Sendedatum: 05.05.2014 22:45 Uhr

Streit über Ex-Nazi-Bürgermeister auf Sylt

von Tom Fugmann
Archivbild von Heinz Reinefarth.
Heinz Reinefarth war Kriegsverbrecher - und später Bürgermeister von Westerland.

Auf Sylt, der Insel der Reichen und Schönen, mag man keine Probleme - erst recht nicht, wenn sie aus der braunen Vergangenheit kommen. Doch jetzt tauchen sie bei der Frage, wie man mit einem ehemaligen Bürgermeister umgehen soll, wieder auf: Der einstige Generalmajor der Waffen-SS, Heinz Reinefarth, war von 1951 bis 1964 Bürgermeister von Westerland und zwischenzeitlich sogar Landtagsabgeordneter. "Das ist ein Kriegsverbrecher und ein Mörder, das muss man sich mal klarmachen", sagt die amtierende Bürgermeisterin Petra Reiber heute. "Ein Mörder in einem öffentlichen Amt. So ein öffentliches Amt hat Vorbildfunktion."

Heinz Reinefarth: der "Henker von Warschau"

Der Grabstein von Heinz Reinefarth und seinen Angehörigen in Keitum auf Sylt.
Für seine Taten wurde Heinz Reinefarth nie zur Rechenschaft gezogen. In Keitum liegt der "Henker von Warschau" begraben.

Auf dem Friedhof in Keitum liegt Heinz Friedrich Reinefarth begraben. Er starb 1979. Nur das Eiserne Kreuz erinnert an seine militärische Vergangenheit. Die ganze Wahrheit sieht anders aus. Und der stellt man sich auf Sylt erst jetzt. Reinefarth wurde der "Henker von Warschau" genannt: Während des Warschauer Aufstandes im Sommer 1944 befahl er, auch Zivilisten umzubringen. Allein am 5. August wurden auf sein Kommando im Stadtteil Wola 10.000 Menschen hingerichtet. "Die Kinder und Frauen wurden alle an Ort und Stelle umgebracht", erzählt Janusz Brochwicz-Lewinski, damaliger Offizier im Warschauer Aufstand. "Die haben auch Leute im Krankenhaus umgebracht: Ärzte, Krankenschwestern und Patienten. Wenn die ein Krankenhaus erobert haben, haben sie alle erschossen, an Ort und Stelle. Das bedeutet, diese Menschen haben keine menschlichen Gefühle gehabt, überhaupt keine."

Alte SS-Kameraden bürgten für Reinefarth

1951 wird Heinz Reinefarth Bürgermeister von Westerland. Sein Entnazifizierungsverfahren war eine Farce, weil alte SS-Kameraden für ihn bürgten. 1957 besucht ein Filmteam den Bügermeister. Es kommt aus der DDR, doch das ist nicht bekannt. Die Reporter geben vor, ein Inselporträt machen zu wollen. Tatsächlich jedoch geht es ihnen um Reinefarths Nazivergangenheit. Der Film vermischt Wahrheit und DDR-Propaganda: Originaldokumente belegen sehr konkret Reinefarths Schuld. Und am Ende heißt es markig: "Unzählige Reinefarths haben Kommandostellen in Westdeutschland besetzt. Im Staat, in der Wirtschaft, in der Armee. Sie warten auf den neuen Einsatz."

Eberhard Eberle, Vorstandsvorsitzender der SPD Sylt. © NDR
Eberhard Eberle ist Chef der Sylter SPD.

Die Vorwürfe gegen Reinefarth werden als Kalte-Kriegs-Propaganda aus dem Osten abgetan, er bleibt weiter im Amt. "Er wirkte sehr unauffällig", erzählt Eberhard Eberle von der SPD Sylt. "Er hatte seine Baskenmütze auf und fuhr viel mit dem Fahrrad. Hatte eine Anwaltskanzlei in der Strandstraße. Aber wie gesagt, er war ein unscheinbarer Mensch. Dass er hilfsbereit war, wird ja auch immer wieder betont. Er hat das alles verdrängt und nach außen immer den biederen Bürger gegeben."

Reinefarth leugnete seine Beteiligung am Massenmord

Als sich die Vorwürfe erhärten und die polnische Staatsanwaltschaft Material über Reinefarths Rolle im Warschauer Aufstand liefert, wird endlich ermittelt. Doch Reinefarth, der ab 1958 auch im Landtag von Schleswig-Holstein sitzt, übersteht alle Verfahren unbeschadet; leugnet seine Beteiligung am Massenmord, nutzt alte Seilschaften und lässt frühere Kameraden für sich aussagen. Trotzdem wird 1961 seine Immunität als Abgeordneter aufgehoben, drei Jahre später tritt er als Bürgermeister zurück.

"Man müsste um Versöhnung und Vergebung bitten"

Petra Reiber, Bürgermeisterin von Westerland auf Sylt. © NDR
Die heutige Bürgermeisterin von Westerland, Petra Reiber, möchte, dass sich Sylt der Vergangenheit Reinefarths stellt.

Erst jetzt diskutiert man auf Sylt, wie mit dem Täter Reinefarth und seinen Opfern umgegangen werden soll. Ein Gedenkstein für den Warschauer Aufstand vor dem Rathaus soll es wohl werden, aber wird Reinefarths Name ausdrücklich draufstehen? Und reicht das? "Mit einem Gedenkstein ist es nicht getan", betont die Bürgermeisterin Westerlands. "Auf einen Gedenkstein können Sie nicht so viel draufschreiben. Eine Delegation der Gemeinde Sylt müsste eigentlich mal nach Warschau fahren. Der Aufstand jährt sich im August diesen Jahres. Man müsste um Versöhnung und Vergebung bitten."

Derzeit diskutiert ein eigens gegründeter Arbeitskreis den Text auf dem Gedenkstein. Sollen Reinefarths Kriegsverbrechen akribisch aufgeführt werden? Noch ist nichts entschieden. Der ehemalige Bürgermeister ist noch immer ein heikles Thema auf der Urlaubsinsel, denn als das Kulturjournal mit dem Pfarrer von Westerland, der Inselhistorikerin und dem Ortsvorsteher darüber sprechen will, gibt es kein Interview.

Weitere Informationen
Heinz Reinefarth, Westerländer Bürgermeister sitzt im Kieler Landtag  Foto: Screenshot

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur - Das Journal | 05.05.2014 | 22:45 Uhr

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