Burka-Pflicht in Afghanistan: "Frauen werden unsichtbar gemacht"
Obwohl die Taliban bei ihrer Machtübernahme 2021 erklärt hatten, dass sie Frauenrechte respektieren wollen, haben sie die Burka-Pflicht wieder eingeführt. Ein Gastkommentar von Canan Topcu.
Trägt der Westen Schuld am Leid der afghanischen Frauen? Ja, sie wurden im Stich gelassen, meint der deutsch-US-amerikanische Politikwissenschaftler Yascha Mounk in einem Tweet, mit dem er die Nachricht über die Burka-Pflicht kommentierte.
Mit dem Abzug der US-amerikanischen Streitkräfte aus Afghanistan ist der Weg gebahnt worden zur vollständigen Übernahme des Landes durch die radikal-islamistischen Taliban. Entgegen ihrer Ankündigung nach der Machtübernahme im Herbst 2021, die Freiheiten von Mädchen und Frauen nicht einzuschränken, praktizieren die islamistischen Herrscher genau das Gegenteil.
Gewalt gegen Demonstrantinnen durch Taliban zeigt Wirkung
Schon nach kurzer Zeit verkündeten sie, dass Mädchen keine weiterführenden Schulen mehr besuchen dürfen. Und berufstätige Frauen, die etwa für die afghanische Regierung tätig waren, müssen sich ausschließlich um den Haushalt kümmern. Frauen dürfen auch nicht mehr allein reisen, dürfen sich in öffentlichen Parks nur zu bestimmten Zeiten aufhalten - nämlich nur dann, wenn Männer dort keinen Zutritt haben.
In den ersten Tagen und Wochen nach der Einführung dieser Restriktionen gab es noch Proteste von afghanischen Frauen. Die Gewalt gegen die Demonstrantinnen durch die Taliban zeigte jedoch Wirkung. Die Afghaninnen scheinen es schweigend hinzunehmen, dass sie unsichtbar gemacht werden - im öffentlichen Leben und auf öffentlichen Plätzen.
Der Westen hat afghanische Frauen im Stich gelassen
Einerseits stimme ich mit Blick auf diese Entwicklungen dem Politikwissenschaftler Yascha Mounk zu, dass der Westen die afghanischen Frauen im Stich gelassen hat. Andererseits denke ich: Mehr als 20 Jahre lang ist in die afghanische Gesellschaft investiert worden. Ab wann hätte ein Engagement in Bildung, Gesundheit und Medien die Strukturen einer archaischen Männergesellschaft brechen können? Eine Frage, die unbeantwortet bleibt.
Als ich die Nachricht von der Wiedereinführung der Vollverschleierung vernahm, stellte ich mir noch eine weitere Frage: Was genau geht in den Köpfen der Männer vor, die solch eine rückwärtsgewandte Politik betreiben? Ich dachte: Anscheinend haben sie den ganzen Tag nichts anderes als Sex im Kopf und meinen, ihre Gier und ihren Trieb nur dadurch kontrollieren zu können, indem sie sich vor dem Anblick von Frauen "schützen".
Verhüllungsvorschrift spricht Männern eigene Willensstärke ab
Die Nachricht aus Afghanistan macht mich zornig und traurig zugleich. Ich denke an all die Mädchen und Frauen, denen das Menschenrecht der Selbstbestimmung verweigert wird. Mit der Verordnung der Vollverschleierung üben die Taliban brutale Macht über Frauen aus. Dass sich die Taliban damit auch selbst entlarven, scheinen sie nicht einmal zu merken. Denn die Burka-Vorschrift ist alles andere als eine intellektuelle Glanzleistung, sondern Ausdruck einer pessimistischen Weltsicht mitsamt dem Eingeständnis mangelnder Selbstbeherrschung.
Ich und auch viele andere muslimisch sozialisierte Menschen können mit der Verhüllungsvorschrift nichts anfangen! Sie geht auf eine patriarchale Interpretation des Korans zurück und ist eine Auslegung zum Nachteil von Frauen. Aber auch von Männern! Denn: Diese Vorschrift spricht den Männern ihre eigene Willensstärke ab.
Verhüllung: Respekt ja - Verständnis nein
Ich respektiere Frauen, die ohne Zwang dem Gebot der Verhüllung folgen. Nachvollziehen und verstehen kann ich es aber nicht! Vor allem, wenn es sich dabei um Frauen handelt, die in einem demokratischen Land sozialisiert wurden und um den teilweisen Zwang in islamischen Ländern wissen.
Ich könnte nicht guten Gewissens mein Haar und mein Gesicht verhüllen, weil ich nicht akzeptiere, dass islamistische Herrscher und Regierungen Frauen vorschreiben, wie sie sich zu kleiden haben und damit ihre Freiheit massiv einschränken. Aus meiner Sicht würde ich damit zum Ausdruck bringen, dass ich einer menschenverachtenden Vorschrift zustimme.
