Marylyn Addo: Ärztin und Forscherin aus Leidenschaft
Marylyn Addo ist wahrscheinlich das bekannteste Hamburger Gesicht in der Corona-Krise. Die Wissenschaftlerin und Ärztin gibt Interviews und erklärt geduldig den aktuellen Forschungsstand. Häufig wird sie als Virologin bezeichnet, dabei ist ihr Fachgebiet die Infektiologie, also die Erforschung und Behandlung von ansteckenden Erkrankungen. Sie selbst ärgere das nicht, sie denke aber, dass die richtigen Virologen diese Verwechslung nicht so toll fänden, sagt Addo im Stadtgespräch bei NDR 90,3. Der Unterschied ist mehr als nur eine Wortklauberei, denn Infektiologie und Virologie sind zwei unterschiedliche Forschungsgebieten in der Medizin.
In den Fußstapfen des Vaters
Wie kam es, dass die Medizin ihre Berufung wird? Addo tritt in die Fußstapfen ihres Vaters. Er war Arzt, seine Arbeit faszinierte sie und sie wollte bereits als Kind ebenfalls Ärztin werden. "Er kam aus Afrika und er hat auch von Erkrankungen erzählt, die er hatte", zum Beispiel Malaria. Und bei gemeinsamen Reisen in sein Heimatland Ghana lernte sie noch weitere Krankheiten kennen, die in Europa eher unbekannt sind. Doch den entscheidenden Impuls für ihr Interesse an der Infektiologie bekam sie als junge Medizin-Studentin Anfang der 90er-Jahre in Frankreich.
AIDS-Station in Frankreich war richtungsweisend
Während eines Auslandssemesters in Frankreich arbeitete sie auf einer AIDS-Station im Krankenhaus. "Da wollte kein Student hin, deshalb war dort noch ein Platz frei für mich", erzählt sie. Diese Zeit war richtungsweisend für sie. Besonders der sehr charismatischen AIDS-Forscher hat sie inspiriert. "Er weiß wahrscheinlich gar nicht, welch großen Einfluss er auf mich gehabt hat," erzählt sie. Das neues Virus sorgte für viele Ängste und viel Ausgrenzung", deshalb sei HIV immer auch ein soziales und gesellschaftspolitisches Thema gewesen und nicht nur eine medizinische Herausforderung. Dieses Spannungsfeld hat Addo bis heute nicht mehr losgelassen. Das neuartige Coronavirus habe sie oft erinnert an die Zeit damals, sagt sie.
Arbeit am Krankenbett und an Corona-Impfstoff
Es sind wahrscheinlich genau diese Erfahrungen, weshalb die inzwischen 50-jährige Addo immer auch als Ärztin und nicht nur als Wissenschaftlerin arbeiten wollte: "Viele meiner wissenschaftlichen Fragen ergeben sich aus der Arbeit mit Patienten, das motiviert und begeistert mich." In der Corona-Krise hat sie sich im Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) um viele Patienten gekümmert. Besonders gefreut habe sie sich zum Beispiel, als eine schwer erkrankte Frau, die aus Frankreich eingeflogen worden war, wieder gesund nach Hause durfte. Inzwischen ist die Lage im UKE - so wie in den anderen Krankenhäusern - wieder entspannt. Jetzt bereitet Addo mit ihren Kolleginnen und Kollegen eine Studie zu einem möglichen Corona-Impfstoff vor, die bald beginnen soll.
Erfahrungen mit Alltagsrassismus
Für die in Bonn geborene und in Troisdorf aufgewachsene Addo ist es noch ungewohnt, durch die Corona-Krise so bekannt geworden zu sein: "Ich bin grundsätzlich nicht jemand, der wahnsinnig gern im Mittelpunkt steht." Sie bekomme dadurch viel Feedback, aber eben nicht nur Positives: "Da kamen auch schon E-Mails, wo dann drin stand: Geh zurück nach Afrika." Sie glaube, dass jeder, der mit dunkler Hautfarbe hier aufgewachsen sei, Alltagsrassismus erlebt habe. Nicht immer sei das böswillig. Aber auch sie sei schon mal bespuckt oder bepöbelt worden. Deshalb engagiere sie sich gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus. Im Alltag helfe ihr oft auch ihr Humor. Wenn ihr gesagt werde, dass sie ja gut Deutsch spreche, antworte sie: "Ja, sie sprechen aber auch gut Deutsch." Manchmal helfe dieser Überraschungsmoment.
