Deutschland- oder Regenbogenflagge: Neubrandenburg wählt
Wenn am 11. Mai in der drittgrößten Stadt Mecklenburg-Vorpommerns ein neuer Oberbürgermeister gewählt wird, könnte sich auch entscheiden, welche Fahne künftig am Bahnhof hängt. Die meisten Bewerber favorisieren die Deutschland-Flagge. Aber es geht auch um Handfestes: Dringend notwendige Investitionen stehen an.
Eine rekord- und premierenreiche Oberbürgermeisterwahl wartet am 11. Mai auf rund 52.000 Wahlberechtigte in Neubrandenburg. Mit neun Kandidaten stellen sich so viele wie noch nie dem Votum des Wahlvolkes. Es muss zum zweiten Mal in Folge entscheiden, wer nächster Chef im Rathaus wird, nachdem der alte vorzeitig zurückgetreten ist. 2015 war es der ehemalige Bundesforschungsminister Paul Krüger (CDU), der mehrere Monate vor seinem Amtsende seinen Koffer packte. Nun ist es sein Nachfolger Silvio Witt (parteilos), der vier Jahre vor dem Ende seiner Wahlzeit das Büro räumt. Witt hatte sich 2015 gegen sieben Mitbewerber durchgesetzt.
Jüngster OB der Stadtgeschichte räumt sein Büro
Mit 36 Jahren war Witt das vermutlich jüngste gewählte Oberhaupt in der Stadtgeschichte. Nicht alle historischen Daten der Stadtgeschichte können eindeutig belegt werden, weil während des Zweiten Weltkrieges das Rathaus zerstört wurde. Zudem ist Witt der erste Oberbürgermeister, der offen homosexuell lebt und während seiner Amtszeit heiratete. Auch deshalb traf ihn der Beschluss der Stadtvertretung persönlich, dass am Bahnhof keine Regenbogenfahne mehr hängen darf. Nur wenige Stunden nach diesem Beschluss verkündete Witt seinen Rücktritt. Auch sein Vorgänger Krüger machte kein Geheimnis daraus, dass die Kooperation zwischen Rathaus und Stadtvertretung gestört gewesen sei und damit Einfluss auf seine Entscheidung gehabt hätte.
Bewerber favorisieren die Deutschland-Fahne am Bahnhof
Friedenstaube statt Regenbogen. Dafür plädiert Olaf Schümann (Werteunion), wenn es darum geht, welche Fahne künftig am leeren Fahnenmast am Neubrandenburger Bahnhof wehen sollte. Nico Klose (parteilos, unterstützt von SPD und Grünen) würde sich wohl eher für den Regenbogen entscheiden, wenn er von einem Symbol für Toleranz und Vielfalt spricht. Alle anderen neigen zur Deutschland-Flagge, die dann zwischen Neubrandenburg- und Mecklenburg-Vorpommern-Fahne aufgezogen wird. Auch Wechsel wären möglich und der vierte Fahnenmast sollte einbezogen werden, meinen verschiedene Kandidaten.
Große Altersunterschiede zwischen den neun Kandidaten
Der jüngste Kandidat ist mit 25 Jahren der Handwerker Tobias Köhler (Einzelbewerber), der Älteste Frank Benischke (CDU). Der 61-Jährige wäre der erste Oberbürgermeister Neubrandenburgs, der nach der Wende in diesem Alter neu gewählt und damit während seiner Amtszeit das Rentenalter erreichen würde. Bis zu einer Änderung des Wahlgesetzes im Vorjahr mussten Kandidaten am Wahltag jünger als 60 Jahre sein.
Jens Kreutzer (BSW) und die parteilosen Einzelbewerber Tim Großmüller, Ralph-Jörn Kurschuss, Sascha Lübs und Stefan Schwabbauer komplettieren den Stimmzettel. Während sich die Neubrandenburger Straßen mit zahlreichen Wahlplakaten der Bewerber kaum anders zeigen als bei anderen Wahlen zuvor, erleben die sozialen Medien einen Boom. In der Geschichte der Neubrandenburger Wahlen hat der Wahlkampf noch nie so intensiv auf Facebook, Instagram & Co. stattgefunden. Kaum ein Kandidat lässt einen Tag aus, seine Ansichten den Wählern zu präsentieren.
Witt hinterlässt schuldenfreie Stadt und einen Berg an Arbeit
In den zehn Jahren seiner Amtszeit arbeitete Witt einen Schuldenberg seines Vorgängers in Höhe von 90 Millionen Euro ab. Ein frisch saniertes Rathaus und einen Überschuss von 70 Millionen Euro hinterlässt er seinem Nachfolger, auf den nun unter anderem dringende Investitionen warten. Ein mehr als 30 Millionen Euro teures Schwimmbadprojekt und zwei Schulneubauten, die alte ersetzen sollen, müssen nach Beschluss der Stadtvertretung realisiert werden. Was aus dem leeren Fahnenmast am Bahnhof werden soll, haben die Ratsfrauen und -herren bisher offen gelassen.
