Filip Haag: "Die Kunst des Augenblicks" © Dumont Buchverlag

Museumsbesuche mit Filip Haag: "Die Kunst des Augenblicks"

Stand: 24.09.2021 15:19 Uhr

von Andrea Schwyzer

Ja, es gibt ihn: Den perfekten Augenblick. Jener Augenblick, in dem alles passt. Als der Maler Filip Haag vor fünf Jahren im MoMA in New York durch die Ausstellungsräume ging, war er plötzlich da, dieser Augenblick: Eine Besucherin stand vor einem Bild von Mark Rothko - und die Farben ihres Kleides waren mit dem des Gemäldes identisch. Seit diesem Tag ist der Schweizer Künstler in den Museen der Welt unterwegs und sucht diese Momente. Eine Auswahl seiner Ausbeute ist nun bei DuMont erschienen - unter dem Titel "Die Kunst des Augenblicks" - nimmt sie uns mit auf einen ganz besonderen Ausstellungsrundgang.

Perfekte Augenblicke im Museum

In einem Raum wachsen zartrosa Blumen aus einem Bild von Henri Rousseau hinüber auf das Kleid einer vornehmen Dame. Welch wundersames, raum- und zeitübergreifendes Wuchern! Und da: Alberto Giacomettis dürre, leicht vorn übergebeugte Bronze-Skulpturen, die mit den Besuchern im Gleichschritt vorwärtsgehen.

Kaum zu glauben, dass diese Bilder nicht gestellt sind. Doch das sind sie nicht, versichert Filip Haag - er, der Künstler, der etliche Runden in den gleichen Ausstellungen dreht, die Handykamera griffbereit, um den perfekten Moment einzufangen. Die Wahrheit ist allerdings, gesteht der Fotograf: "...dass mehr Aufnahmen in die Hosen gehen, als glücken."

Die Konstellationen entstehen zufällig

Filip Haag hat mittlerweile sogar ein Büchlein, in dem er jene Fotografien beschreibt, die nichts geworden sind. Zu langsam, zu unscharf, zu wenig auf den Punkt. Doch wenn es gut läuft, dann so, sagt er: "Ich gehe ins Museum in Ausstellungen, die mich sowieso interessieren, weil ich ja selber auch Künstler bin. Dann spaziere ich in der Regel zuerst einfach mal den Bildern nach. Dann in zweiter Linie stelle ich fest, was an Besonderheiten sichtbar werden könnten, beispielsweise an Verhaltensweisen von Leuten oder an Kleidungen oder an irgendwelchen Konstellationen, wo ich dann halt kombiniere: Diese Konstellation, die würde passen bei dem und dem Kunstwerk."

Dann heftet er sich unbemerkt an die Fersen dieser Person und hofft, dass sie tut, was er sich in seinem Kopf schon ausgemalt hat. "Was aber eigentlich noch häufiger vorkommt ist, dass es Konstellationen gibt, die ich mir gar nicht ausdenken konnte" erzählt Haag.

Spiel mit Farben, Mustern und Motiven

Pelzkrägen, die sich doppeln; spiegelglatte Glatzen, die Totenköpfen ähneln; Gesten, die wie zufällig dem Bild dahinter entsprungen scheinen. Und was ist das?! Ein löchriger Pullover, der Inspiration gewesen sein muss für eine abstrakte Collage von Hans Arp.

Es ist ein Spiel mit Farben, Mustern und Motiven, die sich wiederholen, mit Ausdrucksweisen und Formen, die Besucherin und Ausstellungsobjekt zusammenbringen. Wenn dieser Dialog entsteht - sich Vergangenes und Gegenwärtiges berühren, symbiotisch und spannungsgeladen, ist das für den studierten Kunsthistoriker besonders bewegend: "Das ist eigentlich der Idealfall, dass so eine Interaktion passiert. Das sehe ich aber manchmal auch erst auf dem Foto."

Unglaubliche Fotografien und Begegnungen

Etwa wenn im Louvre eine Besucherin vor einer übergroßen Apollon-Statue ein Selfie macht: Ihr ausgestreckter Arm und die nach oben geknickte Hand mit dem Smartphone sehen genau so aus, wie die Sieges-Pose der griechischen Gottheit. Ein amüsanter Hingucker - doch nicht nur das! Die Fotografie lässt uns auch darüber nachdenken, welche Bedeutung dieser Pose zugeschrieben werden könnte. Triumphiert etwa das Handy über uns? Und wusste Apollon dank seiner seherischen Fähigkeiten womöglich schon immer, dass es mit uns soweit kommen würde?

So wird dieses witzige, schmale Büchlein spätestens beim zweiten Rundgang zu einem Band, der Zwiegespräche anzustoßen vermag, über Kunst und Kulturgeschichte.

Die Kunst des Augenblicks

von Filip Haag
Seitenzahl:
112 Seiten
Genre:
Bildband
Zusatzinfo:
60 farbige Abbildungen, gebunden mit farbigem Vorsatzpapier
Verlag:
DuMont
Bestellnummer:
978-3-8321-6904-6
Preis:
15,00 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | 26.09.2021 | 17:40 Uhr

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