"Das Lehrerzimmer": Preisgekröntes Drama um moralische Zwickmühle

Stand: 11.03.2024 02:17 Uhr

Regisseur İlker Çatak hat ein abgründiges Drama über eine Lehrerin in einer moralischen Zwickmühle inszeniert. "Das Lehrerzimmer" war bei den Oscars als bester internationaler Film nominiert, ging jedoch leer aus.

Leonie Benesch im Spielfilm "Das Lehrerzimmer" © Alamode
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von Walli Müller

Wenn man sich eine Lehrerin für die eigenen Kinder wünschen könnte, man würde sie auswählen: Carla Nowak, gespielt von Leonie Benesch, ist jung, motiviert, geduldig und verständnisvoll im Umgang mit den Kindern. Auch ihre Methoden sind beeindruckend. Diese pädagogisch versierte Mathe-Lehrerin muss mit ansehen, wie die Direktorin eine Art Razzia in ihrem Klassenzimmer durchführt. An der Schule gibt es schon länger eine Diebstahl-Serie, die nun aufgeklärt werden soll.

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In der moralischen Zwickmühle

Es steht der idealistischen Lehrerin ins Gesicht geschrieben, wie sich alles in ihr gegen so ein Vorgehen sträubt. Tatsächlich wird ein türkischer Junge zu Unrecht verdächtigt - was ihr hochnotpeinlich ist. Und so tut Carla etwas, das schlau scheint, sich aber als das Gegenteil erweisen wird: Sie lässt Geld im Lehrerzimmer liegen und die Kamera ihres Laptops laufen. Die Falle schnappt zu, und eine Frau aus dem Kollegium scheint als Diebin enttarnt. Weil sie, diskret darauf angesprochen, alles abstreitet, schaltet Carla die Direktorin ein. Aber was ist nun empörender: das dreiste Abstreiten der mutmaßlichen Diebin - oder die Spitzel-Aktion der jungen Lehrerin?

Je mehr sich die Hauptfigur um Deeskalation bemüht, desto mehr entgleitet ihr die Situation. Und das Publikum landet direkt mit ihr in der moralischen Zwickmühle - so zwingend ist İlker Çatak Drama konstruiert.

Die Schule als Spiegelbild unserer Gesellschaft

Regisseur Çatak geht es in "Das Lehrerzimmer" nicht darum, die Schule als System zu hinterfragen, sondern er nutzt sie als Spiegelbild einer Gesellschaft im Kleinen: die hierarchischen Strukturen, die multikulturelle Mischung in den Klassen und die Vorurteile, die damit immer noch einhergehen. Es geht auch um die Rivalitäten im Kollegium und nicht zuletzt um die hohen moralischen Ansprüche, die das Lehrpersonal unter Druck setzen. Schon die kleinste Verfehlung kann an den Social Media-Pranger führen.

"Der Film handelt von unserer Debattenkultur, von der Suche nach Wahrheit, der Suche nach Gerechtigkeit, der Verdrehung von Wahrheit", sagt İlker Çatak. "Es geht um Fake News, um Cancel Culture. Es geht darum, wie man als Lehrkraft alles richtig machen will und doch einiges falsch macht."

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"Das Lehrerzimmer": Eindrucksvolles Kinoerlebnis

In der Mathematik gibt es 100-prozentig richtige Lösungen - im Umgang mit Konflikten leider nicht, wie Carla Nowak schmerzlich erfahren muss. "Das Lehrerzimmer" ist ein bitterböses Lehrstück in Sachen Selbstgerechtigkeit. Dass ausgerechnet die Person mit den besten Absichten die schlimmste Kettenreaktion in Gang setzt, hat zugleich etwas Komisches und Tragisches. Einer eindeutigen Lesart entzieht sich dieses Drama - umso interessanter das Kinoerlebnis!

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Das Lehrerzimmer

Genre:
Drama
Produktionsjahr:
2023
Produktionsland:
Deutschland
Zusatzinfo:
Mit Leonie Benesch, Michael Klammer, Rafael Stachowiak u.a.
Regie:
İlker Çatak
Länge:
98 Minuten
FSK:
ab 12 Jahre
Kinostart:
4. Mai 2023

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Kultur | 02.05.2023 | 07:55 Uhr

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