Niclas Füllkrug von Werder Bremen beim Torjubel © IMAGO/Joachim Sielski

Datencheck: Ist Werder-Stürmer Füllkrug einer für Flick?

Stand: 04.10.2022 11:30 Uhr

Hat Deutschland gut sieben Wochen vor dem WM-Auftakt in Katar gegen Japan ein Sturmproblem? Viele sagen "Ja" - und haben auch schon die Lösung: Niclas Füllkrug. Aber ist der Angreifer von Werder Bremen wirklich einer für Bundestrainer Hansi Flick? Die Fakten im Datencheck.

von Florian Neuhauss

Spätestens nach seinen Saisontoren sechs und sieben beim 5:1-Erfolg der Bremer gegen Borussia Mönchengladbach kochte die Stimmung hoch. Bei den Werder-Fans sowieso, die nach dem Abpfiff "Lücke für Deutschland" sangen. "Lücke", das ist wegen einer prägnanten Zahnlücke der Spitzname des 1,88-Meter-Mannes. Aber nicht nur die mit der grün-weißen Brille haben sich auf den gebürtigen Hannoveraner, der noch nie für die A-Nationalmannschaft nominiert worden ist, als Retter der Nation festgelegt. Auch zwei verdiente Nationalspieler können sich das durchaus vorstellen.

"Er ist sehr frech. So einen Spieler kann man gebrauchen, gerade bei einem Turnier." Bastian Schweinsteiger

"Wenn er so spielt wie gegen Mönchengladbach, zwei Tore gemacht, eine Traumvorlage gegeben, auch sonst gut mitgespielt, vorne wuchtig, kopfballstark, aggressiv - so einer fehlt der Mannschaft", sagte Rekordnationalspieler Lothar Matthäus. Und Bastian Schweinsteiger unterstrich: "Ich mag, dass er nicht viel nachdenkt, er ist sehr frech. So einen Spieler kann man gebrauchen, gerade bei einem Turnier."

Füllkrug würde andere Qualitäten ins Nationalteam bringen

Wie ein Blick auf die GSN-Daten zeigt, bringt Füllkrug, wenngleich er vor wenigen Monaten noch mit Werder in der Zweiten Liga kickte, internationale Klasse mit. Sein aktueller GSN-Index liegt bei 70,06 - sein möglicher sogar bei 74,96. Sein durchschnittlicher Performance-Score über die gesamte Profikarriere liegt bei 55,11 und damit sogar über dem von Lukas Nmecha (54,17). Und der Stürmer des VfL Wolfsburg, den zuletzt eine Knieblessur bei der Nationalmannschaft ausbremste, bringt es mittlerweile immerhin auf sieben Länderspiel-Einsätze. Und wenn er fit ist, ist er ein fester Bestandteil des Flick'schen Kaders.

Für Füllkrug spricht neben der Tatsache, dass er nach seinem Doppelpack gegen Gladbach die Bundesliga-Torschützenliste anführt, auch, dass er ein anderer Spielertyp ist als die aktuellen Nationalstürmer. Der 29-Jährige ist ein sogenannter "Zielspieler".

Der flinke Timo Werner hingegen gilt als "Pressingstürmer", Nmecha ist "Knipser" und Kai Havertz, der beim jüngsten 3:3 in Wembley gegen England von Beginn als einzige Spitze auflief, ist eigentlich ein offensiver Mittelfeldspieler. Und Letzterer könnte durch einen neuen Mittelstürmer frei werden für seine Idealposition, auf der er mit einem GSN-Index von 93,30 Weltklasse verkörpert und besonders seine großen Stärken im Passspiel, bei Antizipation, Technik, Entscheidungsfindung, Kreativität und offensiver Raumfindung noch besser ausspielen könnte.

Füllkrug macht viel aus wenig - aber auch Fehler

Füllkrug muss den Vergleich in dieser Saison mit keinem der Drei scheuen. Mit seinen sieben Liga-Toren liegt er ohnehin vor Werner, Nmecha (beide 3) und Havertz (1). Aber er ist mehr als ein erfolgreicher Torjäger. Mit 64 Aktionen pro 90 Minuten liegt Füllkrug im direkten Vergleich klar vorn - Havertz als Zweiter kommt auf 56. Auch mit seinen 1,4 Schüssen aufs Tor, 31 Pässen, 0,82 Schlüsselpässen und sogar mit seiner Erfolgsquote bei den Dribblings (69,26 Prozent) ist er der Beste.

Allerdings verzeichnet auch keiner so viele Ballverluste wie er (14) und seine Passquote von 67,74 Prozent ist im Vergleich des Quartetts die schwächste. Kurz gesagt: Füllkrug ist der Aktivste der vier Stürmer - aber leistet sich dabei auch einige Fehler mehr.

Trotzdem ist festzuhalten, dass der Werder-Stürmer einiges aus seinen Möglichkeiten macht. 0,6 Expected Goals stehen tatsächlich 0,82 gegenüber. Während die Nationalspieler zuletzt wenig aus viel machten, macht Füllkrug viel aus wenig. Und auch, dass er vier seiner sieben Treffer per Direktabnahme erzielt hat, könnte für ihn sprechen. Entsteht bei der DFB-Elf doch immer wieder der Eindruck, das Team sterbe in Schönheit, anstatt "einfach" das Tor zu machen.

Bei Werder Bremen auf den Spuren von Völler und Klose

Die deutsche Mittelstürmer-Nation hat seit Miroslav Klose keinen solchen mehr hervorgebracht. Aber selbst Vergleiche zum deutschen Rekordtorjäger werden aktuell gezogen. Mit seinem siebten Saisontreffer nach acht Spieltagen hat Füllkrug nämlich für Werder so viele Tore erzielt wie letztmals "Miro" in der Saison 2005/2006. Einzig Rudi Völler hatte 1985 zu Bremer Zeiten zum gleichen Zeitpunkt in der Saison noch mehr Treffer auf dem Konto (8). "Rudi Völler war ein Guter", sagte Füllkrug auf die Statistik angesprochen.

Überhaupt macht der überall gelobte Stürmer dieser Tage nahezu alles richtig. Er liefert auf dem Platz ab und hält außerhalb des grünen Vierecks den Ball flach. Nach einer möglichen WM-Teilnahme gefragt, sagte er: "Ich bin da entspannt. Mich erfüllt es, meine Bestleistung auf den Platz zu bringen. Mein Einflussbereich ist meine Leistung." Und wegen dieser gibt es gleichzeitig überhaupt keinen Grund, das eigene Licht unter den Scheffel zu stellen. "Dass ich jetzt meine Leistung abrufen kann, ist kein Zufall, sondern hat viel mit Fitness und Gesundheit zu tun", betonte Füllkrug, der mit seinen 19 Treffern schon großen Anteil an der Bremer Bundesliga-Rückkehr hatte.

Harter Weg statt steiler Karriere

Sollte dem Niedersachsen wirklich noch der Sprung in den WM-Flieger gelingen, es wäre ihm zu gönnen. Er hat viel geleistet, um dort zu stehen, wo er gerade ist. Schon in seiner ersten Bundesliga-Saison als Stammspieler (2017/2018) hatte er seinen Heimatverein Hannover 96 mit 14 Toren zum Klassenerhalt geschossen. Borussia Mönchengladbach bot damals bis zu 18 Millionen Euro - Clubboss Martin Kind aber lehnte ab. Und statt der großen Karriere wartete erst mal eine lange Leidenszeit auf Füllkrug. Zwei langwierige Knorpelschäden im Knie und ein Kreuzbandriss bremsten den Höhenflug jäh.

"Leistungen sollten belohnt werden. Für mich ist er momentan der beste deutsche Stürmer." Werder-Stürmer Marvin Ducksch

Noch vor einem Jahr wäre ihn der damalige Werder-Trainer Markus Anfang wohl am liebsten losgeworden. Doch all diese Erfahrungen haben den Stürmer reifer, fokussierter und auch selbstbewusster gemacht. Beim Umgang mit seinen schweren Verletzungen setzte er irgendwann entgegen der ärztlichen Empfehlungen auf Muskelaufbau statt auf Schonung. Der Erfolg gibt ihm jetzt Recht. "Leistungen sollten belohnt werden. Für mich ist er momentan der beste deutsche Stürmer", sagte Marvin Ducksch, sein kongenialer Partner bei Werder.

Systemfrage bei Flick als großer Knackpunkt?

Doch gerade seine Stärke in Bremen könnte für die Aussichten in der Nationalmannschaft (bisher 17 Einsätze und 8 Tore in deutschen Nachwuchsteams) zum Problem werden. Denn Füllkrug ist laut der Daten mit einem Nebenmann viel stärker, als er es als alleiniger Angreifer wäre (5,24 Performance-Punkte mehr). Flick hat seine DFB-Elf in der Nations League zu 80 Prozent im 4-2-3-1 und zu 10 Prozent im 3-4-2-1 spielen lassen. Unwahrscheinlich also, dass er nun kurz vor der WM alles über den Haufen wirft.

Dass Füllkrug nun plötzlich zur WM im Kader steht, erscheint hingegen nicht so utopisch, wie es "Sky"-Experte Dietmar Hamann gerade erklärt hat. Er könne sich nicht vorstellen, dass nach zwei Jahren Vorbereitung auf einmal noch ein ganz neuer Spielertyp hinzugenommen werde. Aber die Bundestrainer haben in der Vergangenheit immer wieder Last-Minute-Entscheidungen getroffen. Und auch Flick hat bereits gesagt, sich Überraschungen vorzubehalten.

Bleibt nur die Frage, ob Füllkrug den entscheidenden Mann mit seinen Qualitäten überzeugen kann - den Bundestrainer. Der 29-Jährige wird besonders seine Qualitäten im Kopfballspiel, seine aggressive und nimmermüde Spielweise in die Waagschale werfen müssen. Alles, was ihn vielleicht von seinen Konkurrenten im Kampf um einen Platz im WM-Kader unterscheidet. Und wenn er weiter so trifft, hat Hansi Flick womöglich tatsächlich ein Ticket nach Katar für ihn.

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Dieses Thema im Programm:

Sportclub | 02.10.2022 | 22:50 Uhr

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