MV als Zielort für politische Landschaftspflege des Kreml?
War Mecklenburg-Vorpommern das Versuchsfeld für russische Einflussnahme in Deutschland? Hat sich die SPD-geführte Landesregierung für die Wirtschaftsinteressen des Kreml mehr als nötig einspannen lassen? Fragen dieser Art stehen seit einigen Monaten im Raum: Die Verantwortlichen wehren sich mit Händen und Füßen.
Mecklenburg-Vorpommerns früherer Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) hat nicht lange gebraucht. Der Chef der umstrittenen Stiftung Klima- und Umweltschutz MV will die Entscheidung des Landgerichts Schwerin vom vergangenen Freitag nicht hinnehmen. Das Gericht hatte ihn und seine Stiftung dazu verdonnert, Fragen von Journalisten zu den Hintergründen der Stiftungsgründung und ihrer Finanzierung zu beantworten. Sellering will sich nicht in die Karten gucken lassen. Er hat eine Beschwerde beim Oberlandesgericht Rostock angekündigt.
Schlechte Schlagzeilen für Mecklenburg-Vorpommern
Bis zu einer Entscheidung kann sich Sellerings Stiftung aufs Stillschweigen zurückziehen. Allerdings muss der Ex-Regierungschef damit rechnen, spätestens vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Landtags dann alle verlangten Informationen auf den Tisch zu legen. Sellering ist einer der Spitzen-Sozialdemokraten, die mit der Idee der Stiftung für mediale Dauer-Aufmerksamkeit sorgen und Mecklenburg-Vorpommern bundesweit schlechte Schlagzeilen bescheren.
Schwerin als Filiale der Nord Stream 2 AG?
"Schwerin als Filiale der Nord Stream 2 AG" hatte erst am Wochenende die "Welt am Sonntag" getitelt und es als Neuigkeit verkauft, dass bei der Stiftungsgründung im Januar 2021 Bundeskanzleramt und Finanzministerium informiert worden seien, die damalige Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) seien also im Bilde. Daraus hatte die Landesregierung aber schon vor mehr als einem Jahr keinen Hehl gemacht. Für die Bundesregierung äußerte sich schon kurz nach der Stiftungsgründung der damalige Außenminister Heiko Maas: "Es ist eine Entscheidung, die in Mecklenburg-Vorpommern getroffen worden ist. Es ist keine Entscheidung der Bundesregierung", stellte Maas klar.
MV half aktiv an Fertigstellung von Kreml-Großprojekt Ostseepipeline mit
Offenbar war auch für den Bund von Beginn an klar, dass der Klimaschutz für die Stiftung kaum mehr als ein Feigenblatt ist. Wichtigster Impuls war die Fertigstellung der Gas-Pipeline Nord Stream 2. Die Stiftung gründete dafür eine eigene Firma, die die drohenden Sanktionen der USA gegen den Weiterbau unterlaufen sollte. Mecklenburg-Vorpommern half aktiv mit, das große Wirtschaftsprojekt des Kreml zu Ende zu bauen. Finanziert wurde das aus Moskau mit 20 Millionen Euro für die Stiftung und den Klimaschutz. Die Höhe der russischen Finanzierung für die Firma ist unbekannt. Es dürfte um mehrere Millionen Euro gehen - die Stiftung kaufte unter anderem ein Schiff, die "Blue Ship".
Es wird viel geschwiegen
Auch dazu will Sellering keine Auskunft geben. Die Landesregierung beteuert, sie sei nicht zuständig. Insgesamt wird viel geschwiegen. Schon die Stiftungsgründung war eine Nacht- und Nebelaktion. Eigentlich sollte die schon am 27. November 2020 im Landtag regelrecht durchgezogen werden - in letzter Minute wurde der Antrag von der Tagesordnung genommen. Man wollte offenbar die damals neue Sanktions-Gesetzgebung der USA abwarten. Der damalige Energieminister Christian Pegel (SPD), jetzt Innenminister, hatte gemeinsam mit dem Staatskanzlei-Chef Heiko Geue (SPD), jetzt Finanzminister, alles eingefädelt. Pegel hatte die Satzung quasi neben seinen Amtsgeschäften geschrieben. Das geschah in enger Abstimmung mit dem späteren Stiftungsvorstand Sellering. Beteiligt waren auch die Spitzenleute der Nord Stream 2 AG, die ihrem Unternehmen einen maßgeblichen Einfluss in der Stiftung sicherten.
Putin-Vertrauter Warnig mit engem Draht in die Landesregierung
Die Nord-Stream-2-Chefetage hatte immer direkten Zugang zur Landesregierung, das gilt besonders für Nord-Stream 2-Geschäftsführer Matthias Warnig - einem ehemaligen Stasi-Offizier und engen Vertrauten von Russlands Präsident Wladimir Putin. Warnig hatte seit Beginn von Sellerings Amtszeit eine enge Verbindung zum SPD-Regierungschef aufgebaut. Sellering traf sich seit April 2012 mindestens sechs Mal persönlich mit dem Gas-Manager, meist unter vier Augen. Insgesamt sind über die Jahre mehrere Dutzend Treffen der Nord-Stream-Führungsebene mit Schweriner Regierungsmitgliedern dokumentiert. Das ergibt sich aus einer Regierungsantwort auf eine Anfrage des Grünen-Landtagsabgeordneten Hannes Damm.
Schwesig mit aktiver Rolle
Daraus ergibt sich auch die aktive Rolle, die Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) übernahm. Sie hatte sich im Jahr 2017 erstmals mit dem Nord-Stream-Lobbyisten getroffen. Das Projekt blieb auch danach Chefsache. Es übernahmen dann Staatskanzlei-Chef Reinhard Meyer und sein Nachfolger Heiko Geue (beide SPD). Nach einem langen Abendessen zwischen Schwesig, Altkanzler und Gas-Lobbyist Gerhard Schröder und Nord-Stream-Chef Warnig in Heringsdorf auf Usedom nahm die Idee der Stiftung Fahrt auf.
Eine Idee bei einem Abendessen wird binnen Monaten umgesetzt
Der Grund: Offenbar gingen Nord Stream 2 wegen der US-Sanktionsdrohungen die Firmen aus, die die Pipeline zu Ende bauen konnten. Es gab nach dem dreistündigen Abendessen auf Usedom drei weitere Treffen oder Telefonate zwischen Schwesig und der Nord-Stream-Spitze bis Ende 2020. Auf den anderen Treffen zwischen Geue und Pegel brachte Nord Stream 2 immer wieder die US-Sanktionen zur Sprache. In einem der Gespräche sollen die Gas-Lobbyisten dann mit Hinweis auf skandinavische Modelle die Idee einer Stiftung ins Spiel gebracht haben. Von der Idee bis zur Verwirklichung dauert es offenbar nur weniger als ein halbes Jahr.
Schwesig bis zum russischen Überfall aktive Pipeline-Fürsprecherin
Das letzte von der Landesregierung bestätigte Treffen mit Nord Stream 2 gab es am 19. Januar 2022 - gut einen Monat vor dem russischen Angriff auf die Ukraine. Bis dahin hatte auch Ministerpräsidentin Schwesig Nord Stream 2 als "wichtig" und in "deutschem Interesse" bezeichnet. Sie blieb damit bis zum Überfall aktive und prominente Fürsprecherin eines von Beginn an umstrittenen Projekts. Schwesig will die Stiftung jetzt auflösen lassen. Mit dem Ergebnis eines in Auftrag gegebenen Rechtsgutachtens wird im Frühjahr gerechnet - vielleicht schon Anfang Mai.
Die Nervosität in der Landes-SPD steigt
Auch wenn die Stiftung dann möglicherweise gegen die Widerstände ihres Vorsitzenden Sellerings aufgelöst sein wird, lebt sie für den Untersuchungsausschuss des Landtags fort. Und es ist ziemlich wahrscheinlich, dass das Gremium vor allem der SPD viel Unangenehmes bescheren wird. Das Wort um Russland-Filz in der Landes-SPD macht schon seit einiger Zeit die Runde. Die Nervosität steigt und zwingt schon zum Umdenken: Sellering hat seinen Freundschafts-Orden aus Russland mittlerweile zurückgegeben.
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