"Schwarz.Rot.Wir.": Ostfriese Pierrot Raschdorff über Diversität
Pierrot Raschdorff hat einen persönlichen Beweggrund für sein Plädoyer für die Vielfalt. Er ist 1981 in Ruanda geboren und bei Adoptiveltern in Timmel aufgewachsen, einem Dorf in Ostfriesland in der Nähe von Aurich.
Unter damals etwa 800 Einwohnern war er der einzige Schwarze. Seine Kindheit beschreibt er als wohlbehütet und glücklich. Dennoch sei da auch immer dieses Rauschen gewesen. Das Grundrauschen eines alltäglichen Rassismus.
Kleinere und größere Stiche lösen Selbstzweifel aus
"Mein Leben lang gab und bis heute gibt es immer wieder kleinere und einzelne größere Stiche, die in mir ein Gefühl hinterlassen, das Selbstzweifel und Verunsicherung auslöst. Es nimmt mich aus dem Wir heraus, in dem ich mich befinde, und platziert mich im Außen", erzählt Raschdorff. Es war ein Gefühl, das ihn wanken ließ: "Vor allem dann, wenn ich aus meinem sicheren Dorf heraustrat oder andere fremde Menschen in diesen Kokon eindrangen. Zum Beispiel erinnere ich mich an ein Dorffest, bei dem mir jemand zwei Deutsche Mark in die Hand drückte, mit den Worten: 'Armes Kind, kauf dir mal was Vernünftiges'".
In seinem Buch beschreibt er, wie das Fußballspielen im Verein und überhaupt das Dorfleben seine Persönlichkeit geprägt haben. Wie alle Kinder damals, ebenso wie er selbst ganz selbstverständlich durch die Hintertür zu den Nachbarn gegangen ist, um Freunde zum Spielen abzuholen. Wenn er sich Fremden als Ostfriese vorstellt, komme es vor, dass sein Gegenüber fragt wo er den nun wirklich herkommt. Ein ungutes Gefühl, sagt er.
Hautfarbe wird immer zum Thema
"Bis heute ist meine Hautfarbe etwas, das thematisiert werden muss. Immer und immer wieder, ob von entfernten Bekannten beim Dinner, von Fremden in der Supermarktschlange oder auf dem Spielplatz von anderen Eltern oder Großeltern", sagt Raschdorff: "Menschen, die mich zum ersten Mal sehen, verbinden in diesem Augenblick selten eine Ostfriesen mit meiner Person. Und dies selbst noch, wenn ich den Mund aufmache und mein leicht norddeutscher Dialekt zutage kommt."
Gerade in seiner Kindheit habe es an Vorbildern gefehlt, sagt der 41-Jährige. Schwarze seien im Fernsehen entweder Dealer, Flüchtlinge oder Tänzer gewesen. Heute gebe es da bereits mehr Vielfalt, aber immer noch wünscht er sich vor allem eine bestimmte Art von Vorbildern: "Wir brauchen neue Vorbilder, die in der allgemeinen öffentlichen Wahrnehmung ungewohnt Positionen einnehmen, um unser Denken ganz unbewusst zum Hinterfragen von Stereotypen zu lenken. Dies kann dazu führen, dass die Frage nach der individuellen sozialen Identität schwieriger und mehrdimensional wird, aber auch gleichzeitig spannender."
"Wir brauchen neue Vorbilder"
In "Schwarz.Rot.Wir. Wie Vielfalt uns reicher macht" analysiert Pierrot Raschdorff die aktuelle Situation von Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund in dieser Gesellschaft. Er erklärt, was Vorurteile und Stereotypen sind und woher sie kommen. Dabei geht es ihm nicht nur um die Hautfarbe von Menschen, sondern auch um diskriminierende Vorurteile gegenüber anderen Gruppen, wie Menschen mit Beeinträchtigung oder um Frauen.
„Auch, wenn wir beispielsweise der Meinung sind, dass wir eigentlich keine Vorurteile gegenüber Frauen haben, löst die Verknüpfung von Frauen mit Karriere bei Männern häufig noch immer ein irritierendes Gefühl aus. „Frau und Baby“ passt schon besser. Unsere verzerrte Wahrnehmung steckt tief in uns drin und darf scheinbar auch nicht ins Wanken gebracht werden. Mein Anliegen ist es jedoch, dass wir genau an diesen Schubladen arbeiten. Es geht vorrangig um die unbewussten Vorurteile, die wir in uns tragen.“
Wir-Kultur für die Tochter
Mittlerweile wohnt der Werbefachmann mit seiner Familie in München. Das letzte Kapitel seines Buches verfasste er in Form eines Briefes an seine Tochter. Ein Ausblick auf die Zukunft, die er sich für das noch kleine Kind wünscht. Eine Wir-Gesellschaft, in der Menschen im Dialog sind.
"Es kommt ein zunehmendes Gefühl auf, dass wir den Dialog immer weniger haben, gerade bei schwierigen Themen, wie beispielsweise kultureller Aneignung beziehungsweise der gesamten Debatte rund um Diversity, dass viele Menschen eine gewisse Sprachlosigkeit haben, nicht mehr wissen, wie sie was sagen sollen und ich hoffe, dass mein Buch dazu beiträgt, dass man wieder mehr in den Dialog gerät", wünscht sich Raschdorff.
Das Buch ist voller Beispiele aus dem persönlichen Leben des Autors. So gelingt es gut, sich in seine Position zu versetzen. Positiv anzumerken ist außerdem, dass Pierrot Raschdorff mit dem Buch nicht anklagt. Er schreibt mit einem freundlichen Unterton - für einen offenen Dialog.
Schwarz.Rot.Wir. Wie Vielfalt uns reicher macht
- Seitenzahl:
- 208 Seiten
- Genre:
- Gesellschaft
- Verlag:
- Mosaik
- Veröffentlichungsdatum:
- 21.09.2022
- Bestellnummer:
- ISBN: 978-3-442-39398-5
- Preis:
- 18,00 Euro €