"Aktion Licht": Die Schatzjagd der Stasi und ihre Folgen

Stand: 02.11.2020 15:11 Uhr

Über die "Aktion Licht" ist wenig bekannt. In einem groß angelegten Raubzug beschlagnahmten Mitarbeiter des DDR-Geheimdienstes 1962 in der ganzen DDR Kunstwerke und Wertgegenstände.

von Heiko Kreft

Im Januar 1962 durchsuchte das Ministerium für Staatssicherheit über 100.000 Bankschließfächer und Tresore in der gesamten DDR. Tausende Objekte wurden beschlagnahmt. Darunter Gemälde, Handschriften und Schmuck. Das meiste ging wenig später in den Westen.

Stasi-Männer im Mausoleum

Die beiden Stasi-Männer kamen mit Hammer, Meißel, Brecheisen - und einem Schlüssel. Im Januar 1962 drangen Unterleutnant Hempel und Unterleutnant Baaske von der MfS-Kreisdirektion Rügen in das Mausoleum der Fürsten zu Putbus ein. Den Schlüssel holten sie unter falschem Vorwand beim Parkwächter ab. Sie seien auf der Suche nach versteckten Waffen eines "faschistischen Luftwaffenkommandos", erzählten sie dem ahnungslosen Angestellten. In Wahrheit wollten sie das Mausoleum nach einem angeblich vorhandenen Geheimgang absuchen. Der Tunnel, so ein Gerücht, würde vom Mausoleum zum Schloss führen und irgendwo im Dunklen sei ein Schatz der geflüchteten Fürstenfamilie versteckt. Hempel und Baaske hatten den Befehl, ihn zu finden. Im Einsatzbericht beschreiben sie ihr Vorgehen: "Als wir die Treppen hinuntergestiegen waren, begannen wir mit dem Herausheben einer dreieckigen Marmorplatte. Eine 30-40 Zentimeter hohe Erdschicht wurde herausgenommen und mit einer Stahlstange ein Loch gehauen. Wir stießen ungefähr 1 Meter 35 tief hinein. Man vernahm ein etwas hohles Dröhnen." Es blieb beim Wunsch. Die beiden Stasi-Männer fanden weder Geheimgang noch Geheimschatz.

Einzigartiges Dokument zur "Aktion Licht"

Historiker Henry Leide
Der Historiker Henry Leide versucht, die "Aktion Licht" zu rekonstruieren. Ein schwieriger Fall, da die Stasi viele Unterlagen vernichtet hat.

Der Einsatz in der Adelsgruft war Teil einer DDR-weiten Operation des Ministeriums für Staatssicherheit - die sogenannte "Aktion Licht". "Sie ist streng geheim gewesen, selbst innerhalb des MfS. Die Einsatzbefehle mussten nach Vollzug sogar zurückgegeben werden ans Ministerium",  weiß Henry Leide. Der Historiker arbeitet in der Rostocker Außenstelle des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BstU). Dort lagert eine Akte der MfS-Kreisdirektion Rügen. Sie ist das einzige erhaltene Geheimdienstdokument, das noch vom Verlauf der "Aktion Licht" im Norden der DDR Zeugnis ablegt. Alle anderen schriftlichen Belege sind offenbar verschwunden. Auch deshalb war über die Operation bisher fast nichts öffentlich bekannt. Der NDR konnte die Akte nun einsehen. Erstmals zeigt sich, wie das Ministerium für Staatssicherheit in den drei Nordbezirken gegen geltendes Recht verstieß und privates Eigentum unter fadenscheinigen Begründungen beschlagnahmte.

Suche nach Nazi-Dokumenten als Vorwand

Die "Aktion Licht" vollzog sich in zwei Phasen und begann mit einem Raubzug durch Banken und Sparkassen. Erich Mielke, schon damals Chef der Staatssicherheit, forderte Zugang zu jedem Schließfach, jedem Tresor in jedem Kreditinstitut der DDR. Er bekam, was er wollte. Begründet wurde die Operation, die das Bankgeheimnis verletzte, mit der Suche nach Belastungsdokumenten zu NS-Verbrechern. Am 6. Januar 1962, einem Sonnabend, ging es los. Banken und Sparkassen hatten geschlossen. Auf Rügen holte die Stasi nacheinander die Mitarbeiter der Gewerbebank Bergen, der Kreissparkasse Bergen und der Sparkassse Binz zu Hause ab und brachte sie in die Filialen. Die drei Institute waren die einzigen auf Rügen, die Schließfächer hatten. Den Angestellten wurde zunächst erklärt, es gehe um eine Sicherheitsüberprüfung. Dann, nach dem Unterzeichnen einer schriftlichen Schweigeverpflichtung, verrieten die Stasi-Leute, was sie wirklich wollten: Zugang zu den Schließfächern. Sie bekamen ihn. Bis spät in die Nacht wurden nun alle 278 auf Rügen existierenden Fächer geöffnet und durchwühlt. Belastende NS-Dokumente fanden sich nicht, berichtet Henry Leide: "Soweit es die Aktenüberlieferung hergibt, kann man sagen, dass die Ausbeute in diesen drei Fällen sehr gering gewesen ist. Man hat Orden aus NS-Zeit gefunden und wenige schriftliche Unterlagen."

Wertsachen in Millionenhöhe

Listen der Stasi über die "Aktion Licht" von 1962
Listen der geraubten Gegenstände existieren - die Herkunft müssen die Historiker aufklären.

Doch die Staatssicherheit suchte gar nicht in erster Linie nach belastenden Dokumenten. Es ging vor allem um Wertsachen. 105.130 Schließfächer wurden DDR-weit geöffnet. Aus angeblich herrenlosen Depots tausende Objekte entnommen. Wo es keine Schlüssel gab, wurde aufgebohrt und aufgebrochen. Die Liste der geraubten Wertsachen: über 100 Seiten lang. Darin verzeichnet: Schmuck, Uhren, tausende Bestecke aus Gold- oder Silber, Briefmarkensammlungen und historische Handschriften von Goethe, Wagner, Darwin. Gesamtwert: 4,1 Millionen Mark. "Es gab keine Gesetze, die es erlaubt hätten, sich das Privateigentum der Bürger anzueignen", betont Henry Leide. "Die Staatssicherheit, die ja auch staatliches Untersuchungsorgan für politische und kriminelle Vergehen war, agierte selbst kriminell. Und der Staat in Form des Finanzministeriums agierte als Hehler." Tatsächlich spülte die beschlagnahmte Beute dringend benötigte Devisen in die Kassen des Finanzministeriums. Ein Großteil wurde in den Westen verkauft. Einige wenige Stücke kamen in Museen der DDR.

Gewissenhafte Bankangestellte

Ungewollte Spuren hinterließ die "Aktion Licht" in der Schweriner Notenbank. Hier raubte die Stasi unter anderem zwei wertvolle Briefmarkenalben. Neun Jahre später wurde das zum Problem. Erben meldeten sich, forderten die Alben. Das ging aber nicht, die Briefmarken waren längst in den Westen verhökert. Doch nun fiel plötzlich auf: Die Schweriner Bankmitarbeiter hatten den Raub dokumentiert. Auf dutzenden Kontrollbelegen hatte sie notiert: "an Ministerium für Staatssicherheit in Berlin abgeliefert". Der Nachweis für eine hochgeheime Operation. Das MfS geriet in Panik. 1971 wurden mehrere Bankmitarbeiter verhört und der Sabotage verdächtigt. Am Ende kassierte die Stasi die Belege ein.

Ein mutiger Archivdirektor

Zwei Wochen nach "Etappe I" begann "Etappe II". Nun durchsucht die Staatssicherheit auch Museen, Hotels, Kasernen, Gutshäuser. Auch im Schweriner Landeshauptarchiv taucht der Geheimdienst auf. Sein Interesse gilt den Depots mecklenburgischer Adelsfamilien. Doch Archivdirektor Hugo Cordshagen verweigert den Zugriff. Er verweist auf die Gesetzeslage und setzt die Stasi vor die Tür. Ein mutiger Akt, findet Andreas Röpcke, der von 1994 bis 2011 Leiter des Archivs war. "Beim nächsten Besuch kam der damals wohl mächtigste Mann des Bezirks Schwerin, Bernhard Quandt, persönlich ins Archiv, in seiner Begleitung der stellvertretende Leiter der Bezirksstelle der Staatssicherheit." SED-Bezirkschef Bernhard Quandt als Komplize beim illegalen Raubzug - Archivdirektor Cordshagen ist aufgebracht. Er schreibt Aktennotizen, schildert den streng geheimen Vorgang. Als die Staatssicherheit ein paar Monate später zahlreiche Objekte abholt, lässt sich der Archivar jeden einzelnen beschlagnahmten Orden quittieren. Das kostet Cordshagen später den Job. "Mir ist von einer Mitarbeiterin erzählt worden, dass sie diese Vermerke und diese Unterlagen bei sich versteckt hätte, um zu verhindern, dass das verschwindet. Sie wollte, dass die Nachwelt unterrichtet ist", berichtet Röpcke.

Japanische Bilder im Gutshaus

Auf Rügen durchsuchte die Staatssicherheit in der zweiten Phase der "Aktion Licht" über 40 Objekte. Darunter das Schloss Ralswiek, das Kurhaus in Binz und das ehemalige KdF-Bad Prora. Auch das Gutshaus Losentitz im Süden der Insel nahm man unter die Lupe. Das Interesse galt rund 30 wertvollen japanischen Wandgemälden. Sie wurden um 1890 auf einer Holzvertäfelung im ehemaligen Arbeitszimmer des Gutsherren angefertigt. Die Stasi plante, die Bilder zu entfernen und zu verkaufen. Es war bekannt, dass das Ostasiatische Museum Berlin ein paar Jahre zuvor 30.000 Mark geboten hatte. Nun schickte das MfS einen inoffiziellen Mitarbeiter. Er täuschte ein privates Interesse an den filigranen Arbeiten vor, um die Tafeln sehen zu können. Ob es am Ende zu einer teilweisen Beschlagnahmung kam, ist unklar. Bis heute existieren im Gutshaus noch große Teil des Werks. Aber nicht alle Bildtafeln sind erhalten. Wie sie verloren gingen, wo sie heute sind, weiß niemand.

Villa "Strandburg" - Waffen, Bilder, Möbel

Unklarheit herrscht auch im Fall der Villa Strandburg. Im Haus am Sassnitzer Hafen beschlagnahmte die Staatssicherheit Gemälde, Möbel, historische Waffen und eine Steinsammlung. Laut Protokoll gingen die Sachen an das Museum in Stralsund. Sind die geraubten Gegenstände noch immer Bestand des Museums? Das Stralsund Museum gilt als eines der ältesten im Norden. Auf drei Häuser verteilt, besitzt es eine riesige Sammlung an Objekten. Intensiv bemüht sich das Museum darum, die Geschichte seiner Bestände aufzuarbeiten. Von der "Aktion Licht" und den übergebenen Objekten wusste man bisher nichts. Auf Anfrage des NDR begaben sich Museumschefin Maren Heun und mehrere Kuratorinnen auf Spurensuche. Trotz dürftiger Angaben im Stasi-Protokoll. "Die Aussage 'Möbelstück übergeben an das Museum' ist ziemlich schlimm für uns, weil wir eine Menge Möbel haben. Also wir haben Hunderte von Möbel aus unterschiedlichen Bereichen. Und wenn irgendwo steht 'Möbel', können wir damit nichts anfangen. Das Gleiche gilt für Waffen, und das Gleiche gilt auch für Gemälde", sagt Heun. Akribisch wurden trotzdem alle Inventarlisten durchforstet. Doch eindeutige Spuren zur "Aktion Licht" fanden sich in den Beständen nicht. Keines der übergebenen Objekte taucht in einer Zugangsliste auf.

Hinweise auf Unregelmäßigkeiten

Bei ihren Recherchen machten die Mitarbeiterinnen des Stralsund Museum aber mehrere Entdeckungen. Zum einen verzeichnen die zuvor akribisch geführten Inventarlisten Anfang der 1960er-Jahre einen plötzlichen, unerklärbaren Qualitätseinbruch. Ungenaue Einträge, doppelte Einträge, verspätete Einträge - Museums-Chefin Maren Heun kann sich das noch nicht erklären: "1964 wurden Dinge nachgetragen, die 1962 eingeliefert worden sind." Und dann gibt es noch weitere Verdachtsmomente, sagt sie. "Wie sieht es mit sogenannten Altbeständen aus? Wenn gewisse Sachen nicht zugeordnet werden konnten, war es ganz üblich, dass man einfach 'Altbestand' dahinter schreibt." Das Stralsund Museum befriedigt das nicht. Sobald wie möglich will man mit der Aufarbeitung beginnen. 

Herzog-Porträt auf der Raubliste

Der Historiker Michael Busch
Raubgut aus der "Aktion Licht" oder nicht? Historiker Michael Busch unterzieht viele Museumsobjekte einer genauen Prüfung.

Das Staatliche Museum Schwerin ist schon einen Schritt weiter. Das Haus am Alten Garten gehört seit über 20 Jahren zu den Vorreitern in der Provinienzforschung. Als eines der ersten großen Museen Deutschlands arbeitete es konsequent seine Bestände aus der NS-Zeit auf. Im Februar 2020 lief ein neues Forschungsprojekt an - unklare Museumszugänge aus der Zeit nach 1945 werden dabei untersucht. Zu den Bildern mit einem Fragezeichen gehört auch ein Porträt Herzog Karl II. von Mecklenburg-Strelitz, gemalt um 1794 vom Strelitzer Hofmaler Anton Zeller. "Wir wissen lediglich, dass dieses Bild, das sagt das Zugangsbuch und die Inventarliste des Museums nach 1945, an dieses Museum gekommen ist", sagt Michael Busch. Er kümmert sich um die Provinienzforschung des Hauses. Kam das Bild durch die "Aktion Licht" in das Schweriner Museum? Theoretisch wäre das möglich. Auf der Raubliste der Staatssicherheit gibt es ein Bild mit gleichem Titel. Michael Busch hat Zweifel: "Das Porträt ist wahrscheinlich eines von vielen, das der Hofmaler Anton Zeller angefertigt hat. Sodass es sicherlich dasselbe Motiv ist und das gleiche Bild, aber unter Umständen nicht dasselbe."

Detektivarbeit mit ungewissem Ausgang

Mehrdeutige Spuren, vernichtete Akten, nebulöse Angaben: Fast 60 Jahre nach der "Aktion Licht" wird sich vieles nicht mehr klären lassen. Museumsleute in Mecklenburg-Vorpommern stehen vor einer Detektivaufgabe. Doch anders als in Romanen und Filmen ist der Ausgang der Spurensuche unklar. Maren Heun bedauert, das es wohl immer einige Objekte geben wird, deren Herkunft unklar bleibt: "Natürlich wäre es schön, wenn wir bei jedem Objekt, was wir haben, sagen könnten: 'Das kommt da und daher'. Aber das ist ein Wunsch und der ist nicht immer kompatibel mit der Wirklichkeit." Trotzdem werde man alles tun, um Wissenslücken zu schließen. Und der Schweriner Provinienzforscher Michael Busch bekräftigt: "Die Museen haben ein großes Interesse, alles transparent zu machen. Ein Kollege hat einmal gesagt: unrechtmäßig erworbenes Gut in einem Bestand beeinträchtigt eigentlich die Integrität des Inventars." So einen moralischen Kompass hatte die Staatssicherheit nicht, als sie 1962 ihren Raubzug durch Banken, Sparkassen und Depots unternahm.

Weitere Informationen
Grafik - eine rote Spirale in deren Mitte das Wort "Museumsdetektive" steht. © NDR

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur - Das Journal | 02.11.2020 | 22:45 Uhr

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Ein Mann steht vor Bildern in einem Museum. © Panthermedia Foto: anyaberkut

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