Nach Solingen: Islamistischen Terror bekämpfen - Grundrechte schützen!
Nach dem Solinger Messerattentat hat die Bunderegierung nun ein Maßnahmenpaket vorgelegt. Kann dies den islamistischen Terror eindämmen? Für Michael Kiefer, Professor für Soziale Arbeit in der Migrationsgesellschaft, sind Zweifel angebracht. Ein Gastkommentar.
Wie können wir den islamistischen Terrorismus bekämpfen? Diese Frage wird seit dem furchtbaren Solinger Messerattentat erneut mit viel Verve diskutiert. Im Fokus der Debatte stehen migrationspolitische Aspekte. Die Bunderegierung hat jetzt ein Maßnahmenpaket vorgelegt. Darunter Messerverbote, erweiterte Befugnisse für die Polizei, schnellere Abschiebungen und weniger Geld für bestimmte Asylbewerber. Kann dieses Maßnahmenpaket islamistische Einzeltäter stoppen? Manches - so die Einrichtung einer Task Force für Islamismusprävention - zeigt in die richtige Richtung. Aber das jetzt beschlossene Sicherheitspaket der Ampelkoalition reicht nicht aus.
Einzeltäter stellen große Herausforderung dar
Auch wenn die Tatumstände bislang nicht vollständig geklärt sind, verfügen wir über eine Reihe von Informationen. Das Solinger Attentat folgt vermutlich einem Muster, das wir bereits mehrfach beobachten konnten. Als Tatmittel wird ein Messer gewählt. Der Täter hatte kein dauerhaftes Bleiberecht. Rekrutiert wurde der Mann mutmaßlich von Akteuren des sogenannten Islamischen Staates (IS).
Diese Strategie ist nicht neu. Ins Blickfeld der Terroristen geraten zumeist muslimische Geflüchtete in prekären Lebenssituationen. Sie werden aufgefordert, Attentate zu begehen. Die Tat soll allein und mit einfachen Mitteln durchgeführt werden. Die bevorzugten Ziele liegen im öffentlichen Raum, der nur schwer umfassend geschützt werden kann.
Eine Taktik, die auf Einzeltäter setzt, stellt für die Sicherheitsbehörden eine große Herausforderung dar. Einzeltäter können kaum im Vorfeld identifiziert werden. Daher brauchen wir eine präzise Strategie, die alle relevanten Akteure aus Staat und Zivilgesellschaft umfasst.
Wir brauchen eine verbesserte psychosoziale Betreuung
Was bedeutet dies konkret? Zunächst brauchen wir eine ohne Hast durchgeführte Analyse der Tathergänge und aller bedingenden Faktoren. Nach Lage der Dinge könnte eine wirksame Strategie zwei Komponenten umfassen. Die erste müsste sich mit der Lebenslage der skizzierten Gruppe befassen. Hierbei gilt es zu konstatieren, dass Radikalisierung sich in der Regel nicht blitzartig vollzieht. Radikalisierungsprozesse erstrecken sich über Monate, manchmal Jahre. Im sozialen Umfeld der betroffenen Person bleiben solche Prozesse nicht unbemerkt. Genau hier kann eine Präventionsstrategie ansetzen. Wir brauchen eine verbesserte psychosoziale Betreuung von Geflüchteten, und wir brauchen in den Einrichtungen Menschen mit Fluchthintergrund, die bereit sind, Auffälligkeiten zu melden. Hilfreich ist in diesem Kontext auch die Mitarbeit von Moscheegemeinden. Diese bieten häufig Hilfen für Geflüchtete an. Wenn die ehrenamtlich Tätigen für problematische Anzeichen sensibilisiert werden, könnten Radikalisierungsprozesse wohlmöglich frühzeitig unterbrochen oder sogar von vornherein verhindert werden.
Mehr Social-Media-Überwachung?
Die zweite Komponente betrifft das Vorgehen der Sicherheitsbehörden. Die Kommunikation zwischen IS-Aktivisten und Rekruten läuft über Social-Media-Kanäle. In Deutschland gibt es für die Behörden bislang wenige Möglichkeiten gezielt zuzugreifen. Anders verhält es sich in den USA: Die Geheimdienste dort überwachen in großem Stil die digitale Kommunikation weltweit. Daher ist es wenig verwunderlich, dass Hinweise der US-Dienste in Europa mehrfach zur Verhinderung von Anschlagsplänen herangezogen werden konnten. Zuletzt war dies in Wien der Fall: US-Dienste konnten Anfang Juli eine Person identifizieren, die einen Anschlag auf ein großes Popkonzert plante und sich über den Messaging-Kanal Telegram zum IS bekannte. Zu prüfen wäre nun, ob die Überwachungsmöglichkeiten deutscher Dienste genau hier ausgeweitet werden können.
Populistische Parolen helfen wenig
So kann festgehalten werden, dass bei der Abwehr terroristischer Bedrohung Zivilgesellschaft und Sicherheitsbehörden in gleichem Maße gefordert sind. Mit großer Hast geschnürte Pakete helfen in der Sache wenig. Zielführend sind präzise und sorgfältig geplante Maßnahmen, die im Rahmen der Rechtsordnung verbleiben und nicht das aus gutem Grund garantierte Grundrecht auf Asyl verletzen.
Michael Kiefer ist Professor für Soziale Arbeit in der Migrationsgesellschaft mit dem Schwerpunkt muslimische Wohlfahrtspflege am Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück.
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