Philosophin Ina Schmidt © Ina Schmidt
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AUDIO: Wie geht Verbundenheit? Mit Ina Schmidt und bell hooks (44 Min)

Philosophin Ina Schmidt: "Nur Liebe kann die Welt retten"

Stand: 31.07.2023 17:12 Uhr

Die neue Folge des Philosophie-Podcasts Tee mit Warum fragt: Kann Liebe die Welt retten? Die Philosophin und Autorin Ina Schmidt antwortet: Ja, als einzige!

Mann und Frau sitzen am Tisch und trinken Tee. © NDR Foto: Christian Spielmann
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Ina Schmidt ist Philosophin und Kulturwissenschaftlerin, hat zum frühen Denken Martin Heideggers promoviert. Heute lebt sie in der Nähe von Hamburg und arbeitet als Autorin und schreibt Sachbücher für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, in denen sie philosophisch auf Themen blickt, die den Alltag betreffen. So hat sie Bücher über das Glück, über die Vergänglichkeit, Verantwortung, Freundschaft und eben auch über die Liebe geschrieben. Im Philosophie-Podcast Tee mit Warum plädiert sie für Liebe als handlungsorientierte Praxis. Einen Auszug des Gespräch lesen Sie hier. Das ganze Gespräch können Sie im Podcast Tee mit Warum in der ARD Audiothek oder als Podcast hören.

Kann Liebe die Welt retten?

Ina Schmidt: Ich glaube, Liebe ist das einzige, was die Welt retten kann. Also insofern würde ich das auf jeden Fall bejahen. Die große Frage ist nun, wie das funktionieren kann. Aber zumindest glaube ich fest daran, dass es ohne die Liebe sehr, sehr schwer sein wird, die Welt zu retten.

Was verstehst du genau unter "Liebe"?

Ina Schmidt sitzt lächelnd am Schreibtisch. © Dr. Ina Schmidt
Die Philosophin Ina Schmidt hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt "Wo bitte geht's zum guten Leben?", erschienen im Carlsen Verlag.

Schmidt: Ich würde die Liebe als eine - im griechischen Sinne - wohlwollende Haltung der Welt gegenüber definieren. Diese setzt eine Form von Verbundenheit voraus und eben auch die Möglichkeit des Menschen, sich über diese Sichtweise auf die Dinge auch ein Stück weit für eine solche Haltung zu entscheiden.

Das sind zwar alles Themen, die man üblicherweise nicht unbedingt mit Liebe verbindet, aber ich finde es sehr spannend, nicht die Liebe zwischen zwei Menschen unmittelbar in den Mittelpunkt zu stellen, sondern sich zu fragen: Wo findet Liebe noch statt? Ist Liebe vielleicht nicht etwas, das mir passiert, sondern wo es auch darum geht, wie ich die Liebe in meinem Leben haben möchte und sie auf die Welt anwenden will?

Also die Liebe als Entscheidung und auch als Handlung zu sehen?

Schmidt: Ja, sowohl als Entscheidung wie auch als Handlung - oder auch: als Praxis, als etwas, das ich ein Stück weit wollen kann. Und wenn ich Liebe wollen kann, stellt sich die Frage: Kann ich sie dann auch mit Erfahrungen, Erlebnissen, Verbindungen zu Dingen, zu Menschen, zu Situation in der Welt so verlebendigen, dass die Liebe dann nicht nur etwas Theoretisches oder nur ein Wunsch, eine Vorstellung ist, sondern etwas, das sich auch im Erleben immer wieder zum Ausdruck bringen oder manifestieren lässt. Dadurch öffnet sich die Liebe als dieser berühmte Raum dann nicht nur zwischenmenschlich, sondern sozusagen zwischen-weltlich. Dabei stellt sich dann die große Frage: Welche gegenwärtigen Bedingungen muss man vielleicht vorfinden, damit so etwas überhaupt möglich sein kann? Das ist, glaube ich, die spannende Frage, wenn man davon ausgeht, dass die Welt in irgendeiner Weise auch gerettet werden müsste.

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Mann und Frau sitzen am Tisch und trinken Tee. © NDR Foto: Christian Spielmann

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Was unterscheidet Liebe etwa von Freundschaft? Gibt es überhaupt Unterschiede? Gibt es Gemeinsamkeiten? Denn auch in einer tiefen Freundschaft spielt der Begriff der Verbundenheit eine zentrale Rolle.

Schmidt: Wir haben im Deutschen leider nur dieses eine Wort, Liebe und lieben, zur Verfügung. Vielleicht tun wir uns daher ein bisschen schwer damit, das emotional zu differenzieren. Ich bin zwar fest davon überzeugt, dass man es an vielen Stellen eben nicht trennen sollte, doch man könnte es sprachlich auseinanderhalten, wenn man zum Beispiel davon spricht, dass die Freundschaft eine ganz besondere Form der Liebe ist und sich nicht von ihr abgrenzt oder weniger bedeutet. Zumindest wenn wir uns die griechische Bedeutung von Liebe anschauen, haben wir die Möglichkeit zu sagen, es gibt die Freundesliebe und es gibt den Eros. Letzterer umfasst als eine ganz andere Form der Liebe auch das Begehren und die leidenschaftliche Liebe, die wir häufig in der romantischen Liebe mit voraussetzen.

Und da würde ich sagen, wir täten vielleicht ganz gut daran, wenn es um eine Liebespraxis ginge, die wir uns gesellschaftlich mehr aneignen wollen, und auch zu überlegen, welche Formen der Liebe wir auch sprachlich noch mal neu besetzen könnten. Wie sieht es denn aus in der Freundschaft mit den Praktiken, die eigentlich liebevoll sind, die dafür sorgen, dass wir in Verbundenheit in einer Beziehung leben - und zwar nicht nur einmalig, sondern die permanent genährt und gepflegt und gehegt wird. Im Begriff der Freundschaft hat das eine ganz besondere Bedeutung, sollte aber auch für jede Liebesbeziehung gelten.

Die Gesellschaft wandelt sich, die Welt wandelt sich - wandelt sich dadurch auch unser Blick auf die Liebe oder das, was wir als Liebe erkennen?

Schmidt: Ja, ich glaube, wir sind an manchen Stellen sehr geprägt davon, dass wir ein sehr romantisches Liebesbild in der westlichen Welt pflegen. Das hat damit zu tun, dass wir die eine wahre Liebe gefunden haben wollen, die uns dann auch möglicherweise bis ans Ende unserer Tage begleitet. Darin sehen wir dann eben auch einen Menschen, der zu uns passt, der uns ergänzen soll, der eine Form von Vollständigkeit ermöglichen soll. Doch das, was uns in der Gegenwart - auch in der gesellschaftlichen, politischen Gegenwart - immer wieder begegnet, ist eine immer stärkere Differenziertheit, eine Unterschiedlichkeit, eine Vielfältigkeit, die nicht immer einfach zu beantworten ist. Die Vorstellung und das, was sich gegenwärtig als soziale Realität entwickelt, klafft immer stärker auseinander, beziehungsweise versuchen wir sogar, das eine mit dem anderen zu beantworten. Ich glaube, genau diese Bewegung ist es, die häufig den Eindruck erweckt, dass die Liebe in der Welt immer weniger möglich ist.

Zugleich gibt es andere Formen - zum Beispiel den schönen Begriff der Solidarität, den wir im Moment sehr pflegen. Darin, sich zu etwas zu bekennen, muss auch eine liebevolle Art und Weise vorkommen, damit wir von einem solidarischen Miteinander sprechen können.

Müssen wir ein neues Verständnis von Liebe fernab der romantischen, exklusiven Zweierbeziehung implementieren?

Schmidt: Ja, das glaube ich schon und vielleicht sollten wir dem Ganzen gegenüber auch mal eine etwas größere Milde entgegensetzen und schauen, ob Liebe vielleicht nicht nur als eine Einheit aus Zweien funktioniert wie es noch Aristoteles oder Cicero beschrieben. Wenn man sich den Freundschaftsdiskurs anschaut, gibt es zum Beispiel bei Georg Simmel diese schöne Vorstellung einer differenzierten Freundschaft, die nicht die verschmelzende Einheit mit diesem anderen, mit dem Freund bedeuten muss, sondern dass es auch Ecken und Kanten und Schwierigkeiten und Ambivalenzen gibt - und manchmal eben auch Phasen, in denen die Freundschaft erst einmal zur Diskussion stehen muss. Dass das Teil einer lebendig gelebten, gegenwärtigen Liebespraxis tatsächlich sein darf und sein sollte, könnte ein neues Verständnis von Liebe sein. Dazu gehört auch, die eigenen Idealvorstellungen zu prüfen und sich selbst klarzuwerden, ob das, was ich mir da vorstelle, eigentlich eine Möglichkeit ist, die eine Antwort auf die eigentlichen Fragen sein könnte, die ich habe. Oder sollte diese Form der Liebes- oder Freundschaftspraxis nicht etwas sein, das mich in diesen Fragen weiterentwickelt und - manchmal vielleicht auch ein bisschen schmerzhaft - auf die eigentlichen Probleme hinweist?

Dann entsteht vielleicht eine etwas schwierigere Form dessen, was wir als Liebe beschreiben wollen, aber vielleicht auch eine uns viel angemessenere, wenn es darum geht, wirklich in einer komplexen und sehr schnellen und dynamischen Welt, zu anderen und neuen Formen des Miteinanders kommen zu können.

Ist Liebe also etwas Bewegliches, etwas, das Nähe zulässt und zugleich ermöglicht, sich wieder abzugrenzen, worin man sich miteinander entwickelt?

Schmidt: Ich glaube, dass die Liebe genau das braucht: das Bewegliche, diese Freiheit in der Liebe, diese Offenheit etwas gehen lassen zu dürfen, was möglicherweise dann freiwillig zu einem zurückkommt, und gleichzeitig aber das auch verbunden lassen kann mit der Vorstellung, dass in der Liebe eine Art zwingendes Ereignis stattfindet, etwas, das uns aneinander bindet, ob wir wollen oder nicht. Und diese Mischung finde ich das eigentlich Interessante an der Liebe: Dass sie nicht so etwas ist wie ein idealer Zustand, den wir manifestieren mit Hochzeiten und Institutionen und kulturellen Gepflogenheiten. Alain Badiou hat es in seinem Buch "Lob der Liebe" so benannt, dass eine eigene neue Welt geboren wird in der Liebe. Diese neue Welt will dann natürlich auch gestaltet und gelebt werden - und vielleicht funktioniert diese Form der Liebesbeziehung nicht nur zwischen Menschen oder Gruppierungen, sondern vielleicht auch im Hinblick auf Überzeugungen oder mit Gegenständen. So, glaube ich, entsteht ein völlig anderes - wenn man jetzt mal ein bisschen pathetisch werden will - Universum, in dem Liebe auf unterschiedliche Weisen eine Rolle spielen kann, aber immer als Praxis auch ernst genommen und eben zum Ausdruck gebracht werden muss.

Das Gespräch führten Denise M’Baye und Sebastian Friedrich im Philosophie-Podcast Tee mit Warum. Die ganze Folge finden Sie in der ARD Audiothek und überall, wo es Podcasts gibt.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Tee mit Warum - Die Philosophie und wir | 27.07.2023 | 06:00 Uhr

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Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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