Toni Kroos © IMAGO / Moritz Müller

Toni Kroos, König der "Königlichen": 30.000 Pässe und Titel ohne Ende

Stand: 30.05.2022 08:58 Uhr

Mit seinem fünften Champions-League-Titel hat Toni Kroos Geschichte geschrieben. Seit acht Jahren dirigiert die Passmaschine aus Greifswald den größten Club der Welt. Keiner passt so viel und so präzise wie Real Madrids Metronom - das zeigen die Daten. Und keiner wird so unterschiedlich bewertet.

von Matthias Heidrich

Es lief schon die Nachspielzeit in Paris, als Real Madrid einen Toni-Kroos-Moment brauchte und ihn auch bekam. Liverpool, das überlegene Team in einem spannenden Champions-League-Finale, setzte die "Königlichen" auf der linken Seite mächtig unter Druck. "Bloß nicht den Ball verlieren und noch den Ausgleich kassieren", stand in die Gesichter des Star-Ensembles aus Madrid geschrieben.

Kroos' Gesicht verriet nichts über den Druck, der auf dem Rasen des Stade de France herrschte. Der Weltmeister forderte umringt von Liverpoolern den Ball, verarbeitete ihn in höchster Bedrängnis, zog das Foul und nahm seinen Teamkollegen damit Druck - und Zeit von der Uhr. Wenig später durften die "Königlichen" den Henkelpott in den Himmel heben.

"Das Spiel von Real Madrid folgt immer dem Rhythmus von Toni Kroos. Wenn Toni will, dass wir langsamer spielen, tun wir das. Wenn er ein schnelleres Spiel will, folgen wir ihm." Real-Profi Casemiro

Angst, einen Fehler zu machen? Kennt Kroos nicht. Nervosität? Sollen andere ja haben, Kroos nicht, da sind sich alle Weggefährten seiner nunmehr 15 Jahre andauernden Profikarriere einig. Er will spielen und das Spiel kontrollieren. Ein eiskalter Anführer, auch in der hitzigsten Atmosphäre.

Alles andere als eiskalt war der 32-Jährige im Interview danach. Gerade noch der Familie zugewunken, die zum ersten Mal vollzählig im Stadion dabei war, standen dem Familienmensch im Gewand einer Passmaschine die Tränen in den Augen. Doch der Interviewer verpasste die Chance, emotional den großen Bogen beim erfolgreichsten deutschen Fußballer aller Zeiten zu schlagen, während Kroos selbst wenig Gelassenheit walten ließ und keine gute Figur bei dem abgebrochenen Interview machte.

Aus Greifswald über Rostock in den Fußball-Olymp

Geschenkt, es wird letztlich eine Randnotiz in der Rückschau auf Kroos' Karriere bleiben: Geboren in Greifswald, aufgewachsen und gereift in Rostock, mit 16 Jahren zum großen FC Bayern München gewechselt, dort nie richtig glücklich geworden, aber nach dem WM-Sieg von Rio bei Real Madrid seinen Platz im Fußball-Olymp gefunden.

Schon in jungen Jahren waren die Elogen auf den Blondschopf aus Mecklenburg groß. Das passiert oft bei König Fußball, wenn das Talent so außergewöhnlich ist. Selten ist, wenn der Hochgelobte dann auch liefert und aus dem Versprechen Gewissheit wird. Kroos hat geliefert und ist zum Weltstar geworden: 28 Titel insgesamt, jeweils drei Meisterschaften in Deutschland und Spanien, Weltmeister 2014 und nun der fünfte Champions-League-Titel - nicht in der Nebenrolle, sondern als Hauptdarsteller.

Am Mikrofon zeigt Kroos klare Kante, auf dem Platz lässt er seine Pässe sprechen. In 439 Partien hat er davon insgesamt 30.214 gespielt, seit er das weiße Trikot der "Königlichen" 2014 zum ersten Mal überstreifte. Angekommen sind davon 28.210, also unglaubliche 93,37 Prozent.

Die GSN-Datenbank weist den Rechtsfuß damit als die effektivste Passmaschine Europas aus. Andrés Iniesta, Thiago und selbst der Mittelfeldstratege schlechthin, Sergio Busquets, können da nicht mithalten.

"Toni Kroos ist ein wunderbarer Spieler. Der Junge macht alles richtig. Seine Pässe sind präzise und er sieht alles. Toni ist nahe an der Perfektion", hat Hollands Fußballgenie Johan Cruyff einmal über Reals Nummer acht gesagt. Die Wertschätzung für den Mittelfeldstrategen scheint im Ausland deutlich größer zu sein als in Deutschland. "Querpass-Toni" würde Kroos in Spanien jedenfalls niemand nennen.

"Querpass-Toni" oder Spielbeschleuniger?

Dabei ist es nicht von der Hand zu weisen, dass er viel quer spielt, gut 50 Prozent seiner Pässe pro Partie. Gleichwohl visieren 20 Prozent von Kroos' Pässen das letzte Drittel an und finden in gut 90 Prozent der Fälle auch ihr Ziel. Und das nicht nur über kurze Distanzen. Hohe, lange Bälle, über 40 oder 50 Meter direkt in den Fuß eines Mitspielers kann keiner so gut wie Kroos. Am vorletzten Liga-Spieltag gegen Cadiz brachte der Greifswalder alle seine 17 langen Pässe an den Mann. So viele "perfekte" Distanzbälle hatte es in einem Spiel der Primera Division zuletzt im November 2019 gegeben - ebenfalls durch Kroos.

Macht der Weltspielmacher des Jahres 2014 das Spiel nun also langsam, wie es ihm immer wieder vorgeworfen wird? In der Fußball-Datenwelt ist der "BST"-Wert (Ball Speed Transmission) ein Indikator dafür, wie schnell ein Spieler das Spiel macht. Dabei werden die angekommenen Pässe durch die Anzahl aller Aktionen geteilt. Umso näher der Wert an 1, desto schneller macht der Spieler das Spiel mit seinen Aktionen.

Kroos' Wert der vergangenen acht Spielzeiten liegt hier im Schnitt bei 0,71. Iniesta (0,58), Thiago (0,63) oder eben Busquets (0,64)? Keiner kommt an Kroos heran.

Kroos der Unverstandene?

"Besser in Deutschland umstritten und weltweite Anerkennung als andersrum", hat der Weltmeister gesagt, als er 2021 nach 107 Spielen und 17 Toren aus der deutschen Nationalmannschaft zurücktrat. Er habe das Gefühl, "dass einige mein Spiel in elf Jahren Nationalmannschaft nicht ganz verstanden haben. In Spanien war das dagegen bereits nach meiner ersten Partie für Real Madrid der Fall."

Toni Kroos der Unverstandene? Während in Deutschland Führungsstärke im Fußball immer noch gerne über markige Sprüche und Aggressivität auf dem Platz definiert wird, hat das Publikum in Madrid einen anderen Blick aufs Spiel. Und das hat die Passmaschine aus Greifswald bei den "Königlichen" geprägt wie kaum ein Zweiter.

Weitere Informationen
Symbolbild Fußball-Daten © Imago / STPP

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Dieses Thema im Programm:

NDR 2 Sport | 28.05.2022 | 23:03 Uhr

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