Schaukästen mit Schriftstücken und Bildern hängen im Landesarchiv Schleswig-Holstein. © picture alliance/dpa Foto: Frank Molter

Ausstellung: SS-General, Bürgermeister, Abgeordneter

Stand: 26.08.2022 21:39 Uhr

Heinz Reinefarth verantwortete während des Warschauer Aufstands 1944 Massaker an Zivilisten. Nach dem Krieg wurde er Bürgermeister und Landtagsabgeordneter. Eine Ausstellung zeichnet seine Karrieren nach.

von Peer-Axel Kroeske

Heinz Reinefarth (l.) in Nazi-Uniform.
Heinz Reinefarth (l.) machte als Nazi Karriere, wurde SS-General.

Es ist kaum zu fassen: Ein ehemaliger SS-General war mehr als 13 Jahre lang nach dem Krieg Bürgermeister von Westerland und von 1958 bis 1962 sogar Landtagsabgeordneter in Schleswig-Holstein. Nicht nur das: Heinz Reinefarth trug die Verantwortung, als in Warschau zwischen 15.000 und 60.000 Zivilisten erschossen wurden. Genaue Zahlen gibt es nicht. Dies war 1944 die Antwort des NS-Regimes auf den Warschauer Aufstand, ein Jahr nach der Vernichtung des Warschauer Ghettos. Dass Nazis nach dem Krieg in leitenden Positionen landeten, ist bekannt. Aber dieser Fall ist einzigartig. Das Landesarchiv in Schleswig dokumentiert ihn.

Massaker an jeder Straßenecke

Reinefarths Stimme klingt ruhig, fast mild: "Den Auftrag erhielt ich von Himmler. Der Auftrag lautete, den Warschauer Auftrag binnen 48 Stunden niederzuschlagen." Der Dokumentarfilm des Sender Freies Berlin (SFB) ist in der Ausstellung zu sehen. Der Kommentator stellt gegenüber, was in Warschau geschah: "Hinter diesem Hauseingang 800 Menschen erschossen, darunter 20 Priester." Die Aufzählung der Orte und Toten nimmt kein Ende. Eine Wanderausstellung des polnischen Pilecki-Instituts dokumentiert in Schleswig anhand mehrerer persönlicher Schicksale, was sich im Warschauer Stadtteil "Wola" ereignete.

Beliebter Sylter Bürgermeister und Rechtsanwalt

Archivbild von Heinz Reinefarth.
Nach dem Krieg folgte die zweite Karriere Reinefarths: Er wurde Bürgermeister, später Landtagsabgeordneter.

Reinefarth hatte den Befehl, alle Menschen in Warschau ermorden zu lassen, die nicht deutsch waren. "Habe weniger Munition als Gefangene," soll er zurückgemeldet haben. Und das meinte er womöglich ganz sachlich. Kuratorin Julia Liedtke beschreibt, wie er später auf Sylt wahrgenommen wurde: "Er war wohl tatsächlich vom Charakter ein sehr höflicher, zurückhaltender, bescheidener Mann. Es ist auch überliefert, dass er sehr beliebt in der Bevölkerung war, als Bürgermeister und als Rechtsanwalt später."

Emotionslose Pflichterfüllung

Ole Fischer vom Landesarchiv sieht ein Muster in Reinefarths Verhalten: "Er ist immer so, dass er sagt: Das war meine Aufgabe und ich habe genau das getan, was mir gesagt wurde. Das macht er eben mit einer Indifferenz, die mich immer wieder erschauern lässt." Heute erschüttert, dass Reinefarth 1951 Bürgermeister von Westerland werden konnte, obwohl seine Vorgeschichte bekannt war. Als Abgeordneter der Partei "Gesamtdeutscher Block / Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten" saß er von 1958 bis 1962 sogar im Schleswig-Holsteinischen Landtag.

Staatsanwaltschaft Flensburg nimmt zweimal Anlauf

Archivdirektor Rainer Hering meint: "Ich glaube, dass viele das nicht vertiefen wollten. Es hat bestimmt Leute gegeben, die Schwierigkeiten damit hatten, aber man wollte das System und den Wiederaufbau nicht stören." Ein DDR-Dokumentarfilm über Reinefarth schlug 1957 einige Wellen. Ermittlungen begannen, wurden wieder eingestellt. Weggefährten sprachen sich bei den Zeugenaussagen ab - auch das dokumentiert die Ausstellung.

"Individuelle Schuld" nicht nachweisbar

120 Aktenbände füllten schließlich in den 1960er Jahren die Regale bei der Staatsanwaltschaft Flensburg. Dennoch wurde Reinefarth nicht verurteilt. Die entscheidenden Seiten aus dem Abschlussbericht sind in der Ausstellung zu sehen. Ole Fischer stellt fest: "Es hing an einzelnen Details: Dem Nachweis der Befehlskette, die dann den Nachweis der individuellen Schuld aus damaliger Sicht nicht möglich machte." Heute würde die Justiz den Fall anders bewerten, ist Fischer sich sicher.

Reinefarth auf der Flucht

Er stellte sich sogar als Befehlsverweigerer dar, ergänzt Kuratorin Liedtke: "Er war kurz vor Kriegsende Festungskommandant in Küstrin und hat entgegen ausdrücklichem Führerbefehl die Stadt nicht bis zum letzten Mann gehalten, sondern hat sich beim Anrücken der Roten Armee mit den Verbliebenen hinter die deutschen Linien zurückgezogen." Dafür hätte ihm sogar die Todesstrafe gedroht. Vielleicht rettete Reinefarth dadurch 1.500 Menschen, meint Liedtke, was ihn natürlich noch lange nicht zum Widerstandskämpfer gemacht habe.

Bis zum Tod 1979 geachteter Sylter

Besucher Klaus Keil-Stienen betrachtet die Stelltafeln über die Massaker in Warschau und dann die Plakate für Reinefarths Partei. "Heimat verpflichtet" steht da. In einem Zeitungsartikel sieht man Reinefarth bei der Einweihung einer neuen Autorampe auf Sylt. Stienen meint: "Ja, ein korrekter, erfolgsorientierter, eiskalter Mensch, der Gefühle von Pflichterfüllung sauber getrennt hat." Silke von Bremen, Gästeführerin und Autorin auf Sylt, findet die Ausstellung gut strukturiert: "Ich stehe gerade vor dem Nachruf aus der Sylter Rundschau von Heinz Reinefarth, der wirklich sehr milde formuliert ist."

Verstärkte Aufarbeitung seit 2014

Die Inselzeitung lobt 1979 noch seine Verdienste und erwähnt nur am Rande, seine "Haltung" beim Warschauer Aufstand sei ungeklärt geblieben. Auf der Insel wurde 2014 nach langer Diskussion eine Gedenktafel angebracht. Eine Pastorin habe sich sehr für die Aufarbeitung eingesetzt, doch noch immer werde auch manchmal lieber geschwiegen, sagt Silke von Bremen. Oder wie ein Besucher meint: "Das ist 60 Jahre zu spät." Die Ausstellung über Heinz Reinefarth und den Warschauer Aufstand ist bis Ende März 2023 im Landesarchiv in Schleswig zu sehen, jeweils montags bis freitags von 8.30 bis 17 Uhr. Der Eintritt ist frei.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Moin! Schleswig-Holstein – Von Binnenland und Waterkant | 26.08.2022 | 19:40 Uhr

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