Florian Riedel vom TSV Havelse © IMAGO/Claus Bergmann

Fußball-Experiment in Havelse: Riedel Spieler und Sportdirektor

Stand: 06.03.2023 10:26 Uhr

Florian Riedel hat eine bewegte Vergangenheit als Fußballer und war vor zwei Jahren fast schon abgeschrieben. Als Spieler und Sportdirektor in Personalunion sorgt er beim Regionalligisten TSV Havelse für ein Branchen-Novum - eine sehr spezielle Konstellation.

von Andreas Bellinger

Geschichten, die nur der Fußball schreibt, gibt es viele. Aber diese Geschichte aus der niedersächsischen Provinz hat es wirklich in sich. Ein Spieler, der den Trainer rausschmeißen und sich selbst den Vertrag verlängern kann - so etwas gibt es wohl nur in der Vierten Liga beim TSV Havelse. "Uns war nicht wichtig, ob das schon mal jemand gemacht hat, sondern ob es funktioniert oder nicht", sagt Florian Riedel.

Der 32-Jährige ist Spieler und seit dieser Saison in Personalunion auch Sportdirektor des Regionalligisten. Als Pionier der Branche bekam Riedel noch mal einen unverhofften Karriereschub, weil Experten wie Ex-Bundesligatrainer Peter Neururer ihm den Rücken stärkten, als sportlich nichts mehr ging. Und Havelses Sportlicher Leiter Matthias Limbach "seine große Erfahrung, seinen tollen Charakter und seinen ansteckenden Ehrgeiz" erkannte.

In Lübeck als Rüpel abgestempelt

Dabei galt der Ruf des am 9. April 1990 in der sächsischen Kreisstadt Werdau geborenen Riedel schon als ramponiert. Im Sportclub erzählt er von einem "traurigen Kapitel", das ihn den Job beim VfB Lübeck kostete und als Rüpel abstempelte. Vor zwei Jahren wurden Vorwürfe publik, Riedel sei in der Halbzeit eines Drittliga-Spiels gegen seinen damaligen Trainer Rolf Martin Landerl handgreiflich geworden.

Der Beschuldigte hat das stets bestritten und bekam nach monatelanger juristischer Auseinandersetzung auch Recht. Die Vorwürfe seien nicht haltbar, die fristlose Kündigung sei nicht rechtens, entschied das Amtsgericht. Der Club musste seine Darstellung offiziell widerrufen, Riedel die ausstehenden Gehälter und 10.000 Euro Schmerzensgeld zahlen.

Neururer: "Was macht der eigentlich hier?"

Aber seinen Job war der streitbare Leistungsträger los, der einst mit Hertha BSC in den UEFA-Pokal wollte, sich letztlich bei dem Berliner Bundesligisten aber nicht durchsetzen konnte. Und den es nach Stationen beim 1. FC Kaiserslautern, mit dem er in der Relegation zur Bundesliga knapp scheiterte, sowie in den Niederlanden, aber auch unterklassig in Osnabrück und Trier an die Ostsee verschlagen hatte.

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Und so stand er in der Vorbereitung auf die Saison 2021/2022 ohne Club da. "Traurig, dass ihn keiner wollte", erinnert sich Neururer an die erste Begegnung im Trainings-Camp der Vereinigung der Vertragsfußballer (VdV) für Spieler, die wie Riedel keinen Vertrag bekommen haben. "Was macht der eigentlich hier?", habe er sich gefragt. "Welcher Verein ist so behämmert, einem solchen Spieler keinen Vertrag zu geben?"

Rehabilitiert - aber ohne Job

Jeder Trainer müsse doch froh sein, einen solchen Spieler im Team zu haben, meint Neururer: "Er ist geradeaus, ehrlich bis zur Selbstaufgabe, weiß, wovon er redet, und nimmt kein Blatt vor den Mund." Sein Zuspruch wirkte, Riedel begann, den Vorfall zu verarbeiten und erfolgreich an seinem Image und seiner sportlichen Zukunft zu basteln. "Dass ihm dieser negative Stempel anhaftete, war möglicherweise unser Glück", sagt Limbach. Natürlich habe man sich in Havelse zunächst informiert und festgestellt, dass "an den Schlagzeilen, die um ihn herum waberten" nichts dran war.

"Er ist geradeaus, ehrlich bis zur Selbstaufgabe, weiß, wovon er redet, und nimmt kein Blatt vor den Mund." Fußball-Lehrer Peter Neururer

Limbach konnte im Werben um Riedel mit Namen wie Maximilian Eggestein, Alexander Meyer oder Daniel-Kofi Kyereh punkten, die ihre Karrieren im Garbsener Stadtteil vor den Toren Hannovers gestartet haben. "Lebensläufe, mit denen Havelse glänzen kann", so Riedel, der den direkten Abstieg zurück in die Regionalliga Nord aber auch nicht verhindern konnte.

Mitspieler: "Den Spagat kriegt er gut hin"

Die "Leitfigur" (Limbach) blieb Havelse dennoch treu, obwohl unübersehbar ist, dass Riedel im Zusammenspiel mit Auszubildenden, Studenten und Akademikern im Team heraussticht. "Ihm gehorcht der Ball einfach, auch wenn der Rasen matschig ist", schreibt das Fachmagazin "11Freunde". "Er hat ein gewichtiges Wort in der Mannschaft und bringt zudem das ganze Paket mit, um erfolgreicher Sportdirektor zu sein", so Limbach. Die Mitspieler kommen offenbar auch damit klar. "Den Spagat kriegt er gut hin", meint Alexander Dlugaiczyk.

"Ich war immer Führungsspieler und hoffe, dass sich mein Auftreten im Team nicht so sehr verändert hat", sagt Riedel. "Natürlich analysiere ich jetzt etwas genauer." Auch wenn die Rollen klar verteilt sind, denkt er meistens zweigleisig. Das ist nicht ganz einfach, vor allem aber arbeitsintensiv. "Klar, es ist viel Arbeit, aber auch eine große Wertschätzung; und die große Freude überwiegt", so Riedel, der natürlich auch die "Karriere nach der Karriere" im Auge hat.

Riedel entlässt Trainer - eine "skurrile Situation"

"Die Konstellation ist ungewöhnlich, aber ein Glücksfall für Havelse", sagt Limbach. Als Sportdirektor ist Riedel schließlich auch der Chef des Trainers - solange er nicht als Spieler unterwegs ist. Das zeigte sich, als er quasi als erste Amtshandlung, nach gerade 48 Tagen im Amt, den Coach feuerte, weil der Start des Absteigers in der Vierten Liga schwach war. "Eine skurrile Situation sicherlich", so Limbach. "Aber es spricht für Flo, wie er mit uns überlegt hat, was der richtige Schritt aus der Krise ist, und es kommuniziert hat. Diese unangenehmen Gespräche macht er auch exzellent."

Trainer-Nachfolger Samir Ferchichi bleibt ungeachtet der speziellen Verhältnisse gelassen: Er sei sein Chef auf dem Platz, wisse aber, wann Riedel der Sportdirektor ist - "also mein Vorgesetzter". "Er braucht keine Angst zu haben", entgegnet Riedel mit einem Lächeln. "Er macht einen super Job, hat den Umschwung geschafft." Auch der Sportdirektor schreibt wieder "bessere Schlagzeilen" und soll seinen Vertrag verlängern. Aber was ist mit dem Spieler? Das ist Sache des Sportdirektors, betont Limbach: "Wenn er den Spieler Flo Riedel weiter gebrauchen kann, wird er das hoffentlich machen."

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Sportclub | 05.03.2023 | 22:50 Uhr

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