Eine Kirche steht auf 500-Euro-Banknoten © picture alliance / Jochen Eckel | Jochen Eckel Foto: Jochen Eckel
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AUDIO: Thomas Schüller fordert im Gespräch die Trennung zwischen Staat und Kirche (26 Min)

Kirchenrechtler Schüller fordert Trennung von Staat und Kirche

Stand: 08.01.2024 10:34 Uhr

Nicht erst beim Einzug der Kirchensteuern wird klar: Von strikter Trennung zwischen Staat und Kirche kann keine Rede sein. Mit seinem Buch "Unheilige Allianz" übt der katholische Kirchenrechtler Thomas Schüller scharfe Kritik.

Thomas Schüller leitet das Institut für Kanonisches Recht und war viele Jahre im Bistum Limburg. Jetzt hat er ein Buch mit dem Titel "Unheilige Allianz. Warum sich Staat und Kirche trennen müssen" veröffentlicht. Bei NDR Kultur spricht er über sein Buch. Einen Teil des Gesprächs lesen Sie hier, das ganze Gespräch können Sie in der ARD Audiothek hören.

Herr, Schüller, was ist unheilig an dieser Allianz?

Thomas Schüller: Unheilig an der Allianz ist, dass sich beide Seiten über die Jahrzehnte so aufeinander eingespielt haben, dass beide Kirchen zu Monopolisten in bestimmten Bereichen der staatlichen Daseinsfürsorge geworden sind. Dementsprechend können sie immensen politischen Einfluss ausüben, obwohl ihre gesamtgesellschaftliche Akzeptanz immer niedriger wird. Das nenne ich eine unheilige Allianz, weil die Verfassung sagt, dass es keine Staatskirchen und keine Abhängigkeit staatlicher Organe von den Kirchen mehr geben soll.

In Ihrem Buch schreiben Sie, die Formel vom selbständigen Ordnen und Verwalten sei zum Freifahrtschein für beide Kirchen geworden, sich nicht an staatliche Gesetze halten zu müssen. Sie entfalten das am Beispiel sexualisierter Gewalt in den Kirchen. Wenn so ein Straftatbestand bekannt wird: Was hätte geschehen müssen aus strafrechtlicher Sicht?

Thomas Schüller © NDR Foto: Brigitte Lehnhoff
Kirchenrechtler Thomas Schüller ist Professor für katholisches Kirchenrecht an der Universität Münster. Er fordert die strikte Trennung von Kirche und Staat.

Schüller: Wir haben in Deutschland die etwas seltsame Rechtslage, dass keine Bürgerin, kein Bürger - das ist in anderen Ländern anders - verpflichtet ist, das anzuzeigen, wenn man von einer Sexualstraftat erfährt oder etwas mitbekommt. Aber bei der Kirche, die so viele Einrichtungen betrieben hat - wie Schulen, Kindertagesstätten, Jugendhilfeeinrichtungen -, wäre es eine moralische Verpflichtung gewesen, das zumindest den Strafverfolgungsbehörden zu melden. Denn es geht um den Schutz derer, die den größten Schutz bedürfen: Kinder und Jugendliche. Das ist der zentrale Vorwurf, den ich im Buch belege.

Mittlerweile liegen auch Untersuchungen vor, dass sexualisierte Gewalt systematisch in diesen kirchlichen Einrichtungen geschehen ist. Die Kirche hat aber, um ihren heiligen Ruf zu schützen, versucht, das selbst unter den Teppich zu kehren. Das ist der eigentliche Skandal. Das ist auch der Ausgangspunkt, warum ich so ein entschiedenes Buch geschrieben habe.

Ein Skandal ist auch, dass staatliche Behörden das teilweise gewusst haben oder zumindest geahnt haben. Sie sprechen in Ihrem Buch von einer Beißhemmung der staatlichen Strafverfolgungsstellen gegenüber den Kirchen, obwohl sie verpflichtet wären: Sexualstraftaten sind Offizialdelikte und müssen von staatlicher Seite verfolgt werden. 

Schüller: So ist es. Das ist ein dramatischer Befund, den wir mittlerweile empirisch gut abgesichert vorfinden: dass bis nach der Jahrtausendwende Staatsanwaltschaften und Kripos, sobald sie etwas im Rahmen der Kirche als Nachricht bekamen, äußerst zurückhaltend angepackt haben. Es gibt viele Beispiele. Gerade in den 1950er- bis 2000er-Jahren wurden viele Kinder in katholische und evangelische Einrichtungen gebracht, weil die familiären Verhältnisse desaströs waren. Da gab es Hinweise von den Kindern und Jugendlichen selbst oder von Erzieherinnen und Erziehern. Dem ist nicht nachgegangen worden. Da ist ein Komplettversagen der Staatsaufsicht. Denn diese Heime standen schon unter der Aufsicht der Jugendämter, die regelmäßig zu schauen hatten: Werden die Kinder hier nach den vorgegebenen staatlichen Standards erzogen und behütet? Können sie da aufwachsen? Man ist diesen Hinweisen nicht nachgegangen.

Erst seit zwei, drei Jahren traut sich überhaupt - mit richterlichem Durchsuchungsbefehl - eine Staatsanwaltschaft, auch mal Akten zu beschlagnahmen und durchzuschauen. Es ist an der Zeit, diese Skandalgeschichte der Justiz aufzuarbeiten. Ich merke aber, wenn ich das vortrage, dass die staatliche Justiz sehr pikiert und empört reagiert und dann immer von bedauerlichen Einzelfällen redet. Es gab eine dauerhafte Beißhemmung, bei der Kirche so zuzupacken, wie es das Gesetz eigentlich erfordert hat.

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Haben Sie dafür eine Erklärung?  

Schüller: Eine Erklärung ist, dass bis in die 80er-, 90er-Jahre viele Akteure in der staatlichen Strafverfolgung selbst Kirchenmitglieder gewesen sind. Gleichzeitig wusste man um die gesellschaftliche Bedeutung der Institution Kirche und wollte sich mit diesen großen Institutionen nicht anlegen, weil man sie einfach in vielen politischen Bereichen als Akteure braucht. Man wusste genau: Die haben eine finanzielle, logistische und juristische Kompetenz und Macht, sich widerständig zu zeigen.

Die katholische Kirche hat eine Studie zur sexualisierten Gewalt in Auftrag gegeben und veröffentlicht. Die evangelische Kirche will ihre Studie im Januar vorlegen. Das ist in Wissenschaftlerhände gegeben worden, aber von der Kirche beauftragt. Wie sinnvoll ist es, dass die Kirchen das selber tun? Ist es nicht sinnvoller, das von vornherein von außen aufzuarbeiten?

Schüller: Es ist sinnvoller und ich könnte auch Beispiele bringen, wo das schon gut funktioniert hat: In Frankreich wurde das einer unabhängigen staatlichen Aufarbeitungskommission zugewiesen mit einem sehr profilierten und kundigen Staatsanwalt - übrigens katholisch -, der das nach staatlichen gesetzlichen Maßstäben überprüft hat. Dann kommen auch ganz andere Zahlen im Bereich der sexualisierten Gewalt zustande. In Frankreich konnte man gesichert von über 300.000 Betroffenen ausgehen, während wir im katholischen und demnächst im evangelischen Bereich von 3.000 bis 5.000 nachgewiesenen Betroffenen ausgehen.

Das ist natürlich viel zu wenig. Es gibt auch kein Interesse des Staates, eine Dunkelfeldstudie in Auftrag zu geben. Mit vielen Betroffenen-Verbänden, aber auch mit der unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung für Fälle sexualisierter Gewalt bin ich der dezidierten Meinung, dass es an der Zeit wäre, nicht die Täterorganisation selbst aufklären zu lassen, sondern dass der Staat das übernimmt. Das wäre ein objektiver Rahmen, in dem man tatsächlich die Betroffenen ermitteln könnte. 

Das ganze Gespräch können Sie hier hören. Es führte Brigitte Lehnhoff.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Das Gespräch | 07.01.2024 | 13:00 Uhr

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