Nachwuchs- und Frauenchef Horst Hrubesch vom HSV © Witters Foto: Ottmar Winter

HSV-Fußballerinnen zwischen Bundesliga-Träumen und Regionalliga-Realität

Stand: 29.08.2022 09:21 Uhr

Im ersten Anlauf haben die HSV-Frauen den Aufstieg in die Zweite Bundesliga verpasst. Das Projekt soll trotzdem nachhaltig sein, betont Nachwuchsdirektor Horst Hrubesch, der im Club die Frauen besonders unterstützt. Aber es ist noch nicht vergessen, dass der HSV vor zehn Jahren sein Frauen-Team aus der Bundesliga abmeldete. Und hinter den Kulissen rumort es schon wieder.

von Florian Neuhauss

Die EM in England hat auch in Deutschland ein ganz neues Bild vom Frauenfußball vermittelt. Nicht nur wegen des Einzugs ins Endspiel, das die DFB-Elf erst in der Verlängerung gegen die Gastgeberinnen verlor, sondern auch wegen der hohen Qualität auf dem Platz und der spannenden Spiele. Von der neuen Begeisterung zeugten nicht zuletzt Tausende begeisterte Menschen auf dem Frankfurter Römer, die das Team bei der Rückkehr feierten.

"Wie es jetzt DFB-mäßig, Verbände-mäßig oder in Deutschland aussehen wird, da bin ich mir jetzt nicht so sicher. Ich habe immer das Gefühl, das sind viele heiße Worte im Moment." Ex-Bundestrainer Horst Hrubesch

"Diese Europameisterschaft der Frauen hat einfach gezeigt, dass du verpflichtet bist, diesen Weg zu gehen. Dass das die Bundesligisten eigentlich annehmen müssen", sagt Hrubesch im NDR Interview. Dass der ehemalige Frauen-Bundestrainer ein Herz für die Kickerinnen hat, ist hinlänglich bekannt. Nun hofft er, noch mehr Unterstützer zu finden. Sicher ist er sich allerdings trotz der Erfolge der DFB-Frauen nicht - ganz im Gegenteil: "Wie es DFB-mäßig, Verbände-mäßig oder in Deutschland aussehen wird, da bin ich mir jetzt nicht so sicher. Ich habe immer das Gefühl, das sind viele heiße Worte im Moment. Ich hoffe, es verläuft nicht wieder im Sande."

Regionalliga-Meisterschaft am Ende wertlos

Keinesfalls im Sande verlaufen soll das "Projekt Frauenfußball" beim HSV, das Hrubesch vorangebracht hat. Allerdings endete der erste Aufstiegsversuch der ambitionierten Hamburgerinnen im Sommer bitter. Ungeschlagen, mit 110:17 Toren und am Ende 16 Punkten Vorsprung, feierte die Mannschaft von Trainer Lewe Timm im Mai die Meisterschaft in der Regionalliga Nord. Das Problem: Im Juni folgten noch zwei Aufstiegsspiele gegen den Meister der Nordost-Staffel, Turbine Potsdam II.

Und auch wenn die HSV-Frauen das Hinspiel vor knapp 1.800 (!) Fans im heimischen Stadion an der Hagenbeckstraße 1:0 gewannen, erwischten sie im Rückspiel den ersten schwarzen Tag der ganzen Saison. Nach einer 0:4-Niederlage, die durch individuelle Fehler eingeleitet wurde, waren die Aufstiegsträume geplatzt.

"Es war eine Achterbahnfahrt - extrem aufwühlend - und am Ende definitiv ein gebrauchter Tag", sagt Kapitänin Victoria Schulz. Die Enkelin von HSV-Legende "World-Cup-Willi" Schulz hatte sich ausgerechnet in der Woche vor dem Aufstiegshinspiel einen Bänderriss und eine Knochenabsplitterung am Sprunggelenk zugezogen und war zum Zuschauen verdammt. "Wir waren bis zum 19. Juni ungeschlagen. Dass es dann so ein Ende nimmt, ist bitter, aber einfach die Gefahr in diesem Modus."

HSV hat bei seinen Frauen Nachholbedarf

Der Aufstieg soll allerdings nur aufgeschoben sein. Und Hrubesch ist - anders als auf Bundesebene - fest davon überzeugt, dass der HSV seine Frauen weiter pusht. "Wir haben uns klar dafür ausgesprochen. Es wird nachhaltig sein. Da geht kein Weg dran vorbei", betont der 71-Jährige, der die Förderung der Frauenabteilung bei seinem Amtsantritt als Nachwuchschef des HSV vor zwei Jahren zur Bedingung für sein Engagement gemacht hatte. Er weiß genau, dass der Club einiges gutzumachen hat.

Auf das erfolgreichste Jahr des Clubs folgt der Kahlschlag

2011 hatte der Hamburger SV das bis heute erfolgreichste Jahr seiner Fußballerinnen erlebt. Die erste Mannschaft landete unter Trainer Achim Feifel im Jahr der Heim-WM auf einem sensationellen vierten Platz - hinter den Granden aus Frankfurt, Potsdam und Duisburg. Die Zweite wurde in der Zweiten Liga Meister.

Nicht zuletzt aufgrund einer guten Nachwuchsarbeit wäre in Hamburg viel möglich gewesen. Nachdem allerdings zuvor mit dem geschassten Clubboss Bernd Hoffmann auch Vizepräsidentin und Frauenfußball-Förderin Katja Kraus gegangen war, brachen düstere Zeiten für die Frauen an.

"Wir haben im März 2011 Kassensturz gemacht und erfahren, dass wir nach dem damaligen Stand im Sommer insolvent gewesen wären", erinnert sich Hoffmann-Nachfolger Carl-Edgar Jarchow. Sparen war unausweichlich - und angesetzt wurde der Rotstift nicht zuletzt bei den Frauen. Die zweite Mannschaft wurde abgemeldet, der Etat der ersten Mannschaft um ein Drittel auf rund 500.000 Euro gesenkt. Insgesamt wurden so gut 250.000 Euro eingespart. Im Vergleich zu den hohen Summen im Männerbereich eigentlich "Peanuts", für die Frauen aber sehr viel Geld.

Statt Kompromiss-Suche folgt der Zwangsabstieg

Allerdings hechelten die Männer - damals noch in der Bundesliga - ihren hohen Ansprüchen immer weiter hinterher. Jarchow und seine Vorstandskollegen sparten abseits des Männerfußballs weiter - und wieder traf es die Frauen. Weil der Etat noch einmal um 100.000 Euro niedriger ausfallen sollte, erklärte die sportliche Leitung, so keine Bundesliga-taugliche Mannschaft mehr aufstellen zu können.

Doch anstatt einen Kompromiss zu suchen, verkündete Jarchow wenig später, dass die Bundesliga-Lizenz für die Frauen zurückgegeben werde. Und weil für die Zweite Liga nicht gemeldet worden war, ging es runter in die drittklassige Regionalliga.

"Die Abmeldung hat uns auch im gesamten Frauenfußball nicht gutgetan. Es war ein völlig falsches Signal." Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg

Auch zehn Jahre nach dem Zwangsabstieg schüttelt Martina Voss-Tecklenburg noch immer den Kopf: "Wir fanden das unendlich traurig, die Abmeldung hat uns auch im gesamten Frauenfußball nicht gutgetan. Es war ein völlig falsches Signal", sagte die Bundestrainerin, die damals Bundesligist Jena coachte. "Aber umso mehr bin ich froh, dass unter anderem durch Horst Hrubesch wieder dieser Fokus auf Mädchen- und Frauenfußball gelegt wird. Die haben richtig, richtig Lust dazu, den HSV wieder nach oben zu bringen. Wenn der HSV in drei, vier Jahren wieder in der Ersten Liga sein möchte, wäre das ein cooles Zeichen."

Viel Zuspruch trotz verpasstem Aufstieg

Hrubesch kehrte im Sommer 2020 zum HSV zurück - und stieß einige Änderungen an. Der eingetragene Verein, zu dem die Frauenabteilung offiziell gehört, und die Fußball AG beteiligen sich finanziell und von der "Man- und Womanpower" her jeweils zu 50 Prozent an dem Projekt. Von einem Etat in Höhe von rund 350.000 Euro ist die Rede. Mit der ehemaligen Bundesliga-Spielerin Catharina Schimpf wurde zudem extra eine Koordinatorin für den Frauenfußball als Managerin des Teams installiert.

Trotz des verpassten Aufstiegs bekam die Mannschaft viel Zuspruch - nicht zuletzt innerhalb des Vereins. Ein paar Tage nach dem Rückspiel gab es bei der Mitgliederversammlung Standing Ovations für die Frauen. "Das war in einer Phase, als die Mädels wirklich noch sehr niedergeschlagen waren", berichtet Managerin Schimpf. "Das hat zur Frust- und Trauerbeseitigung viel beigetragen. Da ist die Mentalität 'jetzt erst recht' aufgekommen."

Zweiter Anlauf - mit einer noch besseren Mannschaft?

Die Koordinatorin hatte zweigleisig geplant - und mit allen Neuzugängen auch Verträge für die Regionalliga ausgehandelt. Insgesamt neun neue Spielerinnen gehören zum Kader, darunter einige aus der U17 des HSV, die in der vergangenen Saison sensationell deutscher Meister geworden ist. Zudem stand der Etat schon vorab fest: "Wir haben gesagt: Es verändert in der Sache an sich nichts, was wir tun. Wenn wir in der Regionalliga bleiben, werden wir genauso 'straight forward' den Kader und die Saison planen."

Hrubesch und Schimpf sind sich sicher, dass trotz der Abgänge von Top-Torjägerin Sophie Nachtigall (Eintracht Frankfurt) und der Bundesliga-erfahrenen Anne van Bonn (Karriere-Ende) die Mannschaft besser ist als in der vergangenen Spielzeit. "Königstransfer" ist Nina Brüggemann, die von Bundesligist Leverkusen zu ihren Wurzeln zurückkehrt.

Aber wieder drohen Kürzungen beim Etat

Also alles bestens beim HSV? Mitnichten! Die finanzielle Lage im Club ähnelt der von vor zehn Jahren. Wieder wird jeder Euro umgedreht, um den Männern möglichst viel Geld zur Verfügung zu stellen. Hinzu kommen die Kosten für die so wichtigen Investitionen ins Stadion. Finanzvorstand Thomas Wüstefeld hat laut "Sport Bild" die Bürgschaft über 350.000 Euro für den Etat der Frauen lange nicht freigegeben. Was zum Streit zwischen Wüstefeld und Hrubesch geführt habe.

Vereinspräsident und Aufsichtsratschef Marcell Jansen erklärt: "Ein Problem ist natürlich, wenn man jetzt alles hochfährt und Ewigkeiten dann noch in der gleichen Liga spielt." Der Ex-Profi, der sich vor zehn Jahren noch erfolglos dafür eingesetzt hatte, dass die Männermannschaft ihren finanziellen Teil zur Rettung der Frauen leisten sollte, nennt den Aufstieg in die Zweite Liga "den nächsten logischen Schritt". Man wisse, "dass man jetzt Ressourcen hat, die mindestens mal dafür da sind, dass es eine Liga höher geht".

Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass es zu Etat-Kürzungen führen könnte, sollten die HSV-Frauen den Aufstieg erneut verpassen. Aber anders als vor zehn Jahren haben sie es offenbar in eigener Hand, durch sportlichen Erfolg finanzielle Einbußen abzuwenden.

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Dieses Thema im Programm:

Sportclub | 28.08.2022 | 23:35 Uhr

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