Nach Amoklauf: Hamburger Polizei räumt Kommunikationsfehler ein

Stand: 23.03.2023 07:58 Uhr

Vor der Tat hatte der Amokläufer von Alsterdorf, Philipp F., ein Buch mit wirren Inhalten veröffentlicht. Ein anonymer Hinweis machte die Waffenbehörde darauf aufmerksam. Die Hamburger Polizei hatte zunächst gesagt, das Buch nicht gefunden zu haben. Das stimmt jedoch nicht. Die Opposition fordert nun personelle Konsequenzen.

Die Beamtinnen und Beamten hätten den Namen Philipp F. und den Begriff "Buch" bei Google eingegeben - und das Buch nicht gefunden. So hatte Polizeipräsident Ralf Martin Meyer es bei einer Landespressekonferenz kurz nach dem Amoklauf gesagt. Nun kam heraus: Letzteres entspricht nicht der Wahrheit. Eine Mitarbeiterin der Waffenbehörde hatte nach dem anonymen Hinweis den Buchtitel gefunden, es aber weder bestellt noch heruntergeladen. Der Titel "Die Wahrheit über Gott, Jesus Christus und Satan" habe die Mitarbeiterin der Waffenbehörde nicht sonderlich alarmiert, heißt es von der Hamburger Polizei.

Polizei: Fehler bei Befragung einer Mitarbeiterin

Sie erklärt diesen Vorfall durch einen Kommunikationsfehler. Der sei bei der Befragung der betroffenen Mitarbeiterin am Telefon entstanden. Sie sei gefragt worden, ob sie das Buch kannte. Weil sie es aber nicht gelesen hatte, sagte sie "nein". Dass sie es gefunden hatte, erwähnte sie offenbar nicht.

Polizeipräsident: Täter hätte Waffe erstmal behalten können

Polizeipräsident Meyer erklärte am Mittwoch gegenüber dem NDR, dass sich die Mitarbeiterin momentan im Krankenhaus befinde. Er gab an, dass die derzeitige Gesetzeslage aber auch bei Kenntnis des Buches keinen sofortigen Waffenentzug bei Philipp F. erlaubt hätte. "Man hätte ihn dann anschreiben müssen, damit er sich selber ein fachpsychologisches Gutachten besorgt, so sieht es das Gesetz vor." Dafür hätte Philipp F. dann vier Wochen Zeit gehabt, so Meyer.

Kritik von Innensenator Grote

Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) äußerte am Mittwoch leise Manöverkritik. "Ich hätte mir natürlich gewünscht, dass man sich dieses Buch besorgt, intensiv angeguckt und auch Experten vorgelegt hätte." Eine von der Hamburger Linksfraktion geforderte Ablösung des Polizeipräsidenten lehnte Grote ab. Der innenpolitische Sprecher Deniz Celik (Linke) hatte NDR 90,3 in Bezug auf die Behauptung, die Polizei habe das Buch online nicht gefunden, gesagt: "Entweder weiß der Polizeipräsident nicht, was in seiner Behörde los ist, oder er hat bewusst die Öffentlichkeit getäuscht. So oder so ist er nicht länger tragbar und muss daher zurücktreten."

CDU fordert Grotes Rücktritt

CDU-Fraktionschef Dennis Thering forderte derweil den Rücktritt des Innensenators. "Natürlich muss jetzt sichergestellt werden, dass sich solche Pannen mit tragischen Folgen nicht wiederholen, aber Innensenator Grote ist dafür eindeutig der falsche Mann", sagte Thering der Zeitung "Welt". Auch die Linksfraktion forderte Grotes Rücktritt.

Finn Kessler © NDR
AUDIO: Buch des Amokläufers: Hamburger Polizei räumt Kommunikationspanne ein (1 Min)

Zwei Gutachten über Buch des Täters

Zwei von der Polizei in Auftrag gegebene Gutachten, die das Buch mittlerweile untersucht haben, kommen unterdessen zu dem Schluss, dass es keine Hinweise auf eine Gewalttat enthält. Laut einem der Gutachter litt der Täter mit hoher Wahrscheinlichkeit an einer Persönlichkeitsstörung mit überwiegend narzisstischen Anteilen, wie die "Zeit" berichtete. Der Täter habe deutliche Anzeichen von Selbstüberschätzung und Größenwahn und ein übersteigertes Bedürfnis nach Anerkennung gezeigt. Ein zweiter Gutachter erklärte im "Spiegel", Philipp F. habe mutmaßlich aus religiösen Gründen gehandelt. Der Täter sei ein religiöser Fanatiker gewesen, der Wut darüber empfunden habe, dass die christlichen Religionsgemeinschaften Gläubigen die Wahrheit vorenthielten.

Amoklauf mit acht Toten

Der 35 Jahre alte Philipp F. hatte am 9. März bei einer Gemeindeversammlung der Zeugen Jehovas in Hamburg sieben Menschen getötet - darunter ein ungeborenes Kind. Anschließend nahm er sich selbst das Leben. Neun weitere Menschen wurden bei der Amoktat verletzt.

Weitere Informationen
Menschen stehen vor der Auslage eines Waffengeschäfts, das Schreckschuss- und Signalwaffen verkauft. © dpa

Nach Amoklauf: Polizei will Waffenbesitzer besser überprüfen

Die Hamburger Polizei zieht nach dem Amoklauf in Alsterdorf erste Konsequenzen. Die Arbeitsabläufe in der Waffenbehörde sollen verbessert werden. (22.03.2023) mehr

Der Sprecher der Zeugen Jehovas nimmt Stellung. © NDR Foto: NDR

Amoktat: Tausende zu Trauerfeier der Zeugen Jehovas erwartet

Die Gedenkveranstaltung der Glaubensgemeinschaft findet Sonnabend in der Sporthalle statt. Sie soll aus zwei Teilen bestehen. (21.03.2022) mehr

Blumen und Kerzen vor dem Eingang eines Gebäudes der Zeugen Jehovas in Hamburg, in es am 9. März ein Amoklauf gab. © Daniel Bockwoldt/dpa

Amoktat in Hamburg am 9. März bei den Zeugen Jehovas: Was bisher bekannt ist

Wie lief die Tat ab, wer sind die Opfer, was weiß man über den Täter? Die Behörden haben sich zum zweiten Mal zum bisherigen Ermittlungsstand geäußert. (22.03.2023) mehr

Die ökomenische Gedenkfeier in der Hauptkirche St. Petri in Hamburg. © Marcus Brandt/dpa/Pool/dpa Foto: Marcus Brandt/dpa/Pool/dpa

Nach Amoklauf: Gedenkfeier für Opfer und Helfende in Hamburg

Die großen christlichen Kirchen wollten mit dem ökumenischen Gottesdienst in der Hauptkirche St. Petri ein Zeichen setzen. (19.03.2023) mehr

Kondolenzbuch für die Opfer der Amoktat bei den Zeugen Jehovas © Jonas Walzberg/dpa

Trauer nach Amoklauf: Kondolenzbuch im Hamburger Rathaus

Nach der Amoktat in Hamburg-Alsterdorf können Interessierte in dem Buch ihre Anteilnahme auszudrücken. Es liegt eine Woche aus. (18.03.2023) mehr

Andy Grote (SPD), Senator für Inneres und Sport in Hamburg, Polizeipräsident Ralf Martin Meyer, Arnold Keller von der Generalstaatsanwaltschaft und Uwe Stockmann, Landeskriminalamt Hamburg (v.r.n.l.), sitzen im Rathaus während der Landespressekonferenz zum aktuellen Ermittlungsstand der Amok-Tat. © picture alliance/dpa | Marcus Brandt Foto: Marcus Brandt

Amoktat: Behörden sehen keine Versäumnisse bei Waffenkontrolle

Während Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer keine Fehler der Waffenbehörde erkennen kann, fordert die Opposition Aufklärung. (14.03.2022) mehr

Blumen und Kerzen liegen und stehen im Stadtteil Alsterdorf vor dem Eingang zu einer Kirche der Zeugen Jehovas. © dpa Foto: Christian Charisius

Buch des Amokläufers: Polizei in der Kritik

Die "Zeit" berichtet, dass die Hamburger Polizei ein auffälliges Buch des Täters mit offenbar nicht gelesen hat. (14.03.2023) mehr

Die Zeitschrift "Wachtturm" © picture alliance/dpa | Sina Schuldt

Wer sind die Zeugen Jehovas?

Die streng religiöse Glaubensgemeinschaft hat in Deutschland rund 170.000 Mitglieder. Im Mittelpunkt ihrer Lehre steht die Erwartung des Weltuntergangs. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR 90,3 | NDR 90,3 Aktuell | 23.03.2023 | 07:00 Uhr

Mehr Nachrichten aus Hamburg

Blick auf die Horner Rennbahn in Hamburg. © picture alliance / dpa Foto: Markus Scholz

Fußball-EM in Hamburg: Horner Rennbahn wohl doch kein Holland-Camp

Der Bezirk Hamburg-Mitte sieht Probleme bei der Sicherheit und beim Verkehr. Nun wird über eine Alternative für die niederländischen Fans in Wilhelmsburg nachgedacht. mehr