So wird die Landesregierung in der Corona-Krise beraten
Schleswig-Holsteins Landesregierung lässt sich während der Corona-Pandemie von zehn Wissenschaftlern beraten. Deren unterschiedliche Fachrichtungen führen zu unterschiedlichen Ansätzen.
von Andreas Schmidt
Es ist ein magischer Moment, wenn die Morgensonne zwischen den Häusern durchkommt. Dann taucht sie den noch bereiften Rasen des Wacholderparks in Hamburg in ein glitzrig-goldenes Licht. In den Bäumen hört man die Vögel zwitschern. Gabriel Felbermayr kommt jetzt häufiger hierher, um frische Luft zu schnappen. Der Wirtschaftswissenschaftler ist Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW). Normalerweise sitzt er in seinem Kieler Büro oder ist in der ganzen Welt unterwegs. Jetzt sitzt er meist zu Hause in der Nähe des Hamburger Flughafens Fuhlsbüttel. Dadurch dass kaum noch ein Flugzeug startet, ist es ruhiger in seiner Wohngegend - immerhin.
Ökonom Felbermayr: "Es schlottern einem die Knie"
Gabriel Felbermayr ist einer von zehn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die im Moment die Landesregierung beraten. Die Politik ist ihm nicht fremd. Auch nicht, dass seine Meinung nachgefragt wird. Aber die Geschwindigkeit, in der alles passiert, die sei schon atemberaubend. "Normalerweise haben wir für eine Wirtschaftsprognose drei Monate Zeit, bei manchen Themen sprechen wir über Dekaden. Jetzt fallen milliardenschwere politische Entscheidungen innerhalb von Tagen. Da schlottern einem schon die Knie," sagt Felbermayr.
Er ist es gewohnt, in unterschiedlichen Szenarien zu denken. Jetzt aber muss er noch viel genauer überlegen, was er der Politik rät, da manche Konzepte unmittelbar umgesetzt werden und nicht mehr revidierbar sind. "Da wird einem schon mulmig."
Gremium tritt vor Ministerpräsidentenkonferenz zusammen
An einem Dienstagmorgen in der Kieler Staatskanzlei. Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) kommt in den eigens für Videokonferenzen eingerichteten Raum. Nach und nach erscheinen auf den Großbildschirmen die Gesichter von zehn Expertinnen und Experten, von der Psychiaterin über den Wirtschaftswissenschaftler bis hin zum Krisenforscher. Immer wenn eine Ministerpräsidentenkonferenz ansteht, tritt das Gremium virtuell zusammen.
"Es gibt nicht viele Menschen, die ich im letzten Jahr häufiger getroffen habe als diese Expertinnen und Experten. Und dass man das über Menschen sagt, die einem zum größten Teil noch nie persönlich begegnet sind, das ist schon eine ungewöhnliche Konstellation", sagt der Ministerpräsident.
Psychologin: "Lage vergleichbar mit einem Kriegsgebiet"
Häufig rieten ihm die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler völlig gegensätzliche Dinge, erzählt Daniel Günther. Zu jedem Thema gibt es im Expertenrat zehn Perspektiven, alle seien gut begründet. Zum Beispiel die von Professorin Kamila Jauch-Chara. Die Ärztin leitet das Zentrum für integrierte Psychiatrie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) in Kiel.
Sie beobachtet immer mehr psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen: Ängste, Depressionen, aber auch psychisch bedingte Bauch- und Kopfschmerzen. "Die Lage ist durchaus vergleichbar mit einem Kriegsgebiet. Die Menschen haben das Gefühl, die Kontrolle über ihr Leben verloren zu haben. Das belastet vor allem Kinder und Jugendliche", sagt Jauch-Chara.
Wächst in der Pandemie eine traumatisierte Generation heran?
Deswegen versuche sie immer, auf ein "so viel wie möglich" bei den Öffnungen der Schulen und Kitas hinzuwirken. Die Virologen mahnen dagegen zur Vorsicht. Kamila Jauch-Chara sorgt sich natürlich auch um die aktuellen Infektionszahlen, warnt aber auch vor einer ganz anderen Welle. "Die psychischen Schäden, die Kinder und Jugendliche jetzt in der Isolation erleiden, werden erst in zehn bis 15 Jahren richtig offenbar, wenn sie Erwachsene sein werden." Es drohe eine traumatisierte Generation.
Das Risiko trägt am Ende immer die Politik
Der stufenweise Öffnungsplan, nach dem die Landesregierung jetzt arbeitet, ist ein Ergebnis des wochenlangen Abwägens der unterschiedlichen Fachrichtungen. Am Ende muss die Politik entscheiden und das Risiko tragen, falsch zu liegen. "Das nimmt mir keiner ab", sagt Ministerpräsident Günther. Doch irgendwann wird diese Krise hoffentlich zu Ende gehen. "Dann haben wir fest verabredet, uns mal persönlich an einem Tisch zu treffen."
Der Expertenrat der Landesregierung im Überblick
