Florian Schroeder © Frank Eidel
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AUDIO: Gibt es das Böse? Mit Florian Schroeder und Hannah Arendt (44 Min)

Was fasziniert uns am Bösen?

Stand: 31.10.2023 09:23 Uhr

Der Kabarettist Florian Schroeder hat ein Buch über das Böse geschrieben. Im Philosophie-Podcast Tee mit Warum spricht er über die Faszination des Abgründigen und warum wir das Böse brauchen.

Florian Schroeder ist einer breiten Öffentlichkeit vor allem als Satiriker und Kabarettist bekannt. Der studierte Philosoph tritt aber auch immer wieder als Buchautor in Erscheinung. Für sein neuestes Buch "Unter Wahnsinnigen" hat Schroeder Menschen getroffen, die vermeintlich das Böse verkörpern - unter anderem einen Holocaust-Leugner und einen pädophilen Sexualstraftäter getroffen. Denise M'Baye und Sebastian Friedrich haben im Philosophie-Podcast Tee mit Warum mit Florian Schroeder über das Böse gesprochen. Einen Auszug lesen Sie hier, die ganze Folge finden Sie in der ARD Audiothek und auf allen Podcast-Plattformen.

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Mann und Frau sitzen am Tisch und trinken Tee. © NDR Foto: Christian Spielmann

Tee mit Warum: Gibt es das Böse? Mit Florian Schroeder und Hannah Arendt

Sebastian Friedrich und Denise M'Baye diskutieren im Philosophie-Podcast mit Florian Schroeder über das Böse. extern

Warum brauchen wir das Böse?

Florian Schroeder: Wir brauchen das Böse, weil wir im Bösen etwas erkennen, was wir in uns selbst nicht wahrnehmen wollen. Das sind die dunklen Seiten in uns, die wir externalisieren - wie es die Psychologie bezeichnet. Wir geben die dunklen Seiten anderen, um uns besser zu fühlen und uns abzusetzen. Aber im Grunde haben wir ganz viel von dem, was wir anderen zuschreiben, in uns selbst. Das sind die dunklen Seiten, die wir nicht sehen wollen. Wir wissen, dass das unser Leben verändern würde und deswegen sehen wir sie im anderen.

Wir betrachten das Böse sehr gerne, ob im Tatort, in True-Crime-Podcasts oder Büchern. Warum fasziniert uns das Böse so?

Buchcover "Unter Wahnsinnigen" von Florian Schroeder © dtv
Florian Schroeder hat für sein Buch "Unter Wahnsinnigen" unter anderem mit einem Holocaust-Leugner und einem pädophilen Sexualstraftäter gesprochen. Er zeigt auf, dass das eindeutig Böse eine Illusion ist.

Schroeder: Das Einfache an diesen Produktionen ist, dass sie auf eine ganz seltsame Art harmlos bleiben. Das gilt sowohl für den Tatort als auch für viele True-Crime Produktionen. Man sieht etwas, das als böse gilt, aber am Ende gewinnt das Gute. Selbst wenn es nicht so ist, sind viele dieser Produkte so gemacht, dass man am Ende sagt: 'Gut, dass das Böse so weit weg ist'. Ich habe in meinem Buch einen anderen Ansatz gewählt: Ich gucke mir Leute an, die diese Eindeutigkeit - dieses binäre Gut und Böse - nicht zulassen.

Was begreifst du als das Böse?

Schroeder: Eigentlich gar nichts. Weil wir es uns damit viel zu einfach machen. Wenn man mit Psychologen oder mit Juristen redet, dann sagen die: 'Das ist gar keine Kategorie'. Ich habe mit einem Kriminologen gesprochen, der das gesamte Strafgesetzbuch nach dem Begriff des Bösen durchsucht hat: Er hat es nicht gefunden. Es gibt zwei Mal das Wort 'böswillig'. Das kommt unter anderem beim Paragrafen zur Volksverhetzung vor. Das ist so ein dehnbarer Begriff - auch da ist 'böswillig' nur eine Notkonstruktion. Wenn wir den Begriff 'Böse' vermeiden und uns überlegen: Was macht diesen Menschen für mich so abgründig? Dann kommen wir der Sache näher, als wenn wir einfach nur klassifizieren. Ich glaube, wir sind bessere Menschen, wenn wir nicht moralisch denken. Es ist ganz einfach zu sagen: 'Hitler war böse'. Trotzdem würde ich das nicht sagen. Ich würde sagen, das war der grauenhafteste Verbrecher in der Menschheitsgeschichte. Aber war er böse? Ich glaube, wenn wir so klassifizieren, dann machen wir es uns zu einfach.

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Hitler ist ein gern genommenes Extrembeispiel - da gibt es sicherlich eine Dämonisierung. Gleichzeitig läuft man durch die Dämonisierung in die Gefahr, sich nicht mit den Ursachen des Faschismus auseinanderzusetzen. Wenn wir das Böse von der Person wegziehen und stattdessen über 'böse Handlungen' nachdenken. Kann das eine Kategorie sein, die ein moralischer Kompass für uns ist?

Schroeder: Ich weiß es nicht. Ich glaube, der moralische Kompass führt uns in ziemlich dunkle Abgründe. Wir denken dann in Freund und Feind oder in Täter und Opfer. Da sind wir beim aktuellen Zeitgeist: Wo man sich sehr schnell als Opfer sieht und kaum einen Blick darauf wirft, was die Täterseite in einem selbst macht. Wir müssen von diesen moralischen Kategorien wegkommen. Die sind sehr persönlich. Als fundamentaler Christ könnte ich sagen: 'Für mich sind Schwule böse, weil ich das unnatürlich finde'. Moral fragt: Finde ich das gut? Finde ich nicht - also kann ich das böse finden. Es bleibt willkürlich. Ich unterscheide zwischen Ethik und Moral. Die Ethik fragt: Ist es fair? Ist es verallgemeinerbar? Ist es ein Lebensprinzip? Ist es ein Gesellschaftsprinzip? Dann kann ich zum Thema Homosexualität sagen: Wer mit wem, wo, wann und auf welche Weise Spaß hat, ist völlig egal. Das geht niemanden etwas an. Solange es niemandem schadet, ist alles in Ordnung. Wenn wir so denken, sind wir nicht mehr in der Welt von Gut und Böse. Das ist der Ansatz, den Nietzsche hatte. Nietzsche wollte weg von Gut und Böse. In der 'Herrenmoral', wie er es nannte, geht es um gut, um schlecht und um Graubereiche. Das ist für mich der viel spannendere ethische Kompass.

Nehmen wir als Beispiel die aktuelle Debatte um diesen sogenannten Kulturkampf zwischen den sogenannten alten weißen Männern und den sogenannten Woken. Ich nenne diese Begriffe absichtlich, weil es genau dieses binäre Denken verkörpert. Die eine Gruppe sagt: 'Da sind Leute, die verbieten, dass ich etwas sagen oder denken darf - die wollen mich bestimmen'. Auf der anderen Seite sind Menschen, die Sexismus und Rassismus beklagen. Meistens sind das Menschen, die Opfer davon geworden sind und sich daraus befreien und emanzipieren wollen. Irgendwann läuft es immer auf die Frage hinaus: Wer darf was sagen und in wessen Namen? Dann sagen die, die "woke" genannt werden, es darf nur noch derjenige sprechen, der betroffen ist. Dann reden Betroffene mit Betroffenen über Betroffene. Das führt bei beiden Seiten zu einer Opferposition. Die alten weißen Männer sagen: 'Wir sind die Opfer von diesen Woken'. Die Woken sagen: 'Wir sind die Opfer von diesen alten weißen Männern'. Emanzipation bestünde darin zu sagen: Wir brauchen diese andere Seite gar nicht. Wir brauchen das Böse nicht. Wir brauchen die Dämonisierung nicht. Wir können für uns selbst sagen, wir legen unsere Regeln fest und versuchen es anders zu machen. Das finde ich ein schönes Beispiel, um klarzumachen, dass dieses dichotome Denken - Ja und Nein, Gut und Böse, Richtig und Falsch - eigentlich nirgendwohin führt.

Die Fragen stellten Denise M'Baye und Sebastian Friedrich. Das ganze Gespräch mit Florian Schroeder hören Sie im Philosophie-Podcast Tee mit Warum.

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Dieses Thema im Programm:

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