Tischlermeister Nils Grimm (links) zusammen mit seinem Mitarbeiter Ali Alijani in seiner Tischlereiwerkstatt © NDR Foto: Astrid Kühn
Tischlermeister Nils Grimm (links) zusammen mit seinem Mitarbeiter Ali Alijani in seiner Tischlereiwerkstatt © NDR Foto: Astrid Kühn
Tischlermeister Nils Grimm (links) zusammen mit seinem Mitarbeiter Ali Alijani in seiner Tischlereiwerkstatt © NDR Foto: Astrid Kühn
AUDIO: Fachkräftemangel im Handwerk verschärft sich (9 Min)

Fachkräftemangel: Tischlermeister will neue Wege gehen

Stand: 24.01.2023 06:00 Uhr

Der Betrieb von Tischlermeister Nils Grimm aus Hamburg läuft gut. So gut, dass er aktuell rund 20 Prozent weniger Aufträge annehmen kann als eigentlich möglich - denn ihm fehlt Personal. Deshalb macht sich der 49-Jährige Gedanken, wie er als Arbeitgeber noch attraktiver werden kann - und führt die Vier-Tage-Woche ein.

von Astrid Kühn

"Werkstatt für feine Räume" - so lautet der Beiname der Tischlerei Grimm. Vor über 20 Jahren als Ein-Mann-Betrieb gestartet, fertigen Nils Grimm und seine mittlerweile 15 Mitarbeiter Möbel nach Maß, für private wie für Groß-Kunden. Er könnte noch viel mehr Mitarbeiter gebrauchen, sagt Grimm - etwa zur Weihnachtszeit, wo sich die Aufträge bei ihm stapelten. Aber: "Der Fachkräftemangel ist ein großes Problem. Wir könnten uns besser weiterentwickeln, wenn wir mehr Mitarbeiter hätten. Inzwischen müssen wir rund 20 Prozent der Aufträge absagen, weil wir es einfach nicht schaffen." Insgesamt gebe es nur eine begrenzte Zahl von Fachkräften am Markt, um die alle buhlten.

Die Pandemie hat zum Umdenken geführt

Die Corona-Pandemie hätte vieles verändert - auch in den Köpfen der Arbeitnehmer, sagt Grimm. Es sei viel Bewegung im Team, auch befreundete Betriebe hätten teilweise große Teile der Belegschaft verloren, denn Menschen orientierten sich zunehmend um. Dazu komme noch der mangelnde Nachwuchs. Dabei liege es im Bereich Tischlerei gar nicht an der Quantität der Bewerber, sondern an falschen Vorstellungen, die viele hätten, sagt der Tischlermeister: "Wir merken bei den Berufsinfobörsen in den Schulen, dass vielen gar nicht bewusst ist, was Handwerk heute bedeutet. Ich sage dann immer: Wir sind nicht nur Handwerker, sondern auch Kopfwerker. Wir müssen die Maschinen programmieren, auch räumliches Denken ist wichtig. Sich ein Objekt vorstellen zu können von der Skizze bis zum fertigen Produkt." Es werde einfach zu wenig gezeigt, was das Handwerk wirklich leistet.

Um das ausgebildete Fachpersonal aber wird gerungen - gerade die Industrie wie Flugzeugbauer oder Zulieferer lockten mit hohen Gehältern, und wilderten auch in den Tischlereien, sagt Grimm: "Alles was zwei Hände hat und schrauben kann, wird von der Industrie abgeworben."

In Mecklenburg-Vorpommern starten heute weitere Branchen und Betriebe in das neue Ausbildungsjahr. © dpa Foto:  Jens Kalaene
AUDIO: Arbeitskräfte gesucht: Unternehmen werben schon heute im Ausland (5 Min)

Vier-Tage-Woche als Anreiz

Grimm überlegt deshalb, wie er seine Firma attraktiv hält. Seine Idee: eine Vier-Tage-Woche. Damit ist er als Chef proaktiv auf die Mitarbeiter zugekommen - tatsächlich habe es zunächst Bedenken gegeben: "Ich glaube, man muss sich innerlich von der Tradition der Fünf-Tage-Woche verabschieden. Heutzutage muss man auch Neues ausprobieren, und dann gucken wir, ob es für uns einen Mehrwert bringt. Zuerst gab es bei unseren Mitarbeitern eine ablehnende Haltung, aber dann haben wir festgestellt, dass es für uns einen Mehrwert bringt."

Neues Modell findet nun große Zustimmung

Die größte Sorge sei ein geringerer Verdienst gewesen. Der Betrieb sei den Mitarbeitern deshalb entgegengekommen. Wer die Regelwochenzeit von 40 Stunden, also vier Tage á zehn Stunden, um bis zu vier Stunden unterschreitet, bekommt trotzdem den vollen Lohn: "Mehr als die Hälfte der Belegschaft will dieses Modell ausprobieren. Wir machen einen Probelauf von einem Vierteljahr und dann werden wir ein Resumee ziehen. Dann sehen wir, ob es uns einen Vorteil gebracht hat und was man eventuell noch verändern oder verbessern kann."

Mehr Zeit für Freizeit und Termine

In der Tischlereiwerkstatt von Nils Grimm läuft mittlerweile vieles maschinell ab. Mitarbeiter Ali Alijani beim Zusägen eines Brettes © NDR Foto: Astrid Kühn
Tischlergeselle Ali Alijani freut sich auf die Vier-Tage-Woche

Geselle Ali Alijani, der seit seiner Ausbildung im Betrieb arbeitet, freut sich über die Vier-Tage-Woche: "Für mich ist das super, weil ich viele andere Termine habe, die ich erledigen will. Meistens klappt das nicht, wenn ich fünf Tage arbeite." Bei ihm sind das in erster Linie Behördengänge, aber auch für Treffen mit Freunden oder Sport bleibt dem 23-Jährigen, so hofft er zumindest, künftig mehr Zeit.

Studie: Unternehmen profitieren von 32-Stunden-Woche

Der Tischlermeister glaubt zwar, dass er kaufmännisch draufzahlen müsse, das aber mit einem motivierteren Team wieder ausgleichen könne. Und die Studienlage gibt ihm Recht: In Großbritannien läuft gerade das weltweit größte Pilotprojekt zum Thema Vier-Tage-Woche mit 73 Unternehmen und über 3.300 Angestellten aus verschiedenen Branchen. Halbzeit-Ergebnis der von der Oxford Universität begleiteten Studie: Knapp 90 Prozent der Unternehmen gaben an, dass die Vier-Tage-Woche gut funktioniere, ein gutes Drittel gab an, die Produktivität hätte sich leicht verbessert, 15 Prozent berichteten von einer erheblichen Verbesserung.

Nils Grimm sagt über sich, Neues auszuprobieren, sei sein Credo. Wenn man sich dadurch von den Mitbewerbern abheben könne, umso besser. Er selbst will künftig auch nur noch vier Tage arbeiten - das hat er sich jedenfalls vorgenommen.

Weitere Informationen
Werkzeuge zur Holzverarbeitung liegen auf einem Tisch. © KPA/Rosendahl

Serie zum Handwerk: Ideen und Lösungen in der Nachwuchskrise

Im Handwerk gibt es weit über 150.000 offene Stellen. Nachwuchs ist nur mit viel Initiative zu gewinnen. Reportagen aus Norddeutschland. mehr

Benjamin Klemann (stehend) mit seinen Angestellten in der Werkstatt seines Maßschuh-Geschäft Klemann Shoes in Hamburg © NDR Foto: Wiebke Neelsen

Handwerk: Mit Maßschuhen gegen Nachwuchssorgen

Schuhmacher und Auszubildende in dem Beruf gibt es immer weniger. Dass es auch anders geht, zeigt ein Betrieb aus Hamburg. mehr

Jennifer Bockelmann während ihres Auslands-Praktikums in Sevilla © Jennifer Bockelmann Foto: Jennifer Bockelmann

Geförderte Auslandspraktika für Azubis sind vielen unbekannt

Mit dem Förderprogramm Erasmus+ hat Azubi Jennifer Bockelmann wertvolle Berufserfahrungen in Spanien sammeln können. mehr

 

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Wirtschaft | 24.01.2023 | 07:41 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Handwerk

Ein Smartphone mit einem eingeblendeten NDR Screenshot (Montage) © Colourbox Foto: Blackzheep

NDR Info auf WhatsApp - wie abonniere ich die norddeutschen News?

Informieren Sie sich auf dem WhatsApp-Kanal von NDR Info über die wichtigsten Nachrichten und Dokus aus Norddeutschland. mehr

Eine Frau schaut auf einen Monitor mit dem Schriftzug "#NDRfragt" (Montage) © Colourbox

#NDRfragt - das Meinungsbarometer für den Norden

Wir wollen wissen, was die Menschen in Norddeutschland bewegt. Registrieren Sie sich jetzt für das Dialog- und Umfrageportal des NDR! mehr

Mehr Nachrichten

Passanten gehen in Brasielien an einem Schild des Autobauers Volkswagen (VW) an der W3 Nord vorbei. © Andressa Andressa/dpa Foto: Andressa Andressa/dpa

VW in Brasilien wegen möglicher Sklavenarbeit verklagt

Arbeiter sollen auf einer Farm wie Leibeigene behandelt worden sein. Im Fokus steht eine Tochterfirma des Wolfsburger Autobauers. mehr