NDR Kultur Literaturredakteur Alexander Solloch vor einer Backsteinwand. © NDR Foto: Manuel Gehrke

Reim dich oder ich fress' dich: Über die Banalität von Songtexten

Stand: 02.11.2022 14:21 Uhr

In seiner Glosse spricht Alexander Solloch über schlechte deutsche Songtexte und bittet Galaktika, das weltverbessernde Fabelwesen vom fernen Stern Andromeda, um Hilfe, damit wieder alles gut wird mit der Songtexterei.

von Alexander Solloch

Dies ist eine komische, aber traurige Geschichte, fast wie in einem gelungenen Songtext: Es ist noch nicht so lange her - 20, 30 Jahre höchstens -, dass allenfalls die ganz Wagemutigen unter den deutschen Songkünstlern auf die Idee kamen, in ihrer Muttersprache zu singen. Spitzenkräfte wie Die Ärzte, Element of Crime oder auch Die Toten Hosen, die den Mangel an Könnerschaft immerhin mit Selbst- und Sendungsbewusstsein aufwogen. Ausgeklammert sei hier der Sonderfall Herbert Grönemeyer, dessen Behauptung, deutsch zu singen, von international renommierten Phonetikern noch nicht mit letzter Gewissheit bestätigt werden konnte.

Jedenfalls: Diejenigen, die deutsch sangen auf dem Gebiet der Pop- und Rockmusik, waren spektakuläre Ausnahmen. In nicht allzu weiter Ferne qualmten ja noch die von der Neuen Deutschen Welle hinterlassenen Trümmer - und Englisch war sowieso viel cooler und verkäuflicher. Da sang man lieber nicht deutsch. Das war zwar sehr schade, aber es war auch gut, möchte man sagen mit Blick auf das, was seitdem geschah.

Den Banalometer zum Explodieren bringen

Neue Generationen von Songschreibern wuchsen heran und merkten: Da geht doch was! Man könnte ja marktgängigen Pop von der Stange komponieren und der Musik zugleich mit deutscher Schwermut den Anstrich von Tiefe geben. Waren denn nicht Sven Regener und etwas später auch Judith Holofernes mit ihren deutschen Texten die Lieblinge der Feuilletons geworden? Das könnte man doch auch schaffen! Also texteten sie Zeilen wie: "Bin immer erreichbar und erreiche doch gar nichts". Oh Mann, das ist deep, oder? Bringt zwar jeden Banalometer zum Explodieren und haut auch sprachlogisch nicht im mindesten hin, aber sowas versingt sich ja vielleicht, und dann merkt das erstmal keiner.

Man merkt es dann, wenn man schlechte Songtexte neben gute Songtexte legt und vergleicht. Die Themen sind ja begrenzt: Liebe, Verlorenheit, Sinnsuche. Es kommt also weniger darauf an, was man sagt, als wie man es sagt - oder singt. Mark Forster "will nur noch hier raus" und reimt jammervoll: "Es gibt nichts, was mich hält, au revoir, vergesst, wer ich war, vergesst meinen Nam’n." Sven Regener hat zum selben Sachverhalt mit seiner Band Element of Crime Folgendes mitzuteilen: "Ich wäre gern ein Gummibär, da gibt‘s die gelben und die roten, das sind alles Vollidioten, ich hätte tausende Kollegen, wir müssten uns nicht groß bewegen und würden doch auf großer Fahrt die Welt bereisen, bis sie uns verspeisen..." Oder der unvergessene Nils Koppruch, Anfang der nuller Jahre Kopf der Hamburger Band Fink: "Werft mich in einen Fluss und wenn ihr Pech habt, hab‘ ich Glück und komm mit einem Fisch im Maul zurück!"

Humorlose, schlechte Songs ohne Doppelbödigkeit

Was ist denn das, der Fisch im Maul? Die fette Beute derer, die Spaß daran haben, ins tiefe Wasser unserer unergründlich schönen Sprache einzutauchen? Oder wahrscheinlich doch ganz etwas anderes? Gute Songs verweigern sich ja mit ihrer lakonischen Doppelbödigkeit der Lieblingsfrage phantasieloser Deutsch-Lehrkräfte: "Was will uns der Dichter denn damit sagen?" Schlechte Songs schleudern einem in jedem Vers die Antwort ins Gesicht - und das mit einer Humorlosigkeit, die jedes Kirchentagslied vor Neid erblassen lässt.

Die Sprache ist ja da. Man kann mit ihr spielen, kann in ihr wühlen; da gibt’s nicht nur Liebe und Herz und Weh. Da gibt’s auch die "Schilddrüsenunterfunktion", die Funny van Dannen so gemütsvoll besingt; gibt’s auch den "Schwachstromsignalübertragungsweg", jedenfalls in der Starkstrompoesie von Element of Crime. "Und irgendwann", singt Dota Kehr, "muss der Bundestag halt fraktionsübergreifend aufstehen und singen: Wir rufen dich, Galaktika!" Und Galaktika, dieses weltverbessernde Fabelwesen vom fernen Stern Andromeda, muss dann machen, dass alles wieder gut wird mit der Songtexterei.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 02.11.2022 | 17:00 Uhr

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