"Autokorrektur": Katja Diehls Vision einer anderen Mobilität
Die Hamburger Mobilitätsexpertin Katja Diehl streitet für eine "Autokorrektur" und ihre Vision einer "Mobilität für eine lebenswerte Welt". Dabei lässt sie am derzeitigen Verkehrssystem kaum ein gutes Haar.
Katja Diehl ist Mobilitätsexpertin aus Hamburg und als Referentin, Politikberaterin, Rednerin und seit Kurzem als Autorin unterwegs. In ihrem Buch "Autokorrektur" fordert die Journalistin darin das, was das Wort auch sagt: eine Korrektur des Autos beziehungsweise des Autoverkehrs.
"Autokorrektur" heißt ihr Buch. "Autokorrektur" ist ja eigentlich eine selbst korrigierende Funktion am Computer, wenn ich mal wieder was falsch eingetippt habe, dann korrigiert der Computer das automatisch. Und dann kommt manchmal was ganz Komisches am Ende dabei raus. Das meinen Sie gar nicht, oder?
Katja Diehl: Ich fand es einfach sehr charmant, dieses Wort ein bisschen umzunutzen. Eigentlich war es bei mir am Anfang ein Hashtag, denen ich bei Twitter genutzt habe, um für mich wieder auffindbar zu machen: gibt es vielleicht Ideen, das Auto, Mobilität anders zu denken? Das hat sich dann so ein bisschen verselbständigt - und jetzt ist es mein Buchtitel geworden.
Aber was ist denn am Auto eigentlich böse? Das steht doch die meiste Zeit eigentlich rum. Da schreiben Sie in Ihrem Buch auch selber: 97 Prozent der Zeit steht es eigentlich in der Gegend rum. Da tut es doch nichts - das ist doch eigentlich prima, oder?
Diehl: Das ist natürlich auch etwas, wenn man hier in einem Autoland Deutschland an diese Automobilität geht, das hat schnell eine Emotion, die ich selber gar nicht zum Auto habe. Ich selbst benutze das Auto ja auch. Ich habe einen Führerschein gemacht, habe aber nie ein eigenes Auto besessen. Aber wenn ich mal irgendwas transportieren muss - oder was auch immer - dann nutze ich durchaus auch mal Carsharing. Ich fahre auch mit dem Taxi. Also das Auto an sich ist ein total tolles Ding. Aber genau was Sie sagen: es nimmt natürlich Raum und es macht Lärm. Gerade in der Stadt sorgt es für Enge und Stress. Und es ist etwas, was wir über Jahrzehnte hinweg priorisiert haben, also wichtiger gemacht haben als andere Mobilitätsformen. Und das möchte ich verändern.
Sie verwenden in ihrem Buch ganz viele Begriffe für das Auto. Unter anderem nennen Sie das Verkehrssystem ableistisch, also behindertenfeindlich. Warum?
Diehl: Da habe ich ein ganz aktuelles Beispiel. Volker Wissing als Bundesverkehrsminister hat im Februar diesen Jahres ganz begeistert die neueste ICE-Generation von Siemens Mobility vorgestellt. Er hat gesagt, es gibt ein besseres W-LAN. Man kann besser telefonieren, weil eine spezielle Fenstertechnik dafür Sorge tragen wird, dass man besseren Empfang an Bord hat und so auch im Zug gut arbeiten kann. Das freut mich natürlich. Aber Menschen im Rollstuhl können weiterhin nicht selbstbestimmt in diesen Zug steigen.
Ich weiß nicht, ob sie das am Bahnhof schon mal gesehen haben. Da gibt es diese Hublifte, die müssen hochgepumpt werden. Ich habe verschiedene Menschen im Rollstuhl interviewt, um auch mal deutlich zu machen, wie aufwendig es für die ist, mit dem Zug zu reisen. Die können nicht so wie ich einfach ganz spontan jetzt von Frankfurt meinetwegen nach München fahren, sondern müssen das bis zu 14 Tage vorher anmelden, weil das Personal braucht. In jedem ICE ist zudem nur noch ein Behindertenklo vorhanden. Wenn das kaputt ist, nimmt die Deutsche Bahn diese Menschen nicht mehr mit. Und diese Menschen wollen selbstbestimmt mit der Bahn unterwegs sein.
Und dass das 2022 immer noch nicht möglich ist, ist behindertenfeindlich. Zumal wir ja, seit dem 01.01. diesen Jahres den gesamten ÖPNV per Gesetz eigentlich barrierefrei gestalten müssen. Aber behinderte Personen, die im Rollstuhl sitzen, können das nicht einklagen, dass sie das auch bekommen. Es ist also so ein zahnloser Tiger.
Mir ist in ihrem Buch aufgefallen: Bei allem, was wir immer über die Mobilitätswende reden, fällt eigentlich in erster Linie immer der Begriff Klima - bei Ihnen aber eigentlich nur spärlich. Interessiert sie das gar nicht so großartig?
Diehl: Es ist auf jeden Fall etwas, was mich interessiert und was mich auch bedrückt, weil der Verkehrsbereich gerade schon wieder eine Rote Karte bekommen hat. Seit den 90er-Jahren wurden im Verkehrsbereich die Emissionen nicht gesenkt - diesmal sind sie sogar gestiegen. Volker Wissing muss nachbessern und ein Notfallpaket vorlegen. Um dieses Pariser Klimaziel überhaupt noch zu erreichen, müssen wir vor allen Dingen an den privaten PKW ran. Weil, das ist die größte Masse an CO2, die erzeugt wird im Transportsektor.
Es ist aber etwas, was mich nicht so intrinsisch antreibt, weil immer noch die Ungerechtigkeit im System an erster Stelle steht. Die Menschen, die ich interviewt habe und die im Auto sitzen, die machen das nicht, weil sie Autofans sind, sondern weil sie bestimmte Dinge nicht haben. Das sind zumal auch einfach Mobilitätsalternativen. Mit dem tollen neuen Euro-Ticket, über das gerade alle sprechen, können sie sich drei Monate lang in Bereiche von Mecklenburg-Vorpommern stellen, da kommt kein Bus, der sie abholt. Also erst einmal müssen natürlich Alternativen geschaffen worden sein, damit jemand überhaupt aus dem Auto aussteigt.
Dann geht es um die Dinge: Sicherheit, Barrierefreiheit und auch Bezahlbarkeit. Die Preise im ÖPNV sind um 85 Prozent gestiegen, in den letzten Jahren, die eines Autos nur um etwa über 30 Prozent. Aber es stehen Politiker*innen vor Zapfsäulen und beschweren sich, dass der Sprit-Preisrabatt bei den Menschen nicht ankommt. Da müssen wir einfach hinschauen. Warum sitzen Menschen überhaupt im Auto? Da macht es mir total Freude, mit diesen Menschen auch zu reden, zu sagen: "Willst du oder musst du Autofahren?" Viele sagen: Oh, habe ich noch nie drüber nachgedacht. Aber jetzt, wo du mich fragst: Ich muss Auto fahren, weil mir die Alternativen fehlen, weil ich nicht sicher unterwegs bin. Da kommt klimagerecht erst an fünfter Stelle. Das ist etwas, was die Leute nicht zum Handeln bringt, sondern die Alternativen sind es, die Sicherheit ist es, die Bezahlbarkeit ist es, und das möchte ich angehen.
Das Interview führte Jürgen Deppe. Das ganze Gespräch finden sie hier.
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