Ein Mann schaut in die Kamera und trägt ein helles Hemd und ein blaues Sakko darüber. © picture alliance/dpa/Matthias Weinberger Foto: Matthias Weinberger

Militärische Redensarten: Haben wir zu viele im Wortschatz?

Stand: 28.07.2022 14:19 Uhr

Durch Kriege verändert sich nicht nur die Weltpolitik, sondern auch unsere Sprache. Viele militärische Wörter bürgern sich in unseren Sprachschatz ein. Ist das schlimm?

Der Schriftsteller Ilija Trojanow hat es am Dienstag in Salzburg gesagt: "Rüstet rhetorisch ab, verlasst die Sprache des Krieges, sie prägt euer Denken." Vor einigen Wochen gab es schon in der Süddeutschen Zeitung einen Artikel mit der Überschrift: 'Ein Wortschatz, wie ein Waffenschrank', der gerade uns Deutschen vorwirft, wir hätten eine martialische Kriegsrhetorik in unserer Sprache.

Rolf-Bernhard Essig ist ein Sprachanalytiker und Kenner von Redensarten und von geflügelten Worten, bekannt durch zahlreiche Kolumnen in ARD Radioprogrammen und zu Gast bei NDR Kultur. Sie sehen das Ganze nicht so kritisch, sondern Sie sagen, das sei eher normal. Warum?

Rolf-Bernhard Essig: Es sind verschiedene Dinge. Einerseits hat Trojanow natürlich vollkommen Recht, was professionelles Sprechen anbelangt. Wir, die wir auch journalistisch tätig sind oder auch Politiker, sollten sehr genau überlegen, was sie sagen. Das gilt auch für alle anderen Bereiche der Sprache, nicht nur für die Kriegsrhetorik. Für die allgemeine deutsche Sprache muss man sich fragen, mit was wird denn hier verglichen? Wenn ich zum Beispiel auf das Französische gucke, wo in der Nationalhymne 'das Blut der Feinde die Ackerfurchen tränkt' und im Englischen gibt es einen Ausdruck wie: 'Cry Havoc and Let Slip the Dogs of War'. Bei den beiden Beispielen weiß ich, da ist mit Shakespeare und Robespierre so viel Krieg in der Sprache und das hat nichts mit der Nationalität zu tun, sondern damit, dass Krieg Realität war und für viele Leute in der Ukraine jetzt gerade ist. Ich glaube, dass ist ganz entscheidend, das klarzumachen und zu unterscheiden, das man von Worten zu Schlägen kommt - das haben schon die Römer behauptet. Ich bin der Meinung - auch empirische Untersuchungen konnten das bislang nicht eindeutig klären - dass es drauf ankommt, wie man etwas ausspricht. 'Du bist mir ein Held' - das kann sein, dass ich das als Lob verstehe oder wie mein Vater mir gegenüber, als Ironie.

Redensarten: Nicht jedem bewusst, wo sie herkommen

Nach seinem gescheiterten Attentat auf Porsenna haelt Mucius Scaevola zum Beweis seiner Entschlossenheit die Hand ins Feuer, 507 v.Chr.) Aus: Johann Ludwig Gottfried, Histo- rische Chronica, Frankfurt a.M. (M.Merian) 1630 © picture alliance / akg-images | akg-images
Noch eine Redensart mit militärischer Geschichte: Im Jahr 507 v. Chr. hielt der Römer Gaius Mucius seine Hand ins Feuer, um dem Etruskerkönig Porsenna seine Vaterlandsliebe zu beweisen. Porsenna schenkte ihm daraufhin das Leben. Mucius wurde seitdem "Scaevola" - der Linkshänder - genannt.

Essig: Bei sehr vielen Ausdrücken sind sich weder Politiker, noch Experten oder Laien klar, dass sie überhaupt etwas damit zu tun haben. Wir sind keine Etymologen, die wissen, dass die Redensart 'bei der Stange bleiben' etwas mit dem Feldzeichen der Standarte zu tun hat, oder das 'Alarm schlagen' eigentlich all'arme, also zu den Waffen heißt. Die Werbetrommel, die gerührt wird, hatte nichts mit Commercials zu tun, das war die Werbetrommel, mit der man neue Soldaten anlocken wollte. 'Sich aus dem Staub machen', kommt aus dem Schlachtengetümmel, 'sich verfranzen' kommt vom Beobachter, von Zweisitzer-Flugzeugen. 'Am Boden zerstört sein' hat mit Kriegs-Propaganda zu tun. Wenn wir diese Redensarten im Alltag verwenden, dann ist das keine schlimme Sache, sondern wie wir das sprechen und einsetzen - das macht es dann erst problematisch. Da stört es mich, dass die internationalen Vergleiche nicht vorkommen und, dass wir gar nicht in der Lage sind, immer zu wissen, wo ein Ausdruck herkommt. Das wäre im Alltag ein bisschen viel verlangt.

Da gibt es auch einen Ausdruck, den ich gerade erst bei Ihnen gelesen habe: 'Auf Vordermann bringen'. Das sagt man ja immer, wenn man die Küche putzt, vielleicht martialisch, aber sicherlich nicht kriegerisch. Wo kommt das her?

Essig: Das ist, wenn sich die Mannschaft anstellen sollte - ein Truppenteil zur Besichtigung - dann hat man die, die in der ersten Reihe waren noch mal angeguckt - sitzt das Koppelschloss richtig und wie ist das mit den Achselstücken. Man hat die, die in der vordersten Reihe waren, repräsentativ und gutaussehend gemacht.

Wie dringt denn diese militärische Sprache so tief in unserer Alltagssprache ein?

Essig: Es war Alltag. Ich habe jetzt schon viele Begriffe genannt und die sind aus dem Dreißigjährigen Krieg. 'Lunte riechen', 'etwas auf der Pfanne haben': Das kommt von diesen Luntenschlossgewehren. 'Die Flinte ins Korn werfen' kann man erst wegen der Schweden, die das Feuersteinschloßgewehr überhaupt erst Flinte genannt haben. Das war über Hunderte Jahre ganz gemeiner, schrecklicher Alltag in Europa, für viele Bereiche. Hinzu kommt, dass viele Kriegsdienst leisten mussten, viele wurden erpresst, teilweise waren sie freiwillig unterwegs. Das hat das natürlich wiederum in die Bevölkerung hineingebracht. Bestimmte Bereiche, wie die Luftwaffe hatten darüber hinaus einen besonderen Ruf, einen Ruf als Ritter der Lüfte. Zeitungen haben so darüber berichtet. Es gab Filme, es gab Literatur, 'Der rote Baron' hat ja schon im Ersten Weltkrieg seine Autobiografie geschrieben, klugerweise, denn kurz darauf war er tot. Das alles hat diese Begriffe sehr populär gemacht.

Erklärungen einiger Redensarten

Essig: Die wenigsten haben das auf dem Schirm, dass 'Auf dem Schirm haben', eben auch vom Wort Radar kommt und das 'Murphys Gesetz' auf einem Luftwaffenstützpunkt entwickelt wurde. Aber auch wenn wir jemanden 'auf die Folter spannen', will ich jemandem dann vorwerfen, dass er jetzt an jemandem wirklich Folter verüben möchte? Wenn ich sage 'ich steig' dir gleich auf's Dach', da wird kaum jemand mehr wissen, dass Männer, die Gewalt durch ihre Frauen erlitten, das als Strafe bekamen. Das Dorf versammelte sich und deckte das Dach ab. Also wieso sollten wir das Alles wissen und bewusst so verwenden? Ich bin da ganz sicher, dass es entscheidend ist, was der Ton sagt, was wir mit unserer Sprache erreichen wollen und, dass wir natürlich mit möglichst bewusster Verwendung viel mehr erreichen können. Es hilft uns nichts, zu wissen, dass 'Arbeit macht frei' bis zur 'Vergasung' und 'jetzt ist Polen offen' mit den Nazis nichts zu tun hat - das ist viel älter. Aber die Nazis haben es so missbraucht. Ein Buch, das darüber berichtete, nannte sich 'Verbrannte Wörter'. Ich möchte weiterhin einen Buchenwald - Buchenwald nennen.

Wir halten fest: Geflügelte Worte und Redensarten können sich von ihrer ursprünglichen Bedeutung entfernen. Allerdings sollten wir mit martialische Rhetorik, Freund und Feind - weiter vorsichtig sein.

Das Gespräch führte Mischa Kreiskott.

 

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 26.07.2022 | 16:30 Uhr

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