Buchcover: Venezia - Gesehen mit den Augen eines Venezianers © teNeues Verlag

Fotoband: "Venezia - Gesehen mit den Augen eines Venezianers"

Stand: 10.09.2022 06:00 Uhr

Der gebürtige Venezianer Federico Povoleri zeigt uns seine Heimat aus eigener Perspektive. Seine traurig-liebevollen Schwarz-weiß-Fotografien ergänzt Povoleri durch grüblerische Texte.

von Guido Pauling

Düstere, windzerfetzte Wolken über der Stadt. Noch erstrahlt die Silhouette von Dorsoduro mit der weiß emporragenden Basilika im grellen Schein der tiefstehenden Sonne. Doch das schwarze, beinahe glatte Lagunenwasser spiegelt die Düsternis des Himmels - und die Seelenstimmung des Fotografen. Der zeigt uns seine Stadt, seine Geliebte, seine steinerne Herzensdame, wie sie selten gezeigt und von Besuchern selten gesehen wird: als eine nass-kalte Schönheit mit einsamen Bewohnern, spiegelnden Pfützen, wabernden Nebeln und leise rieselnden flüchtigen Traumbildern.

Regen prasselt hernieder, weht in feuchten Fransen über den Hausdächern und wäscht die sonst so vielbegangenen Gassen leer.

Ein Motoscafo, eines der venezianischen Wassertaxis, im Kampf gegen die stampfenden, rumpelnden Winterwellen. Im dichten Schneegestöber schiebt und blubbert es sich vorwärts durch die Dunkelheit, den aufgereihten Lichtern der noch entfernt liegenden Uferlinie entgegen. Touristen dürften sich wohl keine im Innern des schneebedeckten Motorbötchens befinden; es ist nicht ihr Wetter, nicht ihre Jahreszeit. Für die Einwohner der Stadt hingegen ist so eine Wintertour normal.

Ein Blick auf Venedig fernab des Tourismus

"Venezia - gesehen mit den Augen eines Venezianers": Diesen Buchtitel darf man wörtlich nehmen. Das heißt: gesehen nicht durch die Kameralinse eines Touristen, eines in die Stadt gereisten Profi-Fotografen, dessen Bett, Haus, Arbeitsweg sich ganz woanders befinden und der mit staunenden oder berechnenden Augen auf das schaut, was sich als Bild zu verkaufen lohnt. Povoleri ist hier zu Hause.

Aber seine Bilder der steinernen, nassen Schönheit zeigen zugleich auch nur den individuellen Blick "eines" Venezianers, denn Federico Povoleris Augen sehen ganz eigene Dinge, Schemen, Schönheiten.

Ich wurde dort geboren und habe unauffällig in der Stadt gelebt, und zwar ohne auf ihre Traditionen Wert zu legen. Ich kann nicht fischen und noch viel weniger kann ich ein Ruderboot steuern. Jedoch die rätselhafte Seele dieser Lagune, ausgewählt von geheimnisvollen Vorfahren, um in ihr eine Architektur von wunderbarer Schönheit zu errichten, hat mich begleitet und in den Jahren meiner Wanderung auf unbekannten Wegen nie verlassen. Venezianer zu sein war Lebensluft für mich. Leseprobe

Der Alltag der Venezianer in Schwarz-weiß

Die Sonne ist der Feind Venedigs. Bei Sonne sind die Invasoren da, die Barbaren, die in die Stadt eindringen, sie überfluten, um Pizza und Ramsch zu kaufen und dabei eine Million Selfies zu machen.

Regen und Schnee dagegen sind Freunde. Bei Schnee und grauem Himmel wird die Lagunenstadt schwarz-weiß - die bevorzugte Farbwahl Povoleris.

In diesen Farben - und zahllosen Graustufen dazwischen - zeigt er uns einzelne Venezianer im schummrigen Laternenlicht, als Fußgänger mit schweren Einkaufstüten in jeder Hand. Oder beim Warten aufs Wassertaxi, am Rand eines Kais unter windig-wolkigem Himmel. Den kahlköpfigen, alten Mann in Gummistiefeln, der bei Hochwasser auf einer Holzbrüstung eines Cafés sitzt und Zeitung liest; wir Betrachter können eine knallige Werbezeile einer Anzeige lesen: RELAX.

Weitere Informationen
Aufgeschlagene Bücher  Foto: Vladimir Melnikov

Bildschöne Bücher

Bildbände über Architektur, Menschen oder Landschaften sind immer ein Genuss für die Augen. NDR Kultur stellt immer wieder herausragende Neuerscheinungen im Programm vor. mehr

Traurig-liebevolle Ansichten einer traumschönen Stadt

Povoleri zeigt uns die Arbeiter, die am Markt von Rialto einen Lastkahn entladen: Hepp!, und ein Bierfass fliegt durch die Luft; der Werfer in gummierter Anglerhose schaut sportlich-amüsiert dem Flugobjekt hinterher, das sein Kumpel im schlabbrigen Joggingdress und mit Arbeitshandschuhen - huah! - gleich locker auffangen wird.

Geisterhafte Schatten von Personen oder geschwungenen Laternen an bröckelnden Wänden; ein am Steg abgestellter alter Fernseher, dessen Bildschirm nur noch die Backsteinmauer gegenüber spiegelt; Fischschwärme im Kanalwasser; wellige, wandernde Traumbilder.

"(…) eine zweite Dimension, die von Geistern bewohnt wird, die die Gestalt von Palästen, Personen, Schiffen und Tieren angenommen haben. In dieser Stadt voller Schatten und Reflexionen verblassen die schlafenden Gestalten und erlauben den Geistern zu erwachen (...)", schreibt Povoleri und erweist sich in diesem Bildband voller traurig-liebevoller Ansichten als melancholischer, letztlich als desillusionierter Träumer. Einer, der weiß, was seiner traumschönen Stadt bevorsteht, in der Billigheimer von Fern die alten Bewohner allmählich verdrängen.

Von Zeit zu Zeit schleicht sich einer weg, während andere Lärm machen. Venedig betrachtet still die Letzten, die ihrem Herzen nahestehen. Leseprobe

Venezia - Gesehen mit den Augen eines Venezianers

von Federico Povoleri
Seitenzahl:
224 Seiten
Genre:
Bildband
Zusatzinfo:
120 Schwarz-Weiß-Fotografien
Verlag:
teNeues
Bestellnummer:
978-3-96171-398-1
Preis:
50 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | 11.09.2022 | 16:20 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Fotografie

Bildbände

Ein Bücherstapel liegt auf einem Holztisch vor einer farbigen Wand. © IMAGO / Shotshop

Bücher 2022: Die spannendsten Romane und Erzählungen

Viele aufregende Bücher sind im Jahr 2022 erschienen. Etwa von Yasmina Reza, Ralf Rothmann, Isabel Allende, Kim de l’Horizon und Markus Orths. mehr

Ein Latte Macchiato, eine Brille und eine Kerze liegen auf einem Buch © picture alliance / Zoonar | Oleksandr Latkun

Neue Bücher 2024: Die spannendsten Neuerscheinungen

Unter anderem gibt es Neues von Dana von Suffrin, Michael Köhlmeier und Bernardine Evaristo. mehr

Logo vom NDR Kultur Podcast "eat.READ.sleep" © NDR Foto: Sinje Hasheider

eat.READ.sleep. Bücher für dich

Lieblingsbücher, Neuerscheinungen, Bestseller – wir geben Tipps und Orientierung. Außerdem: Interviews mit Büchermenschen, Fun Facts und eine literarische Vorspeise. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mehr Kultur

Eine Frau und ein Mann sitzen nebeneinander auf einer Bank, hinter ihnen ist Wasser. © Pedro Deltell Foto: Pedro Deltell

Cinemare Fest in Kiel: Kino live gespielt - wie geht das?

Der Film "Schiffbruch mit Publikum" wird in Echtzeit improvisiert und ins Kino projiziert. Auf dieser Seite können Sie die Live-Produktion heute ab 19 Uhr verfolgen. mehr