Eine Frau in weißer Kleidung steht vor weißem Hintergrund auf der Bühne. Rechts neben ihr ein Mann, der die Hand hebt. Vor der Bühne laufen zwei dunkle Gestalten, von denen nur die Oberkörper zu sehen sind. © Staatstheater Hannover Foto: Katrin Ribbe

"Biedermann und die Brandstifter" am Schauspiel Hannover

Stand: 24.08.2023 15:14 Uhr

Wenn das Unheil heranrollt: Können wir es immer erahnen, wollen wir es überhaupt wahrnehmen? Das ist eine der Fragen im Drama "Biedermann und die Brandstifter" von Max Frisch. Jetzt hat das Hoftheater am Schauspiel Hannover damit Premiere gefeiert.

Eine Frau in weißer Kleidung steht vor weißem Hintergrund auf der Bühne. Rechts neben ihr ein Mann, der die Hand hebt. Vor der Bühne laufen zwei dunkle Gestalten, von denen nur die Oberkörper zu sehen sind. © Staatstheater Hannover Foto: Katrin Ribbe
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von Agnes Bührig

Besuch beim Ehepaar Biedermann. Vor die weiße Außenfassade des Innenhofs am Schauspiel Hannover ist eine Wohnfläche gebaut: Ein schlichter Holztisch, eine freistehende Küchenzeile, an der Seite führt eine Treppe hinauf unters Dach. Doch die bürgerliche Idylle währt nicht lang: Eine Obdachlose und ihr gerade aus dem Gefängnis entlassener Freund bitten um Hilfe.

Mann: "Na, da wollen wir doch jetzt mal keine Unmenschen sein, du. Außer sie, weiß ich nicht, macht jetzt wieder Wahlkampf, kommt rein, will uns die Heizung rausreißen." Auszug aus "Biedermann und die Brandstifter"

Das Unheil bekämpfen oder das Gesicht wahren?

In der Mitte steht, vor weißem Hintergrund, ein Tisch mit mehreren Stühlen. Links am Tisch sitzt ein Mann auf einem Stuhl. Eine weitere Person sitzt am anderen Ende des Tisches. Im Hintergrund ist eine Person mit einem weißen Tuch über dem Kopf zu sehen. © Staatstheater Hannover Foto: Katrin Ribbe
Überzeugendes Ensemble: Tabitha Frehner, Alban Mondschein, Amelle Schwerk, Hajo Tuschy

Doch es kommt schlimmer: Obwohl in der Stadt Brandstifter ihr Unwesen treiben, sehen die Biedermanns zu, wie die neuen Mitbewohner eifrig Metalltonnen unters Dach tragen, die nach Benzin riechen. Tabitha Frehner, wunderbar überspannt und mit Schweizer Akzent ihres Geburtslandes, mimt die Ehefrau. Kann sie das drohende Unheil abwenden? "Die Frage ist: Will sie das Unheil sehen", so Frehner. "Wann nimmt sie es wahr und wie geht sie damit um? Und inwiefern ist eine gewisse gesellschaftliche Etikette wichtiger als ein drohender Untergang - und trotz der ganzen drohenden Gefahr zu versuchen, nach außen hin als gute Menschen rüberzukommen."

Mitreißende Besetzung

Wie es sich für ein Hoftheater an diesem lauen Sommerabend gehört, nimmt die Geschichte ihren Lauf. Die Obdachlose unterm Dach ist eine Wrestlerin in glitzernden Showklamotten, die Amelle Schwerk überzeugend pampig und dreist spielt. Hajo Tuschy - Haarwuchsmittelproduzent mit Brille und Glatze - gibt den immer leicht bedrängten Gutmenschen. Dazu kommen - anders als im Original - zwei Kinder von der Schülerzeitung, die naseweis nachbohren, wie es zu der Katastrophe kommen konnte.

Frau Biedermann: "Also als allererstes möchte ich sagen, dass ich von Anfang an ein sehr merkwürdiges Gefühl hatte bei den beiden."
Erstes Kind: "Warum haben Sie dann nichts unternommen?"
Zweites Kind: "Ja, das fragen wir uns eigentlich alle." Auszug aus "Biedermann und die Brandstifter"

Apokalypse mit Humor

Ein Lehrstück ohne Lehre hat Max Frisch sein Drama genannt, das er nach dem Zweiten Weltkrieg verfasste. Doch wir scheinen aus der Geschichte nicht gelernt zu haben, sagt Regisseur Dominique Schnizer, der erstmals am Schauspiel Hannover inszeniert. "Es passieren so viele Dinge und die passieren immer wieder, oder es werden Dinge immer schlimmer und wir ziehen keine Konsequenzen daraus", so Schnizer. "Wir sind ja jetzt nicht wirklich bereit, unseren Luxus runterzuschrauben. Deswegen glaube ich einfach, dass wir als Menschheit - und das meine ich jetzt gar nicht zynisch, gar nicht lernfähig sind. Ich glaube, dass wir eigentlich eh selber unser eigenes Ende beschlossen haben."

Ein ernstes Thema, für das man sich an der einen oder anderen Stelle ein bisschen weniger Slapstick gewünscht hätte. Wenngleich auch Humor helfen kann, zu verstehen, dass das Haus schon längst brennt.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | 24.08.2023 | 06:00 Uhr

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Theater

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