AkademikerInnen aus Afghanistan ohne Chance
Vor fast einem Jahr haben die Taliban die Macht in Afghanistan übernommen. Heute sind staatliche Universitäten geschlossen, Männer und Frauen getrennt, die Zukunftsaussichten für Akademiker schlecht.
Immer mehr Menschen versuchen, das Land zu verlassen. Sie kommen häufiger mit Familie, sind älter und haben meist einen Hochschulabschluss. Das geht aus einer Studie des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge hervor, für die Daten zu Asylsuchenden in den vergangenen fünf Jahren ausgewertet wurden.
Das Leben unter den Taliban ist für Akademikerinnen und Akademiker in Afghanistan unerträglich. Vor allem für Frauen. Sie werden in fast allen Lebensbereichen diskriminiert: So dürfen sie öffentliche Verkehrsmittel nur noch in männlicher Begleitung benutzen. Das Haus sollen sie generell nicht allein und nur vollständig verschleiert verlassen.
Wer erfolgreich war, flüchtet
Wer kann, flieht. So wie Mohammed Matin Afzar Neshad. Er hat in seiner Heimat Wirtschaft studiert und als Spezialist für Finanzmanagement gearbeitet: "Im Moment ist die Situation so: Wer erfolgreich war, flüchtet nach Deutschland. Wir können sagen, dass 99,9 Prozent der Geflüchteten gebildete Leute sind. Es ist ein großer Verlust für Afghanistan."
Freiheiten von Frauen zunehmend eingeschränkt
Seit Dezember vergangenen Jahres lebt der 35-Jährige mit seiner Frau Yalda und seiner anderthalbjährigen Tochter in Hannover. Kurz nach ihrer Machtübernahme im August vergangenen Jahres hatten die Taliban eine moderate Regierung versprochen. In den vergangenen Monaten wurden jedoch zahlreiche Freiheiten von Frauen beschnitten. Zehntausende Afghaninnen, die in Behörden gearbeitet hatten, verloren ihre Jobs, bedauert Yalda Afzar Neshad:
"Als die Taliban kamen, zog eine große Traurigkeit über das Land. Die Menschen waren verzweifelt, vor allem die Frauen. Die Taliban fingen an, die Frauen verstärkt zu unterdrücken, vor allem an den Arbeitsplätzen. Sie haben die Universitäten geschlossen und die Jungen von den Mädchen getrennt, auch in den Schulen. Und sie kapseln die Frauen ab, so dass sie keine Chance haben, um Mutter zu werden oder Ehefrau. Sie trennen sie von der Gesellschaft und von den Männern."
Große Probleme für ausgebildete Frauen
Frauen dürfen das Land zudem nur noch verlassen, wenn eine männliche Person sie begleitet, ergänzt Yalda Afzar Neshad. Sie stammt - genauso wie ihr Ehemann - aus der Stadt Herat. Auch die 29-Jährige hat Wirtschaft studiert. Besonders in den Städten haben sich viele Frauen in den letzten Jahren das Recht erkämpft zu arbeiten. Aber ihnen werden immer wieder Steine in den Weg gelegt, betont Udo Stolte von der Hilfsorganisation Shelter Now. Er macht das an einem Beispiel einer seiner Projekte deutlich, bei dem es um bereits ausgebildete Frauen geht:
"Wenn Frauen ausgebildet worden sind, beispielsweise in unseren Projekten zu Zahnärztinnen, haben sie Schwierigkeiten zu praktizieren. Ob sie zugelassen werden, ist die große Frage. Zum Beispiel haben wir in Herat mehrere Zahnkliniken aufgebaut. Eine davon hat auch Zahnärztinnen und Zahnärzte ausgebildet. Da haben wir mit der Universität von Herat zusammengearbeitet und wir haben in der Klinik die praktische Ausbildung geleistet. Nach der Machtübernahme musste diese Klinik zumachen, weil da Frauen und Männer gemeinsam arbeiten. Das soll nicht sein nach der Scharia, zumindest wie das dort verstanden wird."
Taliban verbieten weiterführende Schulen für Mädchen
Geht es danach, wie die Taliban die Scharia auslegen, haben Afghaninnen auch kein Recht darauf, sich weiterzubilden. Es war eine der ersten politischen Handlungen der Taliban, den Mädchen in vielen Provinzen den Besuch von weiterführenden Schulen zu verwehren. Auch zu Universitäten haben Frauen nur noch Zugang, wenn diese einen geschlechtergetrennten Unterricht anbieten.
Auch die Ratsversammlung - die sogenannte Loja Dschirga - Anfang Juli hat die Situation nicht verbessert, bedauert Udo Stolte: "Da haben sich viele ein bisschen mehr erhofft, dass die Mädchen nicht nur eine Grundschulbildung bekommen, sondern auch über das sechste Schuljahr hinausgehend weiterführende Bildung bekommen können. Aber das ist nicht der Fall. Das Thema wurde noch nicht einmal angesprochen."
Gemeinsam bleibt den Hilfsorganisationen in Afghanistan nur die Hoffnung auf weitere diplomatische Initiatoren der Weltgemeinschaft.
