Nur jede fünfte Straftat in Niedersachsen wird angezeigt

Stand: 14.11.2022 13:29 Uhr

Am Montag hat Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) die vierte Dunkelfeldstudie vorgestellt. Sie zeigt: Nur 22 Prozent der Straftaten werden auch angezeigt.

"Im Vergleich zu den vorherigen Erhebungen verzeichnen wir in der diesjährigen Studie die insgesamt niedrigste Anzeigequote", erklärte Friedo de Vries, Präsident des Landeskriminalamts (LKA) Niedersachsen, der mit Pistorius und Landespolizeipräsident Axel Brockmann die Ergebnisse präsentierte. In den Vorjahren lag die Quote noch bei 25 Prozent. "Hier muss es unser Ziel sein, die Bereitschaft, Straftaten bei der Polizei anzuzeigen, dauerhaft zu erhöhen." Im digitalen Raum zeigt die Studie jedoch eine gegensätzliche Entwicklung: Bei computerbezogenen Delikten sei die Bereitschaft zur Anzeige deutlich gestiegen. De Vries rief an dieser Stelle noch einmal auf: "Zeigen Sie Straftaten konsequent an!"

Mehr als 17.500 Befragte

Im Jahr 2021 bekamen 40.000 Menschen in Niedersachsen einen Fragebogen, um an der Dunkelfeldstudie teilzunehmen. Mehr als 17.500 machten mit. Aus ihren Antworten wurde auch deutlich, dass die Teilnehmenden weniger fürchten, selbst Opfer einer Straftat zu werden. Nur 6 Prozent schätzen das Risiko als hoch ein - 2017 waren es noch 12,7 Prozent. Knapp ein Drittel der Befragten wurde 2020 Opfer einer Straftat. "Sicher zu leben, ist ein Grundbedürfnis jeder und jedes Einzelnen", betonte Innenminister Pistorius.

Drei Viertel der Betroffenen erleben mehrfach Gewalt in der Partnerschaft

Im untersuchten Jahr 2020 waren zudem 5,7 Prozent - konkret 922 - der Befragten das Opfer von physischer und psychischer Gewalt in Partnerschaften. Nur jede 215. Tat wurde tatsächlich angezeigt. Mehr als jeder 100. Befragte erlebte körperliche Gewalt oder Stalking. Rund drei von vier der von Partnerschaftsgewalt betroffenen Menschen erlebten mehrere Übergriffe im Jahr. Etwa die Hälfte der Befragten berichtet von ausschließlich psychischer Gewalt, jede oder jeder Zehnte von psychischer und körperlicher Gewalt. Junge Befragte in einem Alter von 16 bis 34 Jahren werden am häufigsten Opfer von Gewalt in vergangenen oder laufenden Beziehungen. "Mit zunehmendem Alter sinkt die Betroffenheit", heißt es in den Ergebnissen der Erhebung.

Sexuelle Nötigung nicht angezeigt

Wenn solche Taten in einer Partnerschaft zur Anzeige kamen, dann waren es laut Studie meist Angriffe mit einer Waffe oder einem gefährlichen Gegenstand. Nötigung, Geschlechtsverkehr gegen den ausdrücklichen Willen sowie sexuelle Nötigung durch körperlichen Angriff seien hingegen gar nicht angezeigt worden. Knapp 70 Prozent der befragten Opfer gaben an, wegen ihrer Erlebnisse im Jahr 2020 psychische oder körperliche Folgen davon getragen zu haben.

Eine Rolle spielt der Studie nach auch das Geschlecht: Frauen werden demnach häufiger als Männer Opfer. Am meisten betroffen seien Menschen, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen. Auch Menschen mit Migrationshintergrund erlebten deutlich öfter Gewalt in Partnerschaften.

Pistorius: "Vor allem männliche Täter konsequent verfolgen"

"Die Ergebnisse des Sondermoduls zur Partnerschaftsgewalt gerade in der Corona-Zeit liefern wertvolle Erkenntnisse zu diesem Phänomen", erklärte Pistorius. "Sie zeigen, dass wir weiter intensiv mit allen Akteurinnen und Akteuren in diesem Bereich eng zusammenarbeiten müssen, um Opfer von Beziehungsgewalt so wirksam wie möglich zu schützen." Es sei die Aufgabe der Behörden, diese Menschen aus ihrer Situation zu befreien und die vor allem männlichen Täter konsequent zu verfolgen. "Gewalt in Partnerschaften oder Ex-Partnerschaften darf niemals als Privatsache wahrgenommen werden - sie ist unter keinen Umständen zu rechtfertigen oder gar zu entschuldigen."

Befragte haben positives Bild von Polizei-Arbeit

Der größte Teil der Befragten hat von der Polizei mit Blick auf verschiedene Eigenschaften wie Bürgerfreundlichkeit und Professionalität ein positives Bild. "Gleichzeitig wird deutlich, dass die allermeisten Menschen die Polizei und ihre Arbeit wertschätzen", so der Innenminister. "Wir müssen uns allerdings auch sehr kritisch damit auseinandersetzen, warum immer weniger Menschen einen Sinn darin sehen, Straftaten anzuzeigen."

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | Aktuell | 14.11.2022 | 19:30 Uhr

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