nie erlebt", staunt die Athletin. Es sei zudem ganz wichtig, dass die Ukrainerinnen und Ukrainer, die jetzt in China bei den Wettkämpfen mit dabei sind, ihre Geschichte erzählen können.
"Ich weiß noch, wie es im Sommer mit den Afghanen in Tokio gewesen ist, die trotz der Situation in ihrem Land mit den Taliban zu den Paralympics gekommen sind", sagt Müller. "Zumindest für die Zeit der Paralympics standen sie im Rampenlicht und alle konnten hören und lesen, unter welchen Umständen sie gerade leben."
"So ein Prozess vor dem CAS kann dauern"
Dass Russland offenbar darauf verzichtet, vor dem CAS gegen den Ausschluss von den Paralympics vorzugehen, freut sie. Falls es doch noch zur Anrufung der höchsten Sportgerichtsbarkeit kommen sollte, setzt Müller darauf, dass sich der CAS Zeit lässt: "So ein Prozess kann ja dauern, und ich hoffe, dass da niemand auf die Idee kommt, sich in diesem Fall zu beeilen", erklärt die gebürtige Rheinländerin.
Allerdings geht sie davon aus, dass die von allen Nationen unterschriebenen gemeinsamen Ziele der Charta ohnehin ausreichen müssten, um Russland von den Spielen auszuschließen.
Müller fordert Anpassung der olympischen Charta
Damit es in Zukunft gar nicht erst zu ähnlichen Fällen kommen kann, fordert Müller eine Anpassung der olympischen Charta. "Unser Leben ist ständig im Wandel, wir müssen uns immer weiterentwickeln. Natürlich gilt es, an den Grundregeln unserer Gesellschaft festzuhalten. Aber auch eine olympische Charta muss sich entwickeln", betont Müller. "Das System darf nicht starr sein. Vor allem nicht, wenn man die Charta - obwohl der gesunde Menschenverstand es ohnehin sagt - braucht, um sich für Entscheidungen zu rechtfertigen."
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