Zahnärzte-Protest in Hannover - trotz stetig gestiegener Erträge

Stand: 13.09.2023 18:58 Uhr

Mediziner und Fachpersonal aus Zahnarztpraxen in ganz Niedersachsen haben am Mittwoch demonstriert. Sie warnten vor einem Praxissterben und längeren Wartezeiten für Patienten und fordern höhere Honorare.

von Marc Wichert

Sie kamen in Hannover zu einer Kundgebung in der Nähe des niedersächsischen Landtages zusammen. Auch in Göttingen wurde protestiert. Auf dem Platz der Göttinger sieben trafen sich laut Polizei rund 950 Demonstranten. Mit deutlichen und teils drastischen Formulierungen schießen sich die Berufsverbände auf die Ampel-Regierung in Berlin ein. Es geht um's Geld - und damit gegen das Finanzstabilisierungsgesetz. Aus allgemeinen Hochrechnungen lasse sich ableiten, dass etwa 40 Prozent der Zahnärztinnen und Zahnärzte mit einem durchschnittlichen Kürzungsbetrag für die im Jahr 2023 erbrachten Leistungen in Höhe von mehr als 40.000 Euro zu rechnen haben, teilt Michael Loewener von der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KZVN) dem NDR Niedersachsen auf Anfrage mit.

Zahnarztverband: Honorare für Rechtsanwälte und Tierärzte auch gestiegen

Dabei würden den Praxen seit Jahren angemessene Honorare vorenthalten, wie es in dem Protestaufruf hieß. Ein "klassisches Beispiel für eine Missachtung des Berufsstandes" sei die Tatsache, dass die Gebührenordnung für Zahnärzte seit 35 Jahren nicht angepasst worden sei, so Pressesprecher Loewener. Andere Gebührenordnungen, etwa für Rechtsanwälte und Tierärzte, seien hingegen mehrfach an die Preisentwicklung angepasst worden.

Die Einkommensentwicklung nach Reinertrag je Praxisinhaber/Praxisinhaberin in der Zahnärzteschaft. © GKV-Spitzenverband
Der Reinertrag je Praxisinhaber/Praxisinhaberin setzt sich laut GKV aus den Einnahmen der GKV-Leistungen, Privat- Leistungen und sonstigen Einnahmen zusammen.
KZVN: Politik missachtet die Zahnärzte

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbauch (SPD) werfen die Zahnarztverbände gar vor, sein Ziel " (...) scheint der Systemumbau zu sein mit Schaffung eines staatlichen Gesundheitssystems, in dem Freiberuflichkeit und Selbstverwaltung keinen Platz mehr haben (...)." Doch mit diesem Gesetz höre die "Missachtung und die geradezu demonstrative mangelnde Wertschätzung der Politik" nicht auf. Es seien Gesetze in Arbeit, die weitere Bürokratie, Sanktionierungen und Kosten mit sich bringen würden.

Krankenkassen: Die Honorare für Zahnärzte steigen weiter

Und was sagt zu alldem die Gegenseite, in diesem Fall die Krankenkassen? Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) weist zumindest die Aussagen zu den Honoraren entschieden zurück. Von massiven Kürzungen könne keine Rede sein, teilt Pressereferentin Janka Hegemeister dem NDR Niedersachsen mit. "Im Gegenteil, die Honorare steigen weiter, der Gesetzgeber begrenzt im GKV-Finanzstabilisierungsgesetz lediglich den Honoraranstieg für zahnärztliche Leistungen ohne Zahnersatz in einem vertretbaren Ausmaß."

GKV: Gesetz soll Finanzen der Krankenkassen stabilisieren

Gleiches gelte für die Gesamtvergütungen, die die Krankenkassen an die Kassenzahnärztlichen Vereinigungen zahlen. Das Gesetz solle letztlich die Finanzen der gesetzlichen Kassen stabilisieren und die Versicherten vor stärkeren Beitragserhöhungen schützen, schreibt die GKV-Sprecherin weiter. Zudem würden Lasten so gleichmäßig auf alle Beteiligten, also auch auf die Leistungserbringenden, verteilt. "Der Leistungsanspruch der Versicherten wird dadurch nicht eingeschränkt."

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"Gesetz geht auch auf Kosten der Patienten"

Doch die Zahnarztverbände warnen: Die Folge des neuen Gesetzes sei ein Praxissterben, gerade in ländlichen Gebieten. Zahlreiche Einzelpraxen stünden wegen Fachkräftemangels, Preissteigerungen und zunehmender Bürokratie an der Belastungsgrenze. Schon heute könnten Praxen, deren Inhaberinnen und Inhaber altersbedingt ausscheiden, kaum mehr nachbesetzt werden, sagte der Vizepräsident der Zahnärztekammer Niedersachsen (ZKN) Lutz Riefenstahl in der vergangenen Woche. Letztlich würde das Gesetz auch auf Kosten der Patienten gehen, teilt die KZVN weiter mit: Durch die Budgetierung gingen in Niedersachsen jährlich 60 Millionen für die Patientenversorgung verloren, die Wartezeiten für einen Termin würden unweigerlich steigen. Zahnarzt Tilo Frenzel überließ am Mittwoch seine Praxis in Wustrow im Wendland seinem Partner, um in Hannover dabei zu sein. "Wir verwalten uns zu Tode", sagte der 56-Jährige schon am Vortag. "Da ist so viel Bürokratie, dass wir nicht mehr zur Arbeit am Patienten kommen. Das macht die Berufsfreude kaputt." Er betonte die Notwendigkeit von Praxen Vor Ort: "Für den Fahrradunfall, den abgebrochenen Zahn oder die Entzündung".

Gesundheitsminister Philippi lässt Gesetz prüfen

Aus dem niedersächsischen Gesundheitsministerium kommt jedenfalls schon mal Unterstützung für einen Teil der Kritik. Vergangene Woche teilte das Haus von Minister Andreas Philippi (SPD) mit, dass man "in der derzeitigen Lage die Deckelung der zahnärztlichen Vergütung bei den Parodontitisbehandlungen" kritisch sehe. Derzeit werde überprüft, ob dieser Punkt negative Auswirkungen für die Patientinnen und Patienten haben. Falls ja, werde Niedersachsen eine Initiative zur Herausnahme der Parodontitis-Therapie aus der Budgetierung auf den Weg bringen.

Weniger Geld für Parodontitis-Vorsorge?

Die KZVN weist noch auf ein anderes Thema hin, das nun gefährdet sei. Demnach habe die Zahnärzteschaft in Deutschland durch Prävention dafür gesorgt, dass 80 Prozent der 12-Jährigen kariesfrei seien - "das ist Weltspitze", heißt es. Die Ausgaben für zahnärztliche Behandlungen seien auch deshalb innerhalb der vergangenen Jahre von neun auf sechs Prozent gesunken sind. "Auf ähnliche Weise will die Zahnärzteschaft die Volkskrankheit Parodontitis und ihre durch die Wissenschaft belegten vielfältigen Auswirkungen auf viele Erkrankungen (Diabetes, Infarktgeschehen, Herz-Kreislauferkrankungen usw.) bekämpfen. Aus diesem Prophylaxegedanken heraus sei im Jahr 2021 die Parodontitis-Behandlung als systematische Behandlungsstrecke in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufgenommen worden. "Durch das GKV-FinStG sind die Mittel für Behandlungen budgetiert und damit - besonders auch zum Nachteil der Patienten - trotz vorheriger Zusage begrenzt worden. Dieses Gesetz ist daher aus Ausdruck der Missachtung bisheriger Erfolge der Zahnärzteschaft zu sehen."

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Dieses Thema im Programm:

Hallo Niedersachsen | 13.09.2023 | 19:30 Uhr

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