Denkmal von Gotthold Ephraim Lessing in Frankfurt am Main © picture alliance / imageBROKER Foto: Gabriele Thielmann
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AUDIO: Lessing-Neuedition eröffnet neue editorische Möglichkeiten (7 Min)

Lessing-Neuedition eröffnet neue editorische Möglichkeiten

Stand: 05.01.2023 15:15 Uhr

Bis Ende 2024 sollen die Voraussetzungen für eine digitale Neuedition der Werke von Gotthold Ephraim Lessing geschaffen werden. Ein Gespräch mit dem Direktor der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Peter Burschel.

Seit rund zwei Jahrzehnten herrscht in der Lessing-Forschung Konsens darüber, dass eine Neuedition der Werke und Briefe des Aufklärers, Dramatikers und Kritikers Gotthold Ephraim Lessing dringend erforderlich ist. Zur Vorbereitung solch einer digitalen, kritischen Gesamtausgabe stellt das Ministerium für Wissenschaft und Kultur des Landes Niedersachsen 300.000 Euro zur Verfügung.

Herr Burschel, warum ist aus ihrer Sicht eine digitale Neuedition der Werke und Briefe nötig?

Peter Burschel: Man könnte ganz einfach sagen: Es gibt sie noch nicht, und wir haben durch die Möglichkeiten der Digitalisierung auch ganz neue editorische Möglichkeiten. Wir können zum Beispiel neben mehreren Digitalisaten auch eine Transkription mit abdrucken und den XML-Code. und das Ganze über Mapping-Verfahren so visualisieren, dass man das gut in den Blick bekommt. Das heißt, dass wir zum Beispiel auch unterschiedliche Druckfassungen zeigen können. Das ist ein wesentlicher Grund für diese neue Gesamtausgabe.

Kommen diese verschiedenen Druckfassungen hauptsächlich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zugute oder auch Otto-Normal-Bürgern?

Burschel: Das scheint auf den ersten Blick was für Nerds zu sein - und das darf es auch sein. Aber man sollte es nicht unterschätzen. Man kann etwa mit unterschiedlichen Druckfassungen, die man gut visualisieren kann, auch Schülerinnen und Schüler begeistern. Man vergisst häufig, dass Lessing noch ein viel gespielter Autor ist, nicht nur auf deutschen Bühnen. Man kann hier auch Theaterarbeit auf ganz neue Füße stellen, indem man verschiedene Fassungen klug und gut präsentiert. Wir sind sehr darum bemüht, eine Gesamtausgabe zu schaffen, die vielfältigen Nutzergruppen zugutekommen kann. Aber insgesamt sehen wir gerade den Aspekt Schule, Universität und Theater als sehr entscheidend an für diese Ausgabe.

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Das hört sich nach einem sehr großen Projekt an. Wie weit sind Sie in der Umsetzung? Wie läuft die Zusammenarbeit mit den anderen Institutionen?

Burschel: Das ist, wie Sie sich denken können, gar nicht so einfach. Wir haben zuerst einmal eine Pilotphase über zwei Jahre, die finanziert wird. In dieser Phase werden auch die Dinge erprobt, die Sie angesprochen haben: Wie arbeiten wir einerseits gut, andererseits auch effizient zusammen? Das müssen wir tatsächlich noch erproben. Wir haben schon seit Jahren Gespräche zu diesem Projekt, wir haben eine größere Tagung mit der deutschen Lessing-Community in Wolfenbüttel gehabt, weil wir unser Anliegen auch transparent machen wollen, weil wir bestimmte editorische und elektronische Fragen klären müssen. Wir wollen eine solche Ausgabe vielleicht auf Jahrzehnte machen, und das ist ja kein exklusiver Prozess, sondern soll ein integrierender Prozess sein für alle, die sich mit Lessing beschäftigen - nicht nur für die ganz enge wissenschaftliche Lessing-Community.

Lessing war auch Bibliothekar der Herzog August Bibliothek. Hat er einen guten Job gemacht?

Burschel: Diese Frage zu beantworten, ist ganz schwer. Die unmittelbaren Nachfolger Lessings, die man heute nicht mehr kennt, die waren nicht sonderlich begeistert von ihm und von seiner bibliothekarischen Arbeit.

Warum?

Burschel: Erstens war Lessing kein ganz einfacher Zeitgenosse, zum anderen hat er auch Dinge umgesetzt, die vielleicht aus einer etwas bornierteren bibliothekarischen Perspektive nicht so angesagt waren. Aber wir haben inzwischen eine ganze Reihe von Stimmen, die sagen: Unterschätzt Lessing als Bibliothekar nicht, er hat durchaus Dinge auf den Weg gebracht. Ich persönlich bin etwas zwiegespalten. Auf der einen Seite hat er tatsächlich aufgeklärte Ideen in die Bibliothek gebracht - auf der anderen Seite hat er aber bestimmte Kärrnerarbeiten, die bis heute zum bibliothekarischen Geschäft gehören, eher als Last empfunden. Wir können das gut nachvollziehen. denn er war ja ein Hochintellektueller und an allen Diskursen seiner Zeit beteiligt und interessiert. Er hat in Wolfenbüttel als Bibliothekar sowohl die "Emilia Galotti" als auch den "Nathan" zu Ende geschrieben. Wir sind ja froh, dass wir diese Werke haben.

Das Interview führte Eva Schramm.

 

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 05.01.2023 | 16:30 Uhr

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