Ein historisches Bild von einem Mann in der Wüste © picture alliance Heritage-Images Foto: Fine Art Images

Mendelssohns "Elias": Ein Heiliger aus Fleisch und Blut

Stand: 01.07.2023 09:40 Uhr

Das Schleswig-Holstein Musikfestival wird mit dem Oratorium "Elias" eröffnet. Alan Gilbert dirigiert das NDR Elbphilharmonie Orchester und spricht über die Hintergründe des Werkes.

von Chantal Nastasi

Eine dramatische Geschichte, die genauso gut auf der Opernbühne erzählt werden könnte: Ein Mann, der die anderen vor Zerstörung und Armut warnt, der die Wahrheit erzählen will, doch keiner möchte sie hören, keiner glaubt ihm. Mendelssohns "Elias" ist natürlich keine Oper, auch wenn der Komponist immer gerne eine komponieren wollte. Doch es kam nie dazu.  

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Konzertszene: Alan Gilbert dirigiert "Elias" von Felix Mendelssohn Bartholdy © NDR Foto: Screenshot

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Mendelssohn fasziniert von biblischem Stoff

Der biblische Stoff über den Propheten Elias faszinierte Mendelssohn schon lange. Bereits Mitte der 1830er hatte sich Mendelssohn intensiv damit auseinandergesetzt. Als er fast zehn Jahr später im Juni 1845 den Auftrag bekam, für Birmingham ein Oratorium zu schreiben, sah er seine Chance gekommen, diese Geschichte, die Lebensgeschichte des Elias, endlich in Musik zu bringen. "Es ist wirklich ein kompliziertes Stück", so der Dirigent Alan Gilbert. "Es gibt darin so viele verschiedene Aspekte, die beleuchtet und ausgedeutet werden. Es ist eigentlich eine Oper – von zartesten Klängen bis zu großer Dramatik. Und dabei ist es so echt, die Geschichte so menschlich dargestellt. Es ist wirklich eines meiner Lieblingsstücke."

Elias tritt dem Gott Baal entgegen

Die Geschichte ist eine Zeitreise etwa 2800 Jahre zurück: Ahab ist König des Nordreichs Israel; er und sein Gefolge leben in Luxus, genießen Macht und schwelgen in Selbstherrlichkeit.Sie verehren Baal, den Wetter- und Fruchtbarkeitsgott, der in anderen Glaubensrichtungen auch oft als Dämon dargestellt wird, bauen ihm Tempel und Altäre. All diesem widerspricht Elias. Er tritt ein für einen einzigen Gott, für Jahwe und prophezeit, dieser werde aus Zorn Dürre und Armut über das Land bringen. Im ersten Teil von Mendelssohns "Elias" nach Worten des Alten Testaments wird beschrieben, wie der Prophet den Baal-Anhängern entgegentritt, wie er auf wundersame Weise ein Kind rettet und die Dürre beendet. Im Zweiten Teil stellt sich Elias direkt gegen Ahab und bringt das Volk erneut gegen sich auf. Elias flieht in die Berge und grämt sich, dass sein Wunsch, das Volk zu bekehren, vergeblich war. Engel hindern ihn daran, gänzlich zu verzweifeln und aufzugeben.  

Ein zweifelnder Prophet

Elias trifft auf den unsichtbaren Gott und schöpft wieder Kraft, nach Israel zurückzukehren und die Anhänger Baals zu überzeugen. Am Ende fährt er in einem Feuerwagen gen Himmel. Die Ankunft des Messias wird angekündigt, die Elias’ Wirken fortführen soll. "Stark, eifrig, auch wohl bös‘ und zornig und finster" – so hat Mendelssohn die Figur des Elias einmal in einem Brief charakterisiert. Dass er Elias nicht als Autorität, als Heiligen, zu dem man aufschaut, darstellt, sondern als jemanden aus Fleisch und Blut, der auch mal zweifelt und durch Gott wieder auf den rechten Weg kommt, ist womöglich ein Grund, warum das Oratorium so erfolgreich wurde. 

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Durch die Besetzung mit - wie er sie selbst nannte - "recht dicken, starken, großen Chören" hat Mendelssohn außerdem neues Repertoire komponiert für die Chorfeste und die seinerzeit stetig mehr werdenden Singvereine und Chorvereinigungen. Passagenweise erinnert sein Chorklang an Händels "Messias", der hoch im Kurs war und immer noch ist. Und er beeindruckt mit der Vielzahl an Formen, die Mendelssohn wählt: Mal schreibt er einen schlichten Chorsatz, auch mehrstimmig mit Solopartien, als Kanon oder noch komplexer mit kontrapunktischen Passagen oder ganzen Fugen. 

In letzter Minute fertiggestellt

Schon sein Oratorium "Paulus" 10 Jahre zuvor wurde ein großer Erfolg, auch Mendelssohns Motetten und Psalmvertonungen waren längst gängiges Repertoire der Kirchenchöre und Gesangsvereine. Mendelssohn hätte nach seinem "Paulus-Oratorium" gerne gleich das nächste komponiert, wie aus Briefen hervorgeht. Mehrere Librettisten hatte er über die Jahre schon dafür angefragt. Als der Auftrag für das Chorfestival in Birmingham kam, blieb ihm nur ein Jahr Zeit, die Skizzen und Entwürfe für seinen "Elias" in die große Form zu bringen. Alles wurde knapp fertig, am Ende mussten nur noch die Texte ins Englische gebracht werden. Er feilte noch an letzten Details, bis schlussendlich 400 Musiker, Chor und Orchester zusammengenommen, eine umjubelte Uraufführung zustande brachten.  

"Die letzte Note des 'Elias' ging unter in einem Unisono von nicht enden wollenden Applaussalven", schrieb ein Kritiker der Times. "Es war, als hätte der lang gestaute Enthusiasmus sich endlich Bahn gebrochen und die Luft mit wilden Schreien der Begeisterung erfüllt." Acht Nummern wurden wiederholt an diesem Uraufführungsabend in Birmingham.  

Deutsche Erstaufführung in Hamburg

Auch die deutsche Erstaufführung in Hamburg im folgenden Jahr brachte ähnliche Reaktionen des Publikums, wenn auch etwas verhaltener. Leider konnte Mendelssohn nicht dabei sein, ihm ging es gesundheitlich nicht gut. Als er wenig später im Alter von 38 Jahren starb, stieg sein Ansehen und das seiner Werke noch einmal mehr. Der Mendelssohn-Experte Larry Todd schreibt: "eine Verehrung, die an eine Vergötterung grenzte. Da der "Elias" ein Meilenstein in Mendelssohns Schaffen war, kam ihm dabei eine zentrale Bedeutung zu."   

Christina Landshamer © Marco Borggreve Foto: Marco Borggreve
AUDIO: SHMF: Christina Landshamer über ihre Partie im "Elias" (55 Min)

Diesem Kult trat dann Richard Wagner deutlich entgegen und tat mit seinem Aufsatz "Das Judentum in der Musik" sein Übriges. Lange hielt sich danach die Meinung, Mendelssohns Musik sei zu süßlich, habe zu wenig Tiefgang, auch befeuert durch den Schriftsteller und Musikkritiker George Bernhard Shaw, der schrieb, Mendelssohns Fugenarbeit sei düster, er komponiere zu sentimental und mit Effekten wie sie Anfänger nutzten. Diese Kritik war vielmehr Ausdruck von Shaws Sicht auf die viktorianische Gesellschaft überhaupt, der er Heuchelei und Frömmigkeit nachsagte.  

Viel von Bach in Mendelssohns Oratorium

"Da sind Passagen drin, die wirklich viel von Bach haben, dessen Werke er ja wiederentdeckt hat", betont Alan Gilbert. "Wenn wir Mendelssohn interpretieren, müssen wir sozusagen einen Fuß in der Barockmusik haben und mit dem anderen müssen wir diesem romantischen Gestus gerecht werden, dass Dinge intensiv erlebt werden wollen. Was sich bei Wagner noch zu etwas Lustvollem, Hedonistischem gesteigert hat. Mendelssohn Klangsprache liegt dazwischen. Ich mag es, dass ich bei Mendelssohn viel am Ausdruck arbeiten, diese Intensität aufbauen kann und gleichzeitig elegant phrasieren muss wie in Alter Musik. Es ist kein Zufall, dass Wagner und Mendelssohn beide in Leipzig waren. Sie waren Teil einer Epoche, deren Musiksprache sich gerade veränderte. Und daran hat Mendelssohn doch einen großen Anteil gehabt." 

Mendelssohn tief verwurzelt im Glauben

Das Werk zeigt, wie tief Mendelssohn verwurzelt war im Glauben und wie genau er um die biblischen Inhalte wusste. Die rund 80 ausgewählten Texte umspielen die eigentliche Elias-Geschichte fachkundig und geben Gelegenheit, die Handlung aus verschiedenen Blickwinkeln farbenreich und emotional aufzufassen. Auch gelingt es Mendelssohn, sowohl die christliche Sicht als auch die jüdische darzustellen: jüdischer Synagogalgesang hat ebenso Platz wie die "Heilig"-Anrufungen.  

Interpretation im Wandel

Mendelssohn, als Jugendlicher christlich getauft, aber aus einer jüdischen Familie stammend – in der NS-Zeit wurden seine Werke daher mit einem Aufführungsverbot belegt. In den letzten Jahrzehnten hat sich - auch mit der historischen Aufführungspraxis und einem schlankeren Ton - die Interpretation von Mendelssohns Werken deutlich gewandelt. Längst ist er zu einem der meistaufgeführten deutschen Komponisten geworden - und der Ruhm seines "Elias" ebenso groß wie bei der Uraufführung.  

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | 02.07.2023 | 20:00 Uhr

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