Kolumne: "Segen gegen vererbte Angst"
"Unsere Gewitterangst kommt noch aus dem Krieg“, sagt die Mutter von Susanne Richter. Die Panik in den Bombennächten ist in der Familie der Kolumnistin weitergegeben worden. Gemeinsam bauen sie darauf, dass Segen ein gutes Gegenmittel ist."
"Glück und Segen auf all deinen Wegen." Von meiner Großmutter Luise habe ich ihr Poesiealbum geerbt. Es ist voll mit Glücksformeln und Segenssprüchen in altmodischer Handschrift. Aufgeschrieben in den Jahren zwischen 1927 und 1930. Dazu hat sie mir ihre Vorliebe für Süßes, die Form ihrer Hände, zum Glück aber nicht ihre Panik bei Gewitter weitergegeben. Die hatten nur die Luises und Louises, mit "u" und "ou", die Frauen meiner Familie vor mir und meiner Schwester. Mit uns sollte etwas Neues anfangen. Wahrscheinlich haben wir darum auch andere Namen.
Aus Kriegsangst auf der Kellertreppe gesessen
"Diese Gewitterangst kommt noch vom Krieg", hat uns unsere Mutter erklärt. Auch meine Urgroßmutter mit "ou" hockte bei Donner bis ins hohe Alter in Chanel-Jacke und mit Köfferchen auf der Kellertreppe. Immer bereit in einen Bunker zu flüchten. Zu ihr gehören die Geschichten der Bombennächte in Bremen. Ich habe diese Geschichten von klein auf erzählt bekommen. "Krieg darf nie wieder sein," hat meine Mutter Louise dann immer gesagt. Das hab ich verstanden. Auch, damit Großmütter nicht auf Treppen sitzen müssen. Meine Schwester und ich sind darum schon als kleine Mädchen mitgenommen worden zu Friedensgebeten und Demonstrationen.
Schrecken des Krieges wirken viele Jahre lang

Meine Mutter ist ein Nachkriegskind, aber die Gewitter-Bombenangst in leichter Form kennt sie trotzdem. Darüber haben wir so richtig erst jetzt beim Ukraine-Krieg gesprochen. Manchmal wird auch nur etwas diffus Atmosphärisches weitergegeben, hat sie gesagt und sich gefreut, dass für mich Gewitter tatsächlich nur ein schönes Naturschauspiel ist. Und dass Unglück dann doch vielleicht irgendwann ausdünnt. Das wünschen wir beide uns gerade vor allem mit Blick auf die Ukraine und Russland. Denn wir haben es ja selbst erlebt, wie viele Jahre Schrecken wirken kann. Meine Hoffnung ist, dass nicht nur Traumata, sondern auch heilsame Segensworte weitervererbt werden. Dass sie stärker sind. Dafür steht mein Glaube. Das Poesiealbum erinnert mich daran.
Kreuz, Herz oder Anker? So heißt die Kolumne der Kirche im NDR. Jeden Donnerstag vergeben die Radiopastoren und Redakteure ein Kreuz für Glauben, ein Herz für die Liebe oder einen Anker für das, was hoffen lässt.
