Jazzalbum der Woche: "Rainbow Revisited" von Thandi Ntuli
Stand: 16.11.2023 14:56 Uhr
Beim stets am Zahn der Zeit fühlenden Label International Anthem hat die Sängerin und Pianistin Thandi Ntuli eine neue Heimat gefunden für ihre Suche nach dem südafrikanischen Jazz der Zukunft.
Als Südafrikas Nationalheld Desmond Tutu 1994 seine "Rainbow Nation" ausrief, war Thandi Ntuli sieben. Heute blickt die Sängerin und Pianistin zurück auf diesen Moment des Enthusiasmus und der Befreiung - und stellt enttäuscht fest, wie wenig geblieben ist. Wie dieser Gedanke gekapert wurde, wie diese Nation betrogen wurde, wie das Erbe der Apartheid nie ernsthaft aufgearbeitet wurde - dieser Regenbogen sei ein blutgetränkter Kompromiss gewesen, so schreibt sie: gebrochene Versprechen und ein langer Raubzug an der Würde der Menschen. Dass ihre Generation dabei ohne eine einende Stimme, ohne eine kulturelle Identität aufwuchs - das alles war Thema des Songs "Rainbow" auf ihrem Album "Exiled".
"Rainbow Revisited" ist das Ergebnis einer Solo-Session
Jetzt hat Ntuli diesen Gedanken weitergesponnen - "Rainbow Revisited" heißt ihr neues und viertes Album. Und zeigt die heute 36-Jährige im ungewohnten Setting: Mag ja sein, dass sie sonst gern mit großen Klangkörpern und wuchtigen Arrangements arbeitet, Funk, HipHop und selbst House verarbeitet - hier war sie ganz allein im Studio: "Rainbow Revisited" ist das Ergebnis einer Solo-Session, zu der dann der US-Produzent und Labelmacher Carlos Niño nachträglich Percussion und - so betont das Booklet - pflanzliche Ambient-Sounds beigesteuert hat.
Shabaka Hutchings steuert das Artwork bei
"Rainbow Revisited" ist aber auch Ntulis Debüt für das stets am Zahn der Zeit fühlende Label International Anthem, wo sie sich jetzt an der Seite von Acts wie Makaya McCraven, Alabaster DePlume, Brandee Younger und Angel Bat Dawid findet. Und trotz einiger Shows auf Jazzfestivals weltweit ist dies auch der Moment, in dem die Südafrikanerin global überhaupt erstmal auf dem Radar auftaucht - die drei ersten Alben erschienen noch weitgehend im Selbstverlag. Diese neue Bedeutung zeigt sich auch am Vorhaben, den kreativen britischen Unruhestifter Shabaka Hutchings mitspielen zu lassen - der Plan ging nicht auf, dafür hat Hutchings nun aber immerhin das Cover zu "Rainbow Revisited" beigesteuert.
Zwischen magischer Musik und bewegenden Hymnen
"Bei International Anthem fühle ich mich zu Hause, weil die meisten Musiker*innen zwar einen Jazz-Background haben, aber auch experimentell arbeiten", so sagt Thandi Ntuli. Auf "Rainbow Revisited" halten sich ihre Experimente im Rahmen, doch es gibt sie, ganz wörtlich: Da ist das "Voice and Tongo Experiment" und das "Breath and Synth Experiment" - und in Letzterem ist genau das drin, was drauf steht: Der Hauch ihrer wortlosen Stimme vor einer leisen Elektronik-und Percussion-Kulisse; und das Ganze im strömenden Regen, den Feldaufnahmen-Enthusiast Carlos Niño beisteuerte. Der Rest ist eine oft magische, repetitive Musik, die gerade in den intensivsten Momenten die Solo-Arbeiten ihres greisen Landsmanns Abdullah Ibrahim aufzugreifen scheint.
"Rainbow Revisited" ist das erste Album der südafrikanischen Sängerin und Pianistin Thandi Ntuli beim Label International Anthem.
Auf der Suche nach einem südafrikanischen Jazz der Zukunft
"Zu jedem gegebenen Zeitpunkt höre ich mehr als einen Puls und schwebe zwischen ihnen allen hindurch": Thandi Ntulis Suche nach einem südafrikanischen Jazz der Zukunft geht hier über Meditationen, bewegende Hymnen und Lieder ihres Großvaters aus Sophiatown, Johannesburgs kulturellem Hotspot der 30er und 40er. Sie spricht von den goldenen Jahren des südafrikanischen Jazz mit Miriam Makeba und Hugh Masekela, als diese Künstler*innen global gefeiert wurden: "Damals hatten wir unseren eigenen Sound und die Leute haben anerkannt, dass wir besondere Menschen waren, die der Welt etwas Besonderes geben konnten".
Die Gegenwart ist anders und Thandi Ntuli will verhindern, dass Südafrikas Erbe einfach spurlos aufgeht im US-Mainstream. Dem setzt sie mit ihren Alben ein neues Selbstbewusstsein entgegen - will, so schreibt sie, die "fragmentierte Seele" ihrer Heimat wiederherstellen: "Der Regenbogen ist in der Mythologie voller Hoffnung und Energie. Ich will die Idee einer 'Rainbow Nation' zurückerobern."
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