Oliver Warsitz, Christian Nickel, Rune Jürgensen und Ines Nieri in "Die Mitschuldigen" © Ernst Deutsch Theater / Oliver Fantitsch Foto: Oliver Fantitsch

"Die Mitschuldigen" im Ernst Deutsch Theater: Altes Stück - alt erzählt

Stand: 07.10.2022 17:53 Uhr

Auch Genies haben mal klein angefangen: Goethe hat das Lustspiel "Die Mitschuldigen" im Alter von 20 Jahren geschrieben und sogar die Hauptrolle gespielt. Nun hatte es im Ernst Deutsch Theater Premiere.

von Peter Helling

Die Premiere kommt bei vielen im Publikum gut an. Ein selten gespielter Fastnachtsschwank von Goethe: Das weckt Neugierde. Die Handlung ist schnell erzählt, sie spielt in einem Wirtshaus. Oliver Warsitz steht auf einer Klappleiter vor einer halb gestrichenen Wand. Mit ihm auf der Bühne fläzt Söller im Bademantel - ein Tunichtgut, ein Trinker und Spieler und: Schwiegersohn. Christian Nickel spielt ihn überdeutlich.

"Die Mitschuldigen" von Goethe im Ernst Deutsch Theater

Überhaupt drücken hier alle mächtig auf die Tube. Söllers Ehefrau ist die Wirtstochter Sophie. Ines Nieri gibt der Figur Präsenz, Tempo und Frechheit. Fehlt der vierte in diesem Schwank: Es ist Alcest, ein reicher Schnösel und früherer Angebeteter Sophies. Goethe höchstselbst hat die Rolle bei der Uraufführung in Weimar 1777 gespielt und hier eitel seine eigenen amourösen Abenteuer eingebacken. Es passt. Er nimmt sich, was er möchte.

Altbekannter Komödien-Schuh

Die Verse werden fleißig abgespult, handwerklich ist das gut gearbeitet. Nur: Das Lustspiel macht wenig - Lust. Sophie ist wieder in alter Liebe entflammt, bloß weg vom verhassten Gatten, und lässt sich auf ein nächtliches Rendezvous ein. Was jetzt passiert, ist der altbekannte Komödien-Schuh von Menschen, die zufällig nachts am selben Ort auftauchen. Hier ist es das Hotelzimmer von Alcest.

Söller will Geld klauen, der Wirt ist krankhaft neugierig auf einen Brief und Sophie treibt die Lust. Danach ist das Elend groß. Alle werfen sich alles vor. Nur: Witzig ist anders.

Erstlingswerk ohne doppelten Boden

Rune Jürgensen spielt Alcest. Er muss leider minutenlang in weißer Unterhose und fleischfarbenen Socken am Bühnenrand monologisieren. Man fragt sich: Meint das die Regie ernst, ist es Ironie, ein Abgesang aufs Machotum?

Man weiß nicht, was genau Regisseur Wolf-Dietrich Sprenger erzählen will. Ein Sozialdrama? Nichts davon ist zu spüren. Stattdessen buchstabiert er einen nicht gerade brillanten Erstling Goethes brav nach - ohne jeden doppelten Boden. Dass Sophie wie ein reizendes Möbelstück von den drei Männern behandelt wird, scheint ihm nicht aufzufallen.

Ein altes Stück alt erzählt

Da kann die starke Ines Nieri noch so sehr schreien: Ihre Rolle zwängt sie ins Korsett einer ranzigen Männerfantasie - und die Regie gibt sich nicht einmal die Mühe, dieses schwierige Frauenbild aufzubrechen. Dabei wäre das eine perfekte Gelegenheit, ein altes Stück modern zu erzählen. Schade.

Man merkt förmlich, wie das beherzte Ensemble dem Lustspiel den Louis des Funès einbläuen will. Aber Goethe ist nun mal kein Molière.

 

 

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"Die Mitschuldigen" im Ernst Deutsch Theater: Altes Stück - alt erzählt

Auch Genies haben mal klein angefangen: Goethe hat das Lustspiel im Alter von 20 Jahren geschrieben. Nun hatte es Premiere.

Art:
Bühne
Datum:
Ende:
Ort:
Ernst Deutsch Theater
Friedrich-Schütter-Platz 1
22087 Hamburg
Preis:
ab 22 Euro
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Dieses Thema im Programm:

NDR 90,3 | Kulturjournal | 07.10.2022 | 19:00 Uhr

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Theater

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