Bagger arbeiten in der Fußgängerzone von Winsen/Luhe. © NDR Foto: Astrid Kühn

Verödung der Innenstädte: Wie Winsen/Luhe gegensteuert

Stand: 21.09.2022 05:00 Uhr

Was braucht eine moderne Innenstadt, um attraktiv zu sein? In Zeiten hoher Inflation und explodierender Energiekosten ist die Frage drängender denn je, denn statt zu kaufen, halten die Deutschen ihr Geld zurzeit lieber beisammen. Wie versuchen Städte die Leute zurückzulocken?

von Astrid Kühn

Winsen/Luhe liegt zwischen Hamburg und Lüneburg und zählt 35.000 Einwohner. In Innenstadt arbeiten derzeit die Bagger. Die Haupteinkaufsstraße wird neu gepflastert. Eine Hälfte ist schon fertig, die andere Seite kommt noch. Auch Bänke, Springbrunnen oder Sandkästen für Kinder sollen in der Innenstadt ihren Platz finden, erzählt Lena Statmann von der Stadt Winsen. Derzeit gebe es zahlreiche Bemühungen, um die Innenstadt zu beleben - mithilfe eines großen Sanierungsverfahren und verschiedenen Förderprogrammen.

Studie: 30 Prozent weniger Menschen in den Innenstädten

Die Fußgängerzone in der Innenstadt von Winsen/Luhe. © NDR Foto: Astrid Kühn
Derzeit kommen laut der Cima-Studie rund 30 Prozent weniger Menschen in die Innenstädte als vor der Corona-Pandemie.

Das sei auch nötig, so die aktuelle "Deutschlandstudie Innenstadt", herausgegeben von der Beratungsagentur Cima. Aktuell kommen rund 30 Prozent weniger Menschen in die Innenstädte als vor der Corona-Pandemie. Die Werte basieren auf Befragungen. Winsen will gegensteuern. "Wir merken gerade durch Corona, dass die Stadt von der ehemaligen Schlafstadt zur Erlebnisstadt geworden ist. Wir haben durch Verwaltung, Büros, Menschen in der Innenstadt ohnehin schon viele Leute hier, und die Innenstadt liegt auch vielen am Herzen", erklärt Lena Statmann.

Das was Winsen macht, sei der richtige Weg, sagt Martin Kemming von Cima. Menschen durch Behördengänge in die Stadt zu locken, sei ein wichtiger Hebel, zumal sich die Anforderungen an die City änderten. "Reine Versorgung steht im Hintergrund, es ist wichtiger, dass man eine gute Zeit hat", sagt Kemming. "Nicht nur Konsum, sondern Aufenthalt zählt. Das hat auch was mit richtig guten Toiletten zu tun, das ist nicht 'nice to have', sondern das setzen Leute voraus."

Geschäfte-Mix soll aufgelockert werden

Sabine Brückmanns Laden tüdelband in der Innenstadt von Winsen/Luhe. © NDR Foto: Astrid Kühn
Sabine Brückmanns Laden tüddelband bietet hochwertige Kinder-Second-Hand-Kleidung, nebst Café und Spielecke.

Lena Stramann und ihr Team versuchen auch, die Zusammensetzung der Läden aufzulockern. Es geht um mehr Vielfalt, um neue Ideen. "Wir haben Lokale angemietet und Wettbewerbe gemacht - Innovation statt Leerstand“, sagt sie. "Wir haben mutigen Gründungswilligen den Laden für ein Jahr, beziehungsweise neun Monate zur Verfügung gestellt, um etwas Neues auszuprobieren." Die Bewerberzahlen waren zweistellig. Gewonnen hat Sabine Brückmann mit ihrem tüddelband - ein Laden für hochwertige Kinder-Second-Hand-Kleidung, nebst Café und Spielecke. Am Wochenende finden dort Workshops statt. "Ich habe dabei überlegt: Welchen Laden würde ich mir wünschen? Was hätte ich gerne? So ist das Konzept entstanden", erzählt sie.

Seit einem Dreivierteljahr hat das tüddelband einen prominenten Platz in der Winsener Einkaufsstraße. Es sei toll, dass die Städte merken, dass es so etwas wieder geben muss, meint Brückmann. "Wenn hier nichts Inhabergeführtes mehr ist, werden die Leute nicht mehr kommen, dann gibt es hier nur noch Ketten und es ist nichts Besonderes mehr."

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Läden sind befristet mietfrei

Stefanie Ott sitzt in ihrem Laden für Tierfotografie in der Innenstadt von Winsen/Luhe. © NDR Foto: Astrid Kühn
Stefanie Ott hat für ihr Geschäft lange vergebens Gewerberäume gesucht.

Durchaus speziell ist auch das Geschäft der zweiten Gewinnerin des Wettbewerbs, Stefanie Ott ist Tierfotografin und hätte ohne den Wettbewerb womöglich keinen geeigneten Laden gefunden. "Ich habe mir freie Gewerberäume angeguckt", schildert sie ihre Erfahrungen "Dann wurde ich gefragt, wofür - und bei Tierfotografie wurde Abstand genommen. Denn, so wurde mir gesagt, Hunde bellen die ganze Zeit und pinkeln überall hin." Beide Läden sind befristet mietfrei. Danach dürfen die Inhaberinnen entscheiden, ob sie weiter machen wollen - dann zur regulären Miete.

Energiekrise wird zur neuen Herausforderung

Möglich werden die Umgestaltungen durch Förderprogramme des Bundes und der Länder. Das Problem der öden Innenstädte scheint erkannt, doch die Umsetzung ist von Ort zu Ort eine Herausforderung. In Winsen scheint der Weg abgesteckt: "Winsen2030" heißt das aktuelle Programm für die Innenstadt, der Umbau wird durch digitale Info-Formate und Baustellen-Feste begleitet. Eine Zeitschrift, die unter anderem vom Städte- und Gemeindebund herausgegeben wird, zeichnete Winsen jüngst als erfolgreichste Handelsstadt aus - unter 600 deutschen Mittelstädten.

"Ich habe das Gefühl, dass wir für Winsen auf einem guten Weg sind. Es geht immer besser", sagt Lena Stratmann vom Stadtmarketing. "Klar, die Energiekrise stellt vor neue Herausforderungen. Wir müssen schauen, wie es weitergeht. Aber wir sind zuversichtlich, dass wir mit dem weitermachen können, womit wir gestartet sind und dass auch alle am Ball bleiben wollen."

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Wirtschaft | 21.09.2022 | 07:41 Uhr

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