Stand: 05.09.2018 12:09 Uhr

Tag 5: Von Hamburg nach Wedel

von Klaas Grensemann

Tag 5: Herzensanliegen und Herzensgebet

Seemannsheim Hamburg, direkt am Michel. Beim Frühstück gibt es Kaffee aus schönen Bechern mit dem Seemannsheim-Logo und -Motto: Support of seafarer's dignity - zur Unterstützung der Würde der Seefahrer. Ein tolles Motto. Auch wir wurden herzlich umsorgt und brechen auf zu unserem vorletzten Tag. Unser Morgengebet führt uns natürlich in den Michel. Was für eine Kirche! Was für eine Atmosphäre!

Kristina Lohe, Klaas Grensemann und Heike Götz beim  Frühstück vor dem Michel © NDR.de Foto: Philipp Schmid
Frühstück im Schatten des großen Michels

Obwohl um diese Uhrzeit schon viele Menschen den Michel besuchen, herrscht im Kirchraum eine angenehm stille Atmosphäre. In der kleinen Seitenkapelle feiern wir unsere Morgenandacht und hören das Motto für diesen Tag: Herzensanliegen und Herzensgebet. Dazu Psalm 23 als Lesung, die uns in den Tag begleiten wird. Beim gemeinsamen, mehrstimmigen Singen spüren wir, dass dies ein besonderer Ort ist. Schnell sind wir uns einig, dass sich jeder noch einen Moment der Stille für sich gönnen wird.

Vorbei am Fischmarkt in Richtung Wedel

So sitzen wir noch eine Weile im Kirchraum verteilt, um dann schließlich aufzubrechen. Ich habe das Gefühl, dass meine Schritte jetzt direkt nach dem Besuch des Michel viel leichter geworden sind. Unser Weg führt uns direkt runter an die Landungsbrücken. Pilgerwegzeichen sehen wir kaum, aber die Elbe ist für diese Etappe ohnehin unsere treue Begleiterin, die den Weg weist. Wir schlendern fast nur bei den ersten Kilometern. Es gibt im Hafen so viel zu entdecken, dass wir immer wieder stehen bleiben und uns gegenseitig teilhaben lassen, an den Dingen, die uns faszinieren. Vorbei am Fischmarkt nehmen wir es dann aber doch mit der heutigen Etappe auf, die uns ins etwa 21 Kilometer entfernte Wedel führt.

Dort werden wir morgen früh mit der Fähre auf die andere Elbseite überschiffen und unseren Weg im Alten Land weiterführen. Das Mittagsgebet feiern wir recht öffentlich an einer Hausecke in der Nähe der Strandperle, einem Lokal in Övelgönne. Hier zu stehen und gemeinsam zu singen und zu beten fühlt sich schon auch ungewohnt und fremd an. Auch für uns, die wir im Kloster arbeiten und solche Situationen ja eigentlich immer wieder erleben. Als wir nach der Mittagspause weitergehen, beschäftigt mich die Frage, ob mein Herz wirklich daran hängt, das Mittagsgebet egal wo zu feiern. Ich merke, an Ort und Form hänge ich nicht, aber mein Herz hängt doch am Gebet.

Schweigen, um Kräfte zu schonen

Philipp Schmid, Heike Götz und Kristina Lohe pausieren am Elbstrand © NDR.de Foto: Philipp Schmid
Rast in Övelgönne: Bei einer Brotzeit in der Sonnne wird Energie getankt.

Ich denke, wir alle spüren die letzten Pilgertage vor allem körperlich - der eine mehr, die andere weniger, aber wir spüren sie. So kommen wir nur schwer voran und das ist mühsam. Immer wieder müssen wir anhalten, um zu trinken oder uns kurz auszuruhen. Unser Stop-and-go ist auch für das Kamerateam anstrengend. Wir beschließen, eine Stunde im Schweigen zu gehen - um so unsere Kräfte ein wenig zu schonen und dabei noch ein wenig über die Form des Herzensgebets nachzudenken. Schon immer haben sich Mönche die Frage gestellt, wie sie der Aufforderung der Bibel "ohne Unterlass zu beten" nachkommen können. Ihre Lösung: Das Gebet sollte so selbstverständlich wie das Atmen sein. So entstand die Gebetsform die Atemgebet oder auch Herzensgebet genannt wird.

Beim Einatmen betet man "Christus", beim Ausatmen "Erbarme dich meiner!". Im Schweigen probiert jeder für sich, ob dieses Gebet gelingt, und wir denken auch darüber nach, welchen Stellenwert das Gebet in unserem Alltag hat. Gehen. Anhalten. Trinken. Kurz Ausruhen. Weitergehen. Wir folgen als Gruppe einem ganz eigenen Rhythmus und ich spüre, wie vertraut wir uns dabei inzwischen geworden sind.

Füße sind schwer, das Herz ist leicht

Wir pilgern als Gruppe, unterstützen uns beim Auffüllen der Wasserflaschen oder mit aufmunternden Gesprächen über Gott und die Welt. Und diese Welt ist gerade wunderschön. Das Wasser, die Sonne, die Häuser und Ortsteile. Schließlich kommen wir an in Wedel. Eine entzückende Bed-and-Breakfast-Unterkunft wird heute unsere Herberge sein, in der wir uns jeweils zu zweit ein Zimmer teilen.

Wir ruhen aus, reden, duschen, bestellen uns Pizza und essen gemeinsam. Die Füße sind schwer, aber das Herz ist leicht. "Mir wird nichts mangeln", betet der Psalmbeter. So ist es. Es geht uns wirklich gut. Wie schade, dass morgen schon der letzte Tag miteinander ist.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch in den Tag | 05.09.2018 | 17:40 Uhr

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Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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