Ein Mann schaut in die Kamera und trägt ein helles Hemd und ein blaues Sakko darüber. © picture alliance/dpa/Matthias Weinberger Foto: Matthias Weinberger
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AUDIO: Streik und Arbeitswelt: Spracherkundungen mit Rolf-Bernhard Essig (8 Min)

Streik und Arbeitswelt: Spracherkundungen mit Rolf-Bernhard Essig

Stand: 16.05.2023 11:45 Uhr

Der promovierte Literaturwissenschaftler und Autor Rolf-Bernhard Essig hat im Duden-Verlag das Buch "Pünktlich wie die Maurer" veröffentlicht. Darin geht es um Redensarten aus der Berufswelt. Ein Gespräch.

'Schuster, bleib bei deinem Leisten!' 'Wo gehobelt wird, da fallen Späne.' Oder: 'Heute hast du aber eine lange Leitung!' Es gibt Hunderte sprichwörtlicher Redensarten, die vor allem aus dem Handwerk in unsere Sprache eingewandert sind. Oft benutzen wir sie täglich, ohne, dass es uns überhaupt bewusst ist. Im neuen Buch "Pünktlich wie die Maurer" von Rolf-Bernhard Essig erzählt der Redensartenpapst, welche 300 Handwerksredensarten im Deutschen besonders beliebt sind und was hinter ihnen steckt.

Es gibt etliche Redensarten, die aus der Arbeitswelt entstammen. Bei manchen ist die Herkunft kaum noch allgemein bekannt, dann aber doch recht schlüssig, sobald man es erklärt bekommt. Sie haben ein paar Beispiele für uns.

Rolf-Bernhard Essig: Wenn man 'gut beschlagen' ist, dann kommt das vom Schmied, der die Pferde beschlägt. Ein gut beschlagenes Pferd, kann einfach mehr ziehen. Bei den Redewendungen 'Bilanzen frisieren' oder 'Motoren frisieren', geht es um die Stoffherstellung. Man hat mit Rüschen etwas schöner gemacht, wie man einen Motor stärker macht, oder mit Rüschen Fehler von Stoffen verdeckt und dadurch war es dann Betrug. Es gibt in dem Bereich auch noch die Elektriker-Redensarten: '19-Zoll-Gespräche führen' oder 'wissen, was Phase ist', da ist es immer gut, den Stromleiter zu kennen und keinen Schlag zu kriegen, sonst ist leicht ein Blackout da, die Sicherungen sind durchgebrannt, das wollen wir nicht.

Es gibt etliche Ausdrücke zum Thema: 'Nicht arbeiten'. Und das vielleicht ohne den Segen der Chefin oder des Vorgesetzten, Stichwort Blaumachen. Wo kommt das eigentlich her?

Essig: Das ist eine lange Geschichte. Die meisten kennen das von Gästeführern, dass die sagen, das kommt vom Blaufärben. Da ist schon was dran. Beim Blaufärben gibt es immer wieder Arbeitspausen, die man einlegen muss, bevor man den Stoff noch etwas blauer färbt oder bevor man ihn weiter verarbeiten kann. Man wartet auch auf die Oxidation, die dazu führt, dass die Färberei dann ein schönes Blau herstellt. Aber es gab weit vorher schon den guten Montag, als einen freien Tag der Lehrlinge und Gesellen, den machten sie zu einem blauen Montag, so warf man es ihnen vor. An Festtagen war blaue Kleidung erlaubt, und man hat ihnen vorgeworfen, sie würden einen Tag, den sie eigentlich benutzen sollten, um ihre Gesellenstücke herzustellen, oder einen eigenen Gottesdienst zu machen, verwenden wie einen Feiertag, an dem sie blaue Kleidung trugen. So wurde der gute Montag auch als blauer Montag bekannt, was das Blaumachen, dann als Nicht-Arbeiten hat entstehen lassen.

Ich würde Sie gerne auch zum Thema Streik fragen. 'Bummelstreik', 'Dienst nach Vorschrift', die 'Segel streichen' und dann gibt es im schlimmsten Fall noch 'Sabotage'. Klären Sie uns bitte auf.

Essig: Streik aus dem Englischen kommt aus dem Seemännischen und wurde schon 1768 überliefert. Es war eigentlich eine Kurzform von 'to strike sales', das ist genau dasselbe wie unsere Redewendung 'die Segel streichen'. Wenn man keine Segel mehr gesetzt hatte, dann kam das Schiff auch nicht vorwärts, es war Arbeitsverweigerung. So kam das dann auch weiter in den normalen Sprachgebrauch 'to srike work' hieß dann eben auch die Arbeit nicht mehr machen und dann nur noch 'to strike' und das wurde 1865 auch mit dem Buchdrucker-Streik im Deutschen immer aktueller.

Das mit der Sabotage ist sehr schön, weil es eine tolle Geschichte gibt, die nicht stimmt. Man habe Sabots, die Holzschuhe, in die empfindlichen Getriebe von Webmaschinen und Spinnmaschinen geworfen. Sabots ist ein Holzschuh, und es gibt ein französisches Wort sapoter, das bedeutet in Holzschuhen umhertappen, auftreten. Das hieß dann auch pfuschen oder eine Arbeit schnell und schlecht ausführen. Daraus entstand dann Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts der Begriff Sabotage, erst im französischen und 1920er-Jahre, dann auch bei uns.

Aber es gibt auch geflügelte Worte, die mir sehr gut gefallen: Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will. Ferdinand Lassalle hat das angeregt, und Georg Herwegh hat das dann gedichtet. Das ist die zehnte Strophe dieses Bundeslieds für den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein, also ein großartiges Gebiet. Boykottieren ist ein typischer Ausdruck, der mit einem Namen zusammenhängt. Charles Cunningham Boycott, der wurde in Irland, als ein englischer Verwalter geächtet, wurde in eine soziale Isolierung getrieben und darüber berichteten dann die Zeitungen immer mehr. Daraus wurde 'to boycott', erst im Englischen und dann mit dem Syndikalismus europaweit: Boykottieren.

Wenn es ganz dolle kommt, gehen die Leute 'auf die Barrikaden'. Wo hat das seinen Ursprung?

Essig: Wenn Sie, wie ich auch, einen Barrique-Wein schätzen, einen ausgebauten Wein, hat das mit dem Fass zu tun. Bei bildlichen Darstellungen dieses Barrikaden-Kampfes, sieht man, dass sie Fässer verwendeten, aus den Kneipen entwendet, mit Sand und Steinen gefüllt - als Kugelfang - damit hatten sie eine gute Art von Schutz. Bei dem berühmten Bild 'De la Croise - die Freiheit auf den Barrikaden', sieht man, wie sie darauf steigen, um jetzt zum Angriff überzugehen. Also ein unglaublich plastischer Ausdruck. Unsere Sprache ist wie viele andere übrigens auch, sehr bildreich. Wir merken es nur im Alltag nicht so recht.

Die Bahn und vor allem ihre Pünktlichkeit oder auch Unpünktlichkeit ist hierzulande immer ein riesen Thema mit erheblich viel Thermik, dass sich quasi verselbständigt hat. Was könnte die Bahn von den Maurern lernen, deren Pünktlichkeit ist laut Redensart legendär.

Essig: In der Tat, das ist das eine 'auf den Punkt genau zur Uhrzeit kommen', nur ursprünglich hieß 'pünktlich wie die Maurer', 'exakt sein, wie die Maurer', 'genau sein, wie die Maurer'. Bis ungefähr ins 1800 Jahrhundert hieß pünktlich, auf den Punkt, und exakt, etwas tun und nicht zur Zeit kommen. Erst mit den Turmuhren, die einen kleinen Punkt unter den Ziffern hatten, da wurde der Ausdruck 'ich komme Punkt 8 Uhr' üblich. Dann hat sich dieses: Die Maurer sind exakt und haben alles im Lot, die loten alles aus, verändert zu: Die Maurer sind Leute, die sehr pünktlich sind. Übrigens als Spott hieß es, sie würden bei Dienstschluss sofort die Kelle fallen lassen. Aber wenn die Bahn exakt wäre und immer auch auf den Punkt käme, wäre das schon sehr gut. Ich habe mal ein ganzes Programm zu Eisenbahn-Redensarten gemacht und zwar für das Bahnmuseum. Unglaublich, was es da alles gibt. Die Politiker, die 'keine Weichen mehr stellen können', oder die 'Signale, die ausgesendet werden', 'man gerät auf's Abstellgleis', man ist ein 'Prellbock für jemanden', also es ist wirklich faszinierend.

Rolf-Bernhard Essig war live im Journal auf NDR Kultur. Sein Buch "Pünktlich wie die Maurer" ist im Duden-Verlag erschienen und kostet zwölf Euro.

Das Gespräch führte Philipp Cavert.

 

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 15.05.2023 | 16:00 Uhr

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