Iran: Musik ist Ausdruck für Protestbewegung
Seit fast vier Wochen erlebt der Iran eine neue, anhaltende Protestbewegung.
Neben Parolen und Sprechchören werden die Versammlungen vor allem musikalisch begleitet.
Es ist ein Lied, das nur aus einer Aufzählung besteht: "Für das Tanzen auf der Straße. Für die Angst sich zu küssen. Für meine, Deine, unsere Schwestern. Für den Wechsel alter Werte, die Sehnsucht nach einem normalen Leben." Eine Aufzählung dessen, wonach sich viele Menschen im Iran sehnen, was die Regierung jedoch kritisiert, gar mit Peitschenhieben oder dem Tode bestraft.
"Baraye Azadi": Hymne der Protestbewegung im Iran
Der Sänger Shervin Hajipour hat daraus einen Song gemacht. "Baraye Azadi" ("Für die Freiheit") ist zur Hymne der aktuellen Protestbewegung im Iran geworden. Zum Beispiel im Klassenzimmer einer Schule im Iran. Junge Schülerinnen stehen mit dem Gesicht zur Tafel und bilden eine Reihe. Etwas ist zu sehen, was bis vor kurzem noch undenkbar schien: lange, schwarze Haare. Demonstrativ stehen die Mädchen da, ohne Kopftuch. Nachdem das Lied zur Unterstützung der landesweiten Proteste gegen den Tod von Mahsa Amini im Netz millionenfach angeklickt wurde, ist der Sänger zunächst inhaftiert worden. Anfang Oktober wurde er laut Informationen des WDR wieder freigelassen.
Protest in Liebeslieder verpackt und verschlüsselt
Nicht nur bei den aktuellen Protesten ist die Musik ein Ventil, um das, was nicht gesagt werden darf, trotzdem zu sagen - und das seit mehr als 40 Jahren. Aber nicht offensiv, sondern zwischen den Zeilen, um es an den strengen Prüfungen der Zensurbehörde im Iran vorbei zu schaffen, erklärt die Pianistin und Hamburger Kulturmanagerin Bahar Roshanai. Auf den ersten Blick sind es meist Liebeslieder: "Das ist ganz ganz typisch. Eigentlich können wir zusammen mal drei Stunden Musik hören und wir werden zusammen erkennen, es gibt kaum Lieder, die wirklich Liebeslieder sind. Es ist alles verpackt, alles verschlüsselt."
Ein Beispiel ist das Lied "Naro, Beman" - auf deutsch "Geh nicht, bleib" von der Band Pallett. "Das ist so stark. Jetzt, seit ich verstanden habe, was das für eine politische Botschaft ist. Wenn Sie es hören, dass das eine romantische Abendstimmung ist - es sind alles Symbole: die dunklen Schatten an der Wand, das heimliche Rauchen im Kaffee, die dunklen Wolken, die trüben Nächte. Wir haben die trüben Nächte liebgewonnen."
Bangen bei Abnahme durch strenge Zensurbehörde
Ein weiteres berühmtes Beispiel ist "Zemestan ast" ("Es ist Winter") von Mohammad Reza Shajarian, dem bekanntesten Sänger traditionell persischer Musik, der vor zwei Jahren gestorben ist: "Das Cover zeigt eine Winterlandschaft", erzählt Bahar Roshanai. "Wenn man aber den Text liest, handelt er von einer politischen Stimmung. Es ist Winter, die Menschen haben den Kragen hochgezogen. Keine schaut sich an und alle haben Angst. Es wird eine Winterlandschaft beschrieben, aber eigentlich ist völlig klar: Es ist die Stimmung der Regierung, die im Land erzeugt wurde und die dort ausgedrückt wird."
Das Bangen darum, ob es ein Werk durch die strenge Zensurbehörde im Iran schafft, hat Bahar Roshanai selbst erfahren. Anknüpfend an die Winter-Symbolik hat sie eine Aufnahme mit Klavierstücken im Iran veröffentlicht, der Titel: "Es ist immer noch Winter". "Mit diesem Titel, war ich mir sicher, dass es die Zensurbehörde nicht durchgehen lässt. Es ist durchgegangen, sie haben sich nur darüber aufgeregt, dass auf dem Cover meine Haare zu sehen sind, das hat die so abgelenkt", sagt Roshanai und lacht. "Dieses Album wurde vielleicht 300.000 mal im Iran gekauft, vor allem deswegen, weil da eine Frau auf dem Cover zu sehen ist, aber auch wegen des Titels. Ein Iraner weiß, wenn man sagt, "Hanus semestan ast" ist es völlig klar: Es ist noch Winter in unserem Land."