Vechta: Wissenschaftler sieht in Kunstfleisch Epochenwandel
Steht die Ernährungsbranche vor einem großen Wandel? Der Wirtschaftsethiker Nick Lin-Hi von der Universität Vechta sieht einen fundamentalen Fortschritt in der Erfindung von Kunstfleisch.
Die Zulassung von im Labor erzeugtem Fleisch in Singapur vor einiger Zeit sei die größte Innovation in der menschlichen Ernährung seit zwei Millionen Jahren, sagt Lin-Hi. Er geht davon aus, dass die Kunstfleisch-Produktion erheblichen Nutzen in Sachen Umweltschutz bringen werde. "Etwa ein Drittel der Treibhaus-Emissionen kommt aus dem Ernährungssektor, davon entfällt die Hälfte auf die Fleischproduktion", sagte der 40 Jahre alte Wissenschaftler. "Wir wissen natürlich nicht, ob sich die Versprechen der neuen Technik realisieren lassen. Optimisten sehen das Potenzial, bis zu 90 Prozent weniger Treibhausgas-Emissionen zu haben, 90 Prozent weniger Wasserverbrauch und 90 Prozent weniger Landverbrauch haben zu können. Das ist ein Versprechen auf eine viel nachhaltigere Entwicklung."
Umweltschutzziele nicht erreichbar
Zudem stelle sich die Frage, welche Antworten Wissenschaft und Politik für das prognostizierte Bevölkerungswachstum finden. "Weltweit steigt nicht nur die Bevölkerung - bis 2050 sollen es fast zehn Milliarden Menschen sein, sondern mit zunehmendem Wohlstand steigt auch die Nachfrage nach Fleisch", so Lin-Hi. "Beide Faktoren führen dazu, das bis 2050 eine Steigerung des Fleischkonsums von 50 bis 70 Prozent prognostiziert wird. Mit der konventionellen Fleischerzeugung werden alle Klimaschutzziele, die wir haben, nicht zu erreichen sein." Dass der Mensch komplett auf Fleischgenuss verzichtet, hält Lin-Hi "für wenig realistisch".
Die Ersatzfleisch-Arten im Überblick
"Wir kommen nicht schnell genug hinterher"
Lin-Hi sagt, dass sogenanntes Invitro-Fleisch zügig auch für andere Märkte zugelassen werde. "Das kann schneller gehen, als man jetzt denkt, zumal kultiviertes Fleisch in Singapur jetzt wirklich real auf den Teller kommt. Es ist ein Signal an die Finanzmärkte, in diesem Bereich Milliarden zu investieren. Und wenn Geld fließt, geht es auch mit der Entwicklung und Produktion von neuen Produkten sehr schnell." Der Wissenschaftler befürchtet allerdings, dass Deutschland den Anschluss verlieren könnte. "Dass sich Unternehmen wie die PHW-Gruppe, also Wiesenhof, über Start-Ups an der Entwicklung alternativer Proteinquellen beteiligen, finde ich extrem wichtig. Generell aber habe ich die Sorge, dass der Zug am Ende ohne die deutsche Land- und Ernährungswirtschaft abfährt. Da ändert sich gerade etwas ganz gewaltig in der Welt, und wir kommen nicht schnell genug hinterher."
