"De lütte Horrorladen" in Schwerin: Die Entdeckung des Selbst
Die abstruse Geschichte, in der eine blutdürstige Pflanze die Weltherrschaft übernehmen will, ging 1982 als Musical um die Welt. In Schwerin erlebt es jetzt seine Premiere auf Platt: "De lütte Horrorladen". Thomas Naedler war bei einer Probe dabei.
Was tut ein Regisseur, der kein Platt kann, aber ein Musical auf Platt inszenieren soll? "Ich bin Plattneuling. Und nachdem ich den Text und das Stück mal grob durchgearbeitet hab, hab ich gesagt, ich brauche den Klang, um ein Gefühl dafür zu bekommen", erzählt Regisseur Hendrik Müller. "Dann hab ich täglich zwei oder drei Klönkist-Podcasts angehört."
An der Akustik wird noch gefeilt
Im noch leeren Zuschauerraum eilen Tontechnikerinnen und Requisiteure treppauf und treppab. Die Generalprobe ist bis jetzt gelungen. Nur die Akustik macht Müller noch Sorgen an diesem neuen Spielort. Erst vor wenigen Wochen ist die M-Halle eröffnet worden. "Das gesamte Schweriner Staatstheater muss sich diesen Raum erstmal nehmen und entdecken", sagt Müller. Ein drehbares Stahlgestell steht im Zentrum der Bühne. Das hat unten Platz für "Mushniks Blumenladen auf dem Dreesch". Hier pflegt Simon Kreihboom seine Züchtung: die fleischfressende Pflanze Astrid 2. Oben auf dem Stahlgestell steht ein Dachgarten.
Die dunkle Seite der Seele
Und weil im Theater alles möglich ist, sehen die Zuschauer dort einen initial-floralen Moment. Der unsichere Angestellte Simon, gespielt von Simon Grundbacher, versinkt in den Armen der Pflanze - Christoph Reiche spielt sie als hochhackig-verführerischen Vampir in 80er-Jahre-Glitter-Optik. Es folgt ein langer Kuss. Das Stück thematisiere die Entdeckung des Selbst, sagt Müller: "Im Verlaufe des Stückes wird es immer klarer, dass die Pflanze Simon selbst ist - die dunkle Seite seiner Seele."
Hendrik Müller inszeniert den Horrorladen als große Metapher, wie sie sich unter anderem im Freischütz von Carl Maria von Weber und zahlreichen Märchen findet. Pflanzenzüchter Simon Kreihboom steht vor der Wahl: Soll er unscheinbar und unbeachtet von der Welt ein kleiner, herumgeschubster Angestellter bleiben oder dank der von allen bewunderten Pflanze reich, berühmt und geliebt sein Leben leben. Der Preis für Ruhm und Liebe aber ist: die eigene Menschlichkeit. Denn Astrid 2 frisst Menschenfleisch.
Liebevolle Details
Elisabeth Lengener, ein kleine Frau über 70 mit Rollator, schleicht als wiederkehrender Gag immer wieder wortlos über die Bühne. Sie stand schon bei den Schlossfestspielen auf der Bühne, im Freischütz und in der Winterreise - ebenfalls eine Regiearbeit von Hendrik Müller. "Es macht einfach Spaß", sagt die Dame zu ihrer Leidenschaft. "Ich bin unter Leuten, mit denen ich mich verstehe - Ensemble halt."
Auch De Klönkist und NDR1 Radio MV haben ihren Platz im Musical. Und auch die Zeitungen der Region, von der "Schweriner Volkszeitung" bis "Mecklenburg deluxe". Aber auch Orte wie der nahe gelegene Dreescher Markt. All das zu entdecken dürfte ein zusätzliches Vergnügen für die Zuschauer sein. Und auch auf Platt bleibt der Horrorladen, wie er sein soll: laut, bunt und grell. Mit einer Liebesgeschichte und mit Toten - so, wie es eben sein soll in einer Geschichte, in der eine fleischfressende Pflanze die Weltherrschaft an sich reißen will.