Ein abgelegenes Dorf an einem Fjord. © NDR Foto: Linea Kviske

Allein im Meer - Leben auf den Färöern

Stand: 17.07.2022 15:20 Uhr

Die Färöer sind eine Inselgruppe weit oben im kalten Nordatlantik. Sie wurde hauptsächlich von Wikingern besiedelt - zu einer Zeit, in der es hier kaum etwas gab, außer Wasser, Felsen, Gras und Fisch. Das ist heute anders. Doch warum leben Menschen hier?

von Linnéa Kviske

Helena und ich sitzen gegen 21.45 Uhr Uhr am Tisch und quatschen. Auf einmal fragt sie mich, ob ich mit ins Fitnessstudio will. "Jetzt, so spät?", frage ich. "Ja, das Dorf hat einen eigenen kleinen Fitnessraum, da kann man mit einem PIN-Code einfach so rein." Für die Kirche gilt das übrigens auch. So etwas ist normal hier, lerne ich. Also leihe ich mir von ihrem 14-jährigen Sohn Turnschuhe und fange 15 Minuten später an, auf dem Rudergerät zu schwitzen. Rudern ist der Nationalsport hier. Direkt vor dem Fenster liegt der stürmische Fjord. Es ist mein erster Abend bei Helena, ihrem Mann Magni, Sohn Aron und Tochter Mirijam.

Die 18 Inseln sind ein rauer Ort. Gelegen irgendwo zwischen Island, Norwegen und Schottland. Durch vulkanischen Basalt sind sie vor 60 Millionen Jahren gewachsen - eine Zeitspanne, von der ich mir nicht mal wirklich eine Vorstellung machen kann. Die Färöer sind ein autonomer Bestandteil Dänemarks, mit eigenem Parlament und eigener Sprache: Färöisch - eine Mischung aus Alt-Norwegisch und Isländisch.

Keine Scheu vor Fremden - Vielfältigkeit ist Trumpf

Helena, Magni, Aron und Mirijam sind vier der 53.000 Färöer. Sie leben in Skáli, dem Dorf, in dem Helena aufgewachsen ist. Allerdings muss man "wieder" sagen, denn nach der Schule sind Magni und Helena nach Kopenhagen gezogen. Durch Reisen haben sie viel von der Welt gesehen und kamen dann ganz bewusst zurück. "Hier sind die Türen immer offen. Es ist so sicher und ein Paradies für Kinder", erzählt Magni. "Deswegen wollten wir zurück. Gleichzeitig vermissen wir auch die Eindrücke aus aller Welt, die wir in Kopenhagen hatten."

Aus dem Grund sitze ich jetzt bei ihnen am Tisch. Die Familie nimmt ganz bewusst ein bis zwei Mal im Jahr Reisende auf. Sie wollen sich über Politik, Religion, Werte, über das Leben ganz allgemein austauschen. Ihre Kinder sollen mitbekommen, dass das Leben auf der Erde vielfältig ist. Die achtjährige Mirijam hat jedenfalls keine Scheu vor Fremden. Kurz nach unserem Kennenlernen holt sie schon einen Ball, um im Wohnzimmer ein bisschen Fußball mit mir zu spielen. Am nächsten Tag wird sie bei einem Turnier für ihr Team im Tor stehen.

Regen an 209 Tagen im Jahr, 12 Grad im Sommer

Wenn es darum geht, einen Einblick in das Leben hier zu bekommen, findet Vater Magni, dass seine Familie da ein ganz gutes Beispiel ist: Eine Tochter, die Fußball spielt, ein Sohn, der Schlagzeug spielt, eine Frau, die selbstständige Logopädin ist und er, der als Sozialarbeiter ein staatliches Präventionsprogramm leitet. "Alles ziemlich typisch", sagt er. "Und ich denke, auch recht typisch für Norddeutschland." Natürlich gibt es viele Dinge, die sich ähneln.

Aber es gibt eben auch die, die sich stark unterscheiden: Regen an 209 Tagen im Jahr, eine Durchschnittstemperatur im Sommer von 12 Grad, so gut wie keine Bäume, kaum Tiere außer Vögel, Fische und Schafe - und beim Gemüseanbau können sie zwischen Kartoffeln, Rüben und Rhabarber wählen. Auch die Familie versucht, ein paar Pflanzen zu ziehen, mit mäßigem Erfolg. Die Erdschicht über den massiven Felsen ist einfach zu dünn, die Temperaturen zu kalt, die Sonne zu wenig. Die Färöer sind ein unwirtlicher Ort, aber die Bewohnerinnen und Bewohner haben sich gut auf ihn eingestellt.

Bei gutem Wetter erst mal eine Arbeitspause

Weil das Wetter schnell wechselt, nutzen sie für alle Strecken das Auto - auch wenn die Familie sonntags die 900 Meter zur Kirche im Dorf fährt. Weil Sonne Mangelware ist, ist die Milch mit Vitamin C versetzt. Und die Färöer und Färörerinnen haben gelernt, spontan zu sein. Sobald das Wetter gut ist, wird die Arbeit liegen gelassen oder der Schulunterricht nach draußen verlegt.

In ihrer färöischen Spontaneität sieht Helena einen der größten Unterschiede zum Leben in Kopenhagen. "Wenn Aron dort mit jemandem spielen wollte, haben die Eltern ihren Terminkalender rausgeholt: 'Wie wäre es in zwei Wochen?'. Als wir wieder hierhin gezogen sind, kamen die anderen Kinder einfach vorbei und wollten mit Aron spielen 'Was? Jetzt direkt?' Da musste ich mich erst wieder dran gewöhnen", erzählt sie.

Die Menschen kennen und vertrauen sich

Hier ist das Leben langsamer und einfacher. "Wenn du hier nur Spazierengehen kannst, in den Laden oder zur Kirche oder zur Schule gehen kannst, dann hast du zwar weniger Möglichkeiten", sagt Helene weiter, "aber Aron zum Beispiel ging es nicht gut in Kopenhagen. Es waren zu viele Menschen, zu viele Geräusche, zu viel von Allem. Als wir zurückgekommen sind, hat er sich viel wohler gefühlt."

Als Helena und ich abends im Fitnessraum rudern, ist Aron auf dem Geburtstag eines Freundes - in der Turnhalle ihrer Schule. Sie haben eine riesige Hüpfburg mit Rutsche aufgebaut, zeigen sie mir später auf dem Handy. Da wundert es mich schon gar nicht mehr, dass sie auch die Turnhalle abends einfach so privat nutzen dürfen. So läuft das eben auf den Färöern: Die Menschen kennen sich, vertrauen sich, teilen was sie haben. Gute Gründe, um sich auf diesen rauen Inseln geborgen zu fühlen.

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Ostseereport | 17.07.2022 | 18:00 Uhr

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