Torjubel bei den St.-Pauli-Profis (v.l.) Igor Matanovic, Jakov Medic und Lukas Daschner. © WITTERS Foto: Leonie Horky

Teamcheck FC St. Pauli: Die Kiezkicker als Wundertüte

Stand: 10.07.2022 11:00 Uhr

Fußball-Zweitligist FC St. Pauli hatte im Vorjahr lange wie ein sicherer Aufsteiger ausgesehen, bevor auf der Zielgeraden die Puste ausging. Angesichts der zahlreichen Abgänge ist ein erneut gutes Abschneiden fraglich. Der Teamcheck.

von Sebastian Rieck

Vorsaison: Der große Traum platzte kurz vor Schluss

Die Spielzeit 2021/2022 war geprägt durch einen überraschend guten Start, gefolgt von Aufstiegs-Träumen und einem harten Aufschlag zum Saisonende. Die Kiezkicker profitierten lange davon, dass die favorisierten Bundesliga-Absteiger Werder Bremen und Schalke 04 viel Zeit benötigten, um sich in Liga zwei zu etablieren. Außerdem ließ der HSV durch zahlreiche Remis viele Punkte liegen.

St. Pauli hingegen punktete regelmäßig dreifach - vor allem, weil Sturm-Oldie Guido Burgstaller in der Hinserie fast nach Belieben traf. In Kombination mit Daniel-Kofi Kyereh, der in der Saison zum besten Spielmacher der Zweiten Liga avancierte und dazu noch selbst torgefährlich war, hatten die Braun-Weißen eine der effektivsten Offensiven der Liga. Nach dem 2:1-Sieg über Schalke 04 am 16. Spieltag hatte St. Pauli satte sechs Punkte Vorsprung auf den zweiten Platz.

Vom Winter-Einbruch nicht mehr erholt

Zum Jahreswechsel allerdings rutschte der Club in die Krise. Kyereh kehrte vom Afrika Cup verletzt zurück und Burgstaller konnte seine beeindruckende Torquote nicht halten. Ein kurzes Wiederaufflammen des Erfolgs war der Sieg im Achtelfinale des DFB-Pokals gegen Cup-Verteidiger Borussia Dortmund, eine Runde später schieden die Hamburger dann aber bei Union Berlin aus.

Am Ende konnte St. Pauli auf der Zielgeraden nicht mehr mit den wiedererstarkten Bremern und Schalkern sowie dem HSV mithalten. Eine sechs Spiele währende Sieglos-Serie, die gleich mehrfach erst in der jeweiligen Nachspielzeit zustande kam, ließ den großen Traum vom Bundesliga-Aufstieg schließlich platzen.

Großer Aderlass in der Offensive

St. Pauli gab gleich zwölf Akteure ab, darunter fast die komplette Stamm-Offensive. Kyereh wird kommende Saison mit dem SC Freiburg international spielen. Burgstaller zog es in seine österreichische Heimat, zudem gingen auch Simon Makienok und Maximilian Dittgen. Mit Finn-Ole Becker (Hoffenheim) verließ ein hochveranlagtes Eigengewächs den Verein und mit dem Abgang der Innenverteidiger Philipp Ziereis und James Lawrence verliert St. Pauli nicht nur viel Erfahrung, sondern auch den bisherigen Kapitän und seinen Stellvertreter.

Sportchef Andreas Bornemann und Trainer Timo Schultz stehen vor der Aufgabe, die Qualität zu ersetzen und ein neues Korsett zu etablieren. Dafür setzt St. Pauli erneut auf entwicklungsfähige Spieler, wie es in der jüngeren Vergangenheit mit Profis wie Leo Östigard, Rodrigo Zalazar, Omar Marmoush oder zuletzt eben Kyereh immer wieder erfolgreich war.

Erst wenige Neuverpflichtungen

In diesem Jahr sind - neben eigenen Nachwuchsspielern, die einen Profivertrag erhielten - noch nicht allzuviele Neue dabei. David Nemeth kam aus Mainz und ist neben Jakov Medic in der Innenverteidigung vorgesehen. Ihn bremste zunächst eine Verletzung in der Vorbereitung aus. Erwähnenswert ist der griechische Rechtsverteidiger Manolis Saliakas, der auf der Außenbahn für die Stabilität sorgen soll.

Im Offensivbereich ruhen die Hoffnungen bislang auf Stürmer Johannes Eggestein, der nach einer enttäuschenden Saison in Belgien an alte Leistungen anknüpfen will. Der 24-Jährige, der im Werder-Nachwuchs ausgebildet wurde, könnte ein wichtiger Baustein werden - möglicherweise mit David Otto, der aus Hoffenheim kam. In die Kategorie "jung und entwicklungsfähig" fallen auch die Mittelfeldspieler Connor Metcalfe und Carlo Boukhalfa.

Trainer Schultz sieht Team auf gutem Weg

Wenn Timo Schultz über seine Mannschaft spricht, dann fällt immer wieder das Wort "Entwicklung". Seit seinem Amtsantritt vor zwei Jahren hat der Ostfriese seinen offensiven und kampfbetonten Spielstil etablieren können. Die gute Entwicklung mehrerer Spieler führte am Ende dazu, dass mehrere Erstligisten sich an der guten Arbeit bedienten. Schultz pflegt ein gutes persönliches Verhältnis zu seinen Spielern, hat aber auch keine Hemmungen, alte Zöpfe abzuschneiden. Das hat nun schon mehrfach etablierte und verdiente Spieler mit "St. Pauli-DNA" getroffen, die mit der Entwicklung der Mannschaft nicht mehr Schritt halten konnten.

Mit dem am Sonntag zu Ende gegangenen Trainingslager in Südtirol war der 44-Jährige zufrieden: "Wir haben richtig viel trainieren können, haben ein bisschen was fürs Teambuilding gemacht, sind auf jeden Fall vorwärtsgekommen." Trotzdem seien vor dem Liga-Auftakt am Sonnabend (13 Uhr) gegen den 1. FC Nürnberg noch weitere Schritte nötig, "und daran werden wir auch nächste Woche in Hamburg weiter arbeiten".

Wie schnell gelingt der Umbruch?

St. Pauli ist vor dem Start ein bisschen die Wundertüte. Wie gut der Club den Umbruch schafft und wie lange dieser dauert, ist schwer abzuschätzen. Vor allem die Testspielniederlagen gegen Kiel und Silkeborg (jeweils 0:2) zeigten, dass vor allem offensiv noch viel Arbeit und Abstimmung vor der neuen Formation liegt. Immerhin gelang zum Abschluss ein starkes 4:1 gegen den kroatischen Erstligisten NK Istra. Zudem ist der Kader mit Sicherheit noch nicht komplett. In den Vorjahren hatte Sportchef Andreas Bornemann immer wieder kurz vor Ende der Transferperiode noch einen spektakulären Deal aus dem Hut gezaubert.

Nominell ist die Liga ohne Bremen und Schalke und mit eher schwächeren Absteigern aus Fürth und Bielefeld qualitativ nicht so stark wie im Vorjahr - und das stellt eine Chance für selbsternannte Aufstiegsanwärter dar. Während Stadtrivale HSV in der Vorbereitung und mit den Transfers "all in" zu gehen scheint, setzt St. Pauli weiter auf eine schrittweise Entwicklung. Die darf aber vor allem zu Beginn der Saison nicht zu langsam voranschreiten, will der Club nicht früh in die untere Tabellenhälfte rutschen und sich so ungewolltem Druck aussetzen.

Weitere Informationen
Fußball und Tabelle © picture-alliance/ dpa, NDR.de/Screenshot Foto: Patrick Bernard

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Dieses Thema im Programm:

Hamburg Journal | 10.07.2022 | 19:30 Uhr

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