Mehr Solidarität mit Frauen im Iran
Weil sie nach Ansicht der Teheraner Sittenpolizei ihr Kopftuch nicht korrekt trug, wurde die 22-jährige Mahsa Amini festgenommen und starb unter ungeklärten Umständen in Polizeigewahrsam. Seitdem gehen die Menschen weltweit auf die Straße. Es geht um mehr als ein Stück Stoff: Das Kopftuch wird zum Symbol für Frauenrechte und Meinungsfreiheit. Ein Gastkommentar.
In diesen Tagen fällt mir ein Gebot aus dem Koran ein: "La ikraha fi din". Übersetzt heißt es: "Es gibt keinen Zwang in der Religion." Wenn das tatsächlich gelten soll, dann müssten sich religiöse Musliminnen und Muslime hierzulande mit den Iranerinnen solidarisieren und für deren Recht eintreten, das Kopftuch abzulegen. Um damit Solidarität zu zeigen und zu sagen, dass es in Fällen wie dem iranischen beim Kopftuch um alles geht. Um das RECHT auf alles - auch das Recht auf Meinungsfreiheit. Erst wenn diese Freiheiten und Rechte in Iran für alle gesichert sind, erst dann können Musliminnen andernorts das Kopftuch wieder als ihr Symbol für ihre persönliche Religiosität zurückgewinnen. Sie müssen dafür aber erst einmal mithelfen, das Kopftuch dieser Symbolik zu entkleiden.
Kopftuch als politisches Symbol
Es bräuchte viel mehr Solidarität: Vor allem auch von denjenigen Frauen, die dafür streiten oder auch nur auf ihrem Recht beharren, in Deutschland ein Kopftuch tragen zu können. Nur wer sich für das Recht iranischer Frauen ausspricht, kein Kopftuch tragen zu müssen, kann guten Gewissens verlangen, in Deutschland überall eines tragen zu dürfen. Entschiedenheit und Solidarität sind gefragt. Dann wird das Kopftuch vielleicht wieder zu einem religiösen Symbol. Im Moment ist es das nicht.
Es gibt viel zu wenig von dieser Solidarität: Ausgerechnet Fereshta Ludin hat sich in diesem Sinne per Facebook solidarisch erklärt. Ausgerechnet sage ich, weil sie vor Gericht in Deutschland dafür gestritten hat, ihr Kopftuch als Lehrerin tragen zu dürfen. Ausgerechnet sage ich, weil sie sich viel hat anhören müssen. Dass sie von deutschen Medien als Agentin Khomeinis verunglimpft wurde, war noch harmlos. Doch sie steht tatsächlich an der Seite der iranischen Frauen - und ruft auf zur Solidarität mit denen, die ihr Kopftuch ablegen wollen.
Ich bin in den letzten Tagen oft gefragt worden, warum sich die politische Linke in Deutschland nicht oder nur so verhalten mit den Protestierenden in Iran solidarisch erklärt. Das hängt mit dem eben Gesagten eng zusammen. Denn ich vermute, es liegt daran, dass sie fürchten, sofort als islamfeindlich tituliert zu werden. Diese Sorge ist auch nicht abwegig: Als vor wenigen Tagen das Foyer der Hamburger Imam Ali Moschee mit Farbe beschmiert wurde, erklärte Aiman Mazyeck, der Vorsitzende der Muslime in Deutschland, die Geschehnisse in Iran dürften nicht zu einer neuen Welle der Islamfeindlichkeit führen.
Dabei hatte die Beschmier-Aktion mutmaßlich nichts mit der Moschee als einem Ort des Gebets zu tun. Eine sehr viel wahrscheinlichere Erklärung wäre, dass die Moschee als politischer Außenposten der islamischen Republik in Deutschland gilt. Der Angreifer wollte den iranischen Staat treffen, nicht die islamische Religion. Ähnliches konnten wir am Tag der Offenen Moschee, der zeitgleich mit dem Tag der Deutschen Einheit stattfindet, vor der iranischen Moschee an der Außenalster beobachten: Die Demonstranten waren nicht dort, weil sie islamfeindlich sind, sondern weil sie auf das Unrecht aufmerksam machen wollten, das der iranische Staat seinen Bürgerinnen antut.
Die Musliminnen und Muslime hier könnten der deutschen Linken durch ihre Solidarität mit den Iranerinnen und Iranern helfen und ihnen endlich die Angst nehmen, sofort als islamfeindlich zu gelten, wenn sie lediglich kritisieren, was im Namen des Islams, in islamischen Ländern, in einer vermeintlich Islamischen Republik geschieht. Und ihr persönliches Kopftuch könnten sie claimen - wie es so schön neu-deutsch heißt – indem sie den iranischen Frauen helfen, es abzulegen.
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