"Als die Welt entstand": Gefangen in der Nachkriegszeit

Stand: 19.10.2023 08:21 Uhr

Der Slowene Drago Jančar gilt in seiner Heimat als Klassiker. In Deutschland ist sein Werk noch weitgehend unbekannt. Im August ist sein Roman "Als die Welt entstand" auf Deutsch erschienen. Er erzählt von den Widersprüchen der Gesellschaft im Maribor der 1950er.

"Im Frühling zog eine junge Frau in die Erdgeschosswohung ein." Zitat aus "Als die Welt entstand"

Das ist die Entdeckung der Welt für diesen Jungen, die erste Begegnung mit der Erotik aus der Ferne. Danijel heißt der Bub im Hinterhaus, das Kind, für das die Welt entsteht. Die junge Frau heißt Lena.

"Er steht vor ihrer Tür und lehnt pochenden Herzens seine Stirn gegen die Scheibe. Durch den Spalt zwischen den Spitzenvorhängen sieht er Lena, wie sie im Unterkleid am Tisch sitzt - mit der einen Hand kämmt sie sich, mit der anderen dreht sie am Radioapparat herum." Zitat aus "Als die Welt entstand"

Die Widersprüche der Eltern

Drago Jančar verwebt den biblischen Bilderreigen des katholischen Slowenien mit seinem Coming-of-Age - Roman. Zwischen den flammenden Suaden von Pater Aloisius, an dessen Lippen Danijels Mutter hängt, und den Stammtischparolen seines atheistischen Vaters, der von seinen verpassten Chancen Hitler zu ermorden im Kreis der fett gewordenen Partisanenveteranen schwärmt, sieht Drago Jančar den Pubertierenden gefangen in dieser Nachkriegszeit.

Nur der Professor Fabjan - Kästner lässt grüßen - rückt für Danijel die Welt mit seinem rotierenden Tischglobus und russischen Folianten wieder zurecht - bis der Professor den Wagen von Titos Polizei besteigen muss.

"Ich habe mich immer gewundert, fährt Danijel fort, warum in diesen russischen Büchern, die mir Professor Fabjan geliehen hat, der Held mit seiner Kutsche immer in eine Stadt ohne Namen gefahren kommt." Zitat aus "Als die Welt entstand"

Jugoslawiens Loslösung von Stalin

Slowenien ist zu klein für derartige Nebel. Es ist die Zeit der Kosmonauten, da die Russen in den Himmel flogen und Tito mit Stalin brach. Wobei der Autor seine Leserschaft über solche Kontexte sehr gern im Dunkeln lässt, um seinen Roman als Liebesgeschichte zu maskieren.

"Ich mache das absichtlich, ich möchte das nicht historisch konkretisieren, weil ich möchte, dass diese Geschichte universell gelesen wird", sagt Jančar. "Ich habe aber so viele Details eingebaut, deswegen kann man erraten, wo das passiert."

"Als die Welt entschwand": Eine Tragödie

Es entspinnt sich die Tragödie der Erwachsenen, die in ihrer Vergangenheit gefangen sind: Danijels Vater kann bis zu seinem Schlaganfall seiner Frau ihre Jugendliebe nicht verzeihen, hält Alkohol für eine Medizin und sehnt sich in seine Partisanenzeit zurück. Die Mutter betet für die Wiederkehr ihres Erstgeborenen, nach dem sie sich sehnt. Danijel verwünscht mit biblischem Zorn die Widersacher seiner Liebe beim Anblick der großen Schuhe, die vor dem Bett von Fräulein Lena stehen. Pepi, der Nebenbuhler mit den großen Füßen, wird später sein väterlicher Freund, auch wenn er ihn lang hasste.

"Pepi ist nicht mehr. Danijel vermisst ihn, seine großen Hände, die so geschickt sind, wenn sie die goldene Monstranz ergreifen und vom Tisch die kleine Zange und die winzige Feile nehmen. Seine großen Füße mit den Schuhen Nummer 48, mit denen er ihn in den Saharasand geschickt hat, es tut ihm leid." Zitat aus "Als die Welt entschwand"

Schmerzhafte Liebesgeschichte

Auf 264 Seiten folgen wir der schmerzhaften Liebesgeschichte Danijels vor der Tapete der slowenischen Gründungsturbulenzen in Drago Jančars Geburtsort Maribor.

Jančar gilt in seiner Heimat als Klassiker. Für deutsche Leserinnen und Leser dürfte er eine Entdeckung sein. Seine Wortwahl ist auf wohltuende Weise altmodisch, seine Cliffhanger sind raffiniert, seine Sprache ist melodiös und er enthüllt uns eine ganze Welt.

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