Claudia Christophersen © NDR Foto: Christian Spielmann

NachGedacht: "Frauen, Leben, Freiheit" - das neue Gefühl

Stand: 14.10.2022 06:00 Uhr

Am kommenden Sonntag sind vier Wochen seit dem Tod einer jungen Iranerin vergangen. Seitdem beklagen Frauen und Männer ihren Tod, demonstrieren im Iran und weltweit. Auch in Deutschland solidarisieren sich Menschen.

von Claudia Christophersen

Entschlossen, wütend, zornig steht sie da: eine Frau in grauer Jeans und schwarzem T-Shirt. Ihre rechte Hand hält eine Schere, die linke wedelt mit einem abgeschnittenen Haarbüschel. Bilder, die in Melbourne aufgenommen wurden, durch die sozialen Medien um die Welt gehen und eine klare Sprache sprechen: Nein zum Kopftuchzwang, nein zur Unterdrückung, nein zu einem Regime, das Menschen gängelt und erniedrigt.

In diesen Tagen zeigen sich so viele Frauen auch in Deutschland: Schauspielerinnen wie Meret Becker oder Katharina Thalbach. Sie schneiden ihre Haare ab, eine Strähne oder mehr. Symbolaktionen weltweit, Zeichen der Trauer, der Solidarität.

Proteste im Iran seit dem Tod von Mahsa Amini

Schauplatz: Iran. Der Tod der 22-jährigen Mahsa Amini mobilisiert: Frauen nehmen ihr Kopftuch ab, verbrennen es und tragen die Haare offen, selbstbewusst. Vor vier Wochen war die junge Mahsa Amini in Teheran auf offener Straße von sogenannten iranischen Sittenwächtern festgenommen worden. Ihre Kleidung sei unziemlich, unzüchtig, unmoralisch. Der Rest ist bekannt: Amini stirbt drei Tage später in der Haft. Die offizielle Todesursache lautet Herzinfarkt, doch ihre Familie, und mit ihr viele Iranerinnen und Iraner, wollen daran nicht glauben.

Proteste haben Schulen erreicht: Mädchen ziehen ihr Kopftuch ab. Studentinnen, junge Frauen machen es vor. Ihre Kopftücher schwenken sie kraftvoll über den Köpfen. In Sprechchören rufen sie: "Frauen, Leben, Freiheit" oder "Tod dem Unterdrücker".

Weitere Informationen
Mit Plakaten von Masha Amini demonstrieren Teilnehmer für Demokratie und Freiheit im Iran auf der Reichstagswiese in Berlin. © dpa Foto: Kay Nietfeld

Frauen, Leben, Freiheit: Der Kampf um Menschenrechte im Iran

Nach dem Tod von Mahsa Amini in Polizeigewahrsam protestieren Frauen für mehr Selbstbestimmung und das Ende der Diktatur. mehr

Instagram und WhatsApp abgeschaltet

Der Große Bazar in Teheran blieb, so berichten Zeitungen, am vergangenen Wochenende geschlossen, die Rollläden der Geschäfte heruntergezogen. Stille an einem Ort, wo sonst das Leben tobt, wo Handel und gesellschaftlicher Alltag pulsieren, wo Geschäfte gemacht werden. Ja, auch die Bazar-Händler haben Angst, dass durch die Proteste ihre Waren beschädigt werden könnten. Ihr eigentlicher Impuls aber ist klare Solidarität mit den Demonstrierenden.

Weniger freiwillig und eigeninitiativ ist die Sperrung eines anderen Marktplatzes: Instagram und WhatsApp, im Iran äußerst beliebte Kommunikationsplattformen, wurden vom Innenministerium abgeschaltet. Man wertet sie als Teil der "Verschwörungsoperationen" durch die "Hetzmaterial verbreitet" und die "nationale Sicherheit" gefährdet werde. Klares Ziel: Die iranische Regierung will die Veröffentlichung von Aktionen per Video kappen.

Hoffnung auf Veränderung

Wovor hat man Angst? Gruppensolidarität kann zur Gruppendynamik werden, die Systeme zum Sturz bringen könnte. Ist es das? Ist die Zeit in Teheran reif für eine tatsächliche, tiefgreifende Veränderung? Weg mit den verkrusteten, alten Überzeugungen, die viele Menschen nicht verstehen können und wollen.

Das, was gerade im Iran passiert, könnte weitreichend sein. Es wird getragen von einem Gefühl, das anders ist als bei den Protesten der vergangenen Jahre. Menschen haben Angst, um ihr Leben, um ihre Existenz, um ihre Freiheit. Aber das starke Gefühl der Entschiedenheit schweißt zusammen und lässt sie hoffen auf Veränderung.

Weitere Informationen
Menschen demonstrieren nach dem Tod der jungen Iranerin Mahsa Amini. © dpa picture alliance / NurPhoto Foto: Bryan Olin Dozier

Mehr Solidarität mit Frauen im Iran

Die Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur sagt, der Fall Mahsa Amini mache das Kopftuch zu einem Symbol für Rechte und Freiheit. mehr

Eine Frau ruft Parolen neben einer iranischen Fahne während einer Demonstration vor der iranischen Botschaft nach dem Tod der Iranerin Mahsa Amini. © picture alliance/dpa/AP Foto: Francisco Seco

Iran: Gibt es eine Chance auf gesellschaftlichen Wandel?

Nach dem Tod von Mahsa Amini gibt es im Iran tausende Verhaftungen und auch viele Tote - doch die Proteste dauern an. mehr

Gruppe von iranischen Studenten © picture alliance / abaca | SalamPix/ABACA

Iran: Musik ist Ausdruck für Protestbewegung

Neben Parolen und Sprechchören werden die Proteste im Iran vor allem musikalisch begleitet. Ein Situationsbericht. mehr

Die Iranische Sängerin Googoosh bei der Expo 2020 in Dubai © picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Ebrahim Noroozi Foto: Ebrahim Noroozi

Iranische Sängerin Googoosh in Hamburg: Gedenkkonzert an Mahsa Amini

Seit mehr als einer Woche herrschen im Iran erneut Proteste. Auslöser ist der Tod einer jungen Frau. Die iranische Prominenz im Exil meldet sich zu Wort. mehr

Ulrich Kühn, Claudia Christophersen und Alexander Solloch. © NDR Foto: Christian Spielmann

NachGedacht

Unsere Kolumnisten lassen die Woche mit ihren Kulturthemen Revue passieren und erzählen, was sie aufgeregt hat. Persönlich, kritisch und gern auch mit ein wenig Bösartigkeit gespickt. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | NachGedacht | 14.10.2022 | 10:20 Uhr

NDR Kultur App Bewerbung

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur Livestream

Das Journal

16:00 - 18:00 Uhr
Live hörenTitelliste
Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage: Demokratie unter Druck?